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Fachhochschule Nordwestschweiz

Die FHNW legt ihre Institute an vier ­­­Standorten zusammen. Die Kantone erstellen dafür imposante Neubauten, bei der Architektur kann die Schule kaum mitreden. ­­Und sie will es auch gar nicht.

Data di pubblicazione
12-02-2014
Revision
13-10-2015

Aarau, Basel, Brugg-Windisch, Liestal, Muttenz, Olten, Solothurn und Zofingen: Das sind die aktuellen Standorte der Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW. Sie vereint seit 2008 neun Hochschulen – und zwar bislang unter vielen Dächern. Doch die vier Trägerkantone Aargau, Solothurn, Basel-Landschaft und Basel-Stadt fassten bereits bei den Verhandlungen zur Fusion der Hochschulen im Jahr 2004 den Entschluss, die Schulen auch baulich zusammenzuschliessen.

In jedem Kanton entsteht ein Standort: in Brugg-Windisch, Olten, Muttenz und auf dem Basler Dreispitz-Areal. Für alle vier Standorte lobten die Kantone zwischen 2006 und 2011 Architekturwettbewerbe aus. Seit Ende 2013 ist die Hälfte der Projekte abgeschlossen: Die neuen Gebäude in Brugg-Windisch und Olten sind bezogen, die Neu- und Umbauten in Basel folgen in diesem Jahr. In Muttenz werden die Arbeiten erst beginnen; die Fertigstellung des Hochhauses mit Atrium ist für 2019 geplant. 

Für die Standortgemeinden bringen die Neubauten wesentliche Impulse: Die zusätzlichen Studierenden werden die Orte beleben. Mit ihrer schieren Grösse senden die Projekte städtebauliche Signale aus. Doch beim Betrachten der Realisierungen wie der Projekte stellt sich die Frage, welche Strategie in Sachen «Corporate Architecture» dahintersteht. Eine genauere Betrachtung ergibt kein wirklich eindeutiges Bild. Auch die Aussagen der zentralen FHNW-Medienstelle zu den Neubauten lassen den Verdacht aufkommen: Nur der Standort spielte eine Rolle. 

Die Nachfrage beim Leiter Immobilien & Infrastruktur der FHNW, Prof. Markus Baertschi, bringt deutliche Antworten: Die Fachhochschule hat gar keine Architekturstrategie – schliesslich ist sie nur Mieterin und nicht Bauherrin. Sie darf eine «raumscharfe» Wunschliste abgeben und mietet sich dann in die bauliche Hülle ein, die ihr der Kanton anhand der Vorgaben zur Verfügung stellt. «Das Wichtigste ist, dass die Funktion stimmt», betont Baertschi. Sich konsequent auf die Rolle als Mieterin zu beschränken, bedeute eine Erleichterung: Nur so könne eine Fachhochschule, in der viele Stimmen mitreden, überhaupt Neubauten auf die Beine stellen. Wäre sie selbst Bauherrin, würden die Wünsche der einzelnen Teil-Hochschulen das Projekt erschweren, verlängern und verteuern, mutmasst Baertschi. Für den Kanton dagegen zählt, dass die teure Investition flexibel und leicht umnutzbar ist, sollte die akademische Mieterschaft sich dereinst verkleinern, wachsen oder gar ausziehen. 

Das Ergebnis dieser Arbeitsteilung zwischen Nutzer und Ersteller erinnert tatsächlich an eine Wohnüberbauung für wechselnde Mieter – durchweg solide und hochwertig in der Ausstattung, aber durch den Wunsch nach Flexibilität auch austauschbar. Die wahre Attraktivität der neuen Hochschulen liegt in ihrer zentralen Lage und der guten Anbindung an den öffentlichen Verkehr: Sie stehen in unmittelbarer Nähe der Bahnhöfe. Die Studierenden sind schnell da – und auch schnell wieder weg. Das widerspricht nicht nur dem Campusgedanken der nordamerikanischen Universitäten, wo Leben und Arbeiten, Studium und Freizeit auf ein und demselben Gelände stattfinden, sondern auch der europäischen Vorstellung von der Hochschule, die mit ihren Bauten und Köpfen das Stadtleben prägt. Die neuen Fachhochschulen besetzen den Ort, wo sich einst die europäischen Universitäten befanden: das Zentrum der Stadt. Aber sie verleihen ihm keinen Charakter.

Studentenleben wird sich hier kaum einstellen: Die Häuser sind so geplant, dass die Lernenden mit dem Zug anreisen, die Vorlesungen besuchen und nach dem Seminar wieder wegpendeln. Zielstrebig und effizient organisieren die Fachhochschulen so die Aufnahme von Wissen. Ein langer Aufenthalt, Identifikation mit der Schule oder gar Stolz ist offenbar – zumindest von baulicher Seite – nicht vorgesehen. Zwar gibt es Verkaufsflächen und einige Wohnungen in den Neubauten der FHNW. Aber nirgends ist das Angebot wirklich urban und studierendengerecht. Zwei Beispiele zeigen exemplarisch, wie die Fachhochschulen ihre Standorte entwickeln. 

Brugg-Windisch: Sauber getrennter Nutzungsmix 

Vor einem knappen halben Jahr zogen die Mitarbeitenden und Studierenden der Pädagogischen Hochschule, der Hochschule für Technik und derjenigen für Wirtschaft in den zweiteiligen Neubau auf dem Windischer Markthallenareal neben dem Bahnhof Brugg. Die Pläne dazu stammen von Büro B Architektur und Planer AG aus Bern. Die polygonale Form der Neubauten reagiert auf die unregelmässige Form des Grundstücks und soll gleichzeitig nicht ganz alltägliche Aussenräume schaffen. Der offen gestaltete Platz westlich der Neubauten inszeniert sich als neues Zentrum des Hochschulquartiers und überbrückt die rund 200 Meter zwischen dem Bahnhof und den Hochschulgebäuden auf dem Klosterzelg-Areal, die Fritz Haller in den 1960er-Jahren für die HTL entwarf. 

Die beiden frei stehenden Volumen von Büro B, vorgegeben vom Gestaltungsrichtplan, verbindet eine Passerelle im ersten bis fünften Obergeschoss. Um die beiden Hauptzugänge zu markieren, ist die Fassade im Erdgeschoss partiell zurückversetzt, doch will dieser Kunstgriff nicht so recht wirken: Der Neuankömmling nähert sich dem Bau etwas unsicher und findet den Eingang schliesslich doch eher zufällig als intuitiv – für ein öffentliches Gebäude etwas befremdlich.

Im Innern bilden die Mensa auf der einen Seite und ein 800m2 grosser Saal auf der anderen das räumliche Zentrum im Erdgeschoss der Baukörper. Der Saal wird auch als Stadtsaal für Brugg und Windisch genutzt; die eigens gegründete Campussaal Betriebs AG vermietet ihn an Veranstalter aus Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Kultur. In die Obergeschosse führen breite Treppen. Die grosszügigen, lichtdurchfluteten Korridore sind mit Arbeitsnischen und -plätzen versehen; sie sollen den Studentinnen und Studenten für das Selbststudium oder die Arbeit in kleinen Gruppen dienen. Die komplexe Struktur im Innern zwingt die ortsunkundige Besucherin zum Nachfragen – was aber auch in räumlich spannende Winkel führen kann. 

Vom Erdgeschoss bis ins vierte Obergeschoss gruppieren sich um zwei Lichthöfe die offen gehaltenen Unterrichtsräume und Büros. Die Einrichtung der Unterrichtsräume ist standardisiert, um ihren Gebrauch möglichst flexibel zu machen. Weil der Campus ein lebendiges Stück Stadt sein soll, entschied man sich, im Erdgeschoss Verkaufsflächen unterzubringen; derzeit belegen unter anderem zwei kleine Supermärkte, eine Zahnarztpraxis und ein Café die ersten Flächen. 48 Wohnungen im Dachgeschoss tragen dazu bei, das Gebiet zu beleben. Die Bewohner erreichen sie über separate Eingänge im Erdgeschoss oder direkt aus der Tiefgarage. Inwiefern so Begegnungen zwischen Studierenden und Wohnungsmietern entstehen, ist fraglich. Vielleicht geschieht in dieser Hinsicht im Sommer mehr, wenn die Abende warm sind und der grosse Platz vor dem Neubau zur Begegnungszone für Studierende und die Bewohnerinnen und Bewohner des Quartiers wird. 

Olten: Tief gestapelt

Der Neubau der FHNW in Olten befindet sich ebenfalls unmittelbar hinter dem Bahnhof. Er bietet Platz für 1200 Studierende aus den Fachbereichen Angewandte Psychologie, Soziale Arbeit und Wirtschaft und wurde im Juni 2013 eröffnet. Das dreigeschossige Gebäude von Bauart Architekten und Planer wird durch eine leicht geknickte und teilweise zurückversetzte Bandfassade charakterisiert, die sanft zu den Eingängen leitet. Lang und flach dehnt sich das Haus neben den Gleisen aus. 

Auch in Olten hält sich das Gebäude im Ausdruck gegen aussen zurück. Es besticht nicht durch Effekte, sondern strahlt Sorgfalt aus – und viel Aufmerksamkeit für die Details. Die Proportionen der Bandfenster wechseln ebenso wie die Höhen der Geschosse. Zusammen drücken sie das gegen oben enger werdende Raster der Struktur aus. Diese wiederum spiegelt die Funktion wider: Die Nutzungen mit grosser Belegung befinden sich im Erdgeschoss, darüber die Klassen- und Gruppenräume und zuoberst die Büros von Verwaltung und Lehre. Gedeckte Innenhöfe bieten Licht, Raum und Orientierung: Zwei Höfe gehen durch alle drei Stockwerke, und zwei verbinden lediglich die beiden oberen Geschosse. 

So bescheiden sich das Haus gegen aussen gibt, so anspruchsvoll verfolgt es energetische Ziele. Zur Eröffnung ist eine Broschüre erschienen, die insbesondere die Energieeffizienz herausstreicht. Das Gebäude erfüllt die Vorgaben von Minergie-P-Eco. Die Architektur wird als anpassungsfähig, flexibel und nutzungsoffen beschrieben. Dies nimmt man dem Haus sofort ab, denn so präsentiert es sich auch: In seiner reinweissen Hochglanzästhetik entzieht es sich elegant einer eindeutigen Zuordnung. Ist dies die Architektur für eine smarte Gesellschaft, die ihre Inhalte und -Räume jederzeit anpassen kann und sich dadurch alle Optionen offenhält? Die Künstlerin Verena Thürkauf hat dieses Motiv aufgenommen und einen wunderbaren Kontrast dazu geschaffen: Ihre klugen Sätze sind in die Wände geritzt – sie dringen durch Putz und Gipskarton bis auf die Mauern, die das Haus tragen. Wie eine Tätowierung, die sich nie mehr tilgen lässt.

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