Stä­hler­ne Him­mel

St. Galler Kantonalbank Halle

Knoten und Streben aus Stahl – das sind die Gemeinsamkeiten der Dächer der St. Galler Kantonalbank Halle und des BSS-Gebäudes der ETH Zürich in Basel. Während in St. Gallen ein weltweit bekanntes System zum Einsatz kam, zog die neuartige Konstruktion in Basel ein Patent nach sich.

Data di pubblicazione
05-10-2023

Hier hätte sich Alexander der Grosse – für seinen pragmatischen, ja rabiaten Umgang mit dem Gordischen Knoten bekannt – sein Schwert stumpf geschlagen: An der Decke der neuen St.Galler Kantonalbank Halle der Olma Messen wimmelt es geradezu von Knoten – allesamt kugelförmig und aus Stahl. Sie sind die Verbindungsstücke der stählernen Streben eines Raumfachwerks, das die Halle überspannt und gleichzeitig den oberen Raumabschluss bildet.

Der grosse Unterschied der Fachwerkknoten zu ihrem gordischen Vorgänger ist jedoch, dass sie keine Rätsel aufgeben, sondern nachvollziehbar aufgebaut sind. Anderenfalls hätte es bei der Montage zu Chaos kommen können – schliesslich sind nun etwa 1000 Stück an der Decke der Halle montiert.

Olma: Unten Eisenbahn, oben Stahl

Die grösste stützenfreie Halle der Ostschweiz hat beeindruckende Dimensionen. Der Raum ist 150 m × 60 m gross und für 12000 stehende Menschen ausgelegt. ­Daran schliesst das Foyer mit 30 m Breite und 150 m Länge an, das von einem zukünftig stahlüberdachten Vorplatz flankiert wird. Corporate Events, Kulturveranstaltungen und natürlich Messen können so stadtnah veranstaltet werden.

Der Standort ist allerdings spe­ziell: Das Gebäude wurde über der Autobahn A1 und der Zug­linie errichtet, die knapp unter der Bodenplatte diagonal die Halle kreuzen. Auch eine zukünftige Röhre für die Autobahn wurde bei der Fundierung berücksichtigt. 

Die Halle leitet ihr Gewicht in erster Linie über zwölf Stahlbetonkonstruktio­nen – Elefantenfüsse genannt – in den Untergrund. Dafür war es vorteilhaft, die Halle selbst relativ leicht zu halten. Das Team um Ilg Santer Architekten konzipierte die auskragenden Wände als Hohlkasten und erreichte dadurch eine grosse statische Höhe. Wie im Brückenbau betonierte man die Wände ausgehend von den massiven Fundierungspunkten im Freivorbau. Eine Betonier­etappe betrug 5.2 m. Dies ersparte Gerüstarbeiten und ungewollte Lasteinleitungen in den Boden.

Lesen Sie auch:
«
Von­ein­an­der los­ge­löst» – Riesige Betonrampen, ein stählernes Exoskelett und im Innern eine Bohrpfahlwand als Raumabschluss: Der Werkhof der Energie Opfikon

In den Hohlkästen finden die Haustechnik und Treppenhäuser Platz. Gleichzeitig dienen sie auch als Fluchtwege für die Büroräumlichkeiten der Messe, die über dem Foyer in der stählernen Dachkonstruktion des Gebäudes untergebracht sind. In die statische Höhe der ­unterspannten Stahlträger ist der Boden der Büros als u-förmige Holzkonstruktion eingeschoben. Glas-Stahlkonstruktionen, die an Gangways von Flugzeugen erinnern, stellen die Verbindung zu den Treppenhäusern in den Betonhohlkästen her.

Zunehmend Stahl

Zwar fällt einem im Foyer bereits die Stahlkonstruk­tion der Decke mit den abgehängten Büros ins Auge, doch diese bildet nur den stählernen Auftakt des Gebäudes. Seinen Höhe­punkt erreicht der Stahlbau in der Halle selbst mit einem beeindruckenden Raumfachwerk – man steht gleichsam unter einem Himmelszelt aus stählernen Sternen.

Über die gesamte Decke erstreckt sich das weis­se Raumfachwerk. Die Konstruktion ist nicht parallel zu den Aussenwänden ausgerichtet, sondern um 45 Grad in der Horizontalen gedreht, wodurch sich die plastische Wirkung noch erhöht. Ob Sternenzelt oder Wald aus Stahlstreben – aufgrund der lichten Höhe von 13.70 m wirkt der stählerne Himmel nicht erdrückend.

Alte, gute Idee – noch immer aktuell

Eine solche Deckenkonstruktion geht auf den deutschen Ingenieur Max Mengeringhausen zurück. Er entwickelte bereits in den 1930er-Jahren die Mengeringhausener Rohrbauweise – Mero abgekürzt –, die den heutigen Ausführungen von der Idee her zugrunde liegt. Dreidimensional angeordnete Stahlrohre treffen sich in Kugelknoten, mit denen sie verschraubt sind. Dadurch entsteht eine Konstruktion, die nach allen Seiten hin stützenlos weit spannen kann und dabei noch wenig Stahl benötigt. 85 kg Stahl pro Quadratmeter Dachfläche sind bei der Konstruk­tion der St.Galler Kantonalbank Halle verbaut.

Weitere spannende Beiträge zum Thema Stahl finden Sie in unserem E-Dossier.

Nur zehn Unternehmungen weltweit bieten ­dieses System an. Hier kam ein chinesischer Bewerber zum Zug, was durchaus zu Diskussionen führte. Drei bis sechs Millionen Franken günstiger war das Angebot aus Fernost – allerdings gaben nur drei der zehn Unternehmungen überhaupt eine Offerte ab. Aus Gewähr­leistungsgründen kamen die Monteure ebenfalls vom chinesischen Unternehmen, wodurch Dolmetscher auf der Baustelle vonnöten waren.

Konstruktion unterstützt Betrieb

Das Stahltragwerk bietet für den Hallenbetrieb Vorteile. Die Kugelknoten haben an ihrer Unterseite Bohrungen, in die Technikelemente wie Lautsprecher, Bildschirme oder Ähnliches eingehängt werden können. Im aufgespannten, etwa 4.50 m hohen Raum zwischen den Streben findet viel Gebäude- und Sicherheitstechnik Platz. Neben Lüftungsrohren sind stählerne Stege mit einem Seilsystem eingebaut, auf denen sich die Hallen- und Veranstaltungstechniker bewegen und sichern können. Die Beleuchtung und eine Sprinkleranlage sind selbstverständlich ebenfalls integriert.

Lesen Sie auch:
Um das Messegelände der OLMA in St. Gallen erweitern zu können, musste eigens die Autobahn eingehaust werden.

Der Brandschutz der Halle ist objektspezifisch gelöst. Die Stahlkonstruktion ist nicht brandschutztechnisch behandelt. Die Überlegung war, dass das Dach unter keinen Umständen, auch nicht nach 90 Minuten einstürzen dürfe. Dies wäre ein zu hohes Risiko für die unter der Halle verlaufenden Verkehrswege. Brand­simulationen bestätigten die Überlegungen der Inge­nieure: Bei einem Feuer könnte zwar punktuell ein Teil des Tragwerks versagen, allerdings kann die umliegende Konstruktion die Lasten übernehmen. Der versagende Teil würde tropfenförmig nach unten nachgeben, jedoch keine Gefahr für die Fundierung respektive die Bodenplatte darstellen. Die Sprinkleranlage sorgt im Brandfall für eine ausreichende Kühlung der Konstruktion und unterbindet eine Ausdehnung der Flammen.

Viele Augen werden zukünftig die beeindruckende Dachkonstruktion sehen – aber nur von innen. Von aussen deutet nichts auf das imposante Gebilde hin. Alexander dem Grossen hätte es wohl gefallen – immerhin hätte Diogenes ihn nicht auffordern können, aus der Sonne zu gehen, denn Tageslicht kommt durch das gedämmte Dach mit seiner aussenliegenden Kunststoffdichtungsbahn nicht hindurch.
 

BSS in Basel: Schale aus Stahl und Glas

Auch die Dachkuppel des neuen BSS-Gebäudes der ETH Zürich in Basel, das künftig Labore und Büros für Forschung an Biosystemen beherbergt, weist Knoten und Streben aus Stahl auf. Und noch eine weitere Übereinstimmung mit der Halle in St.Gallen gibt es: Die Dachkonstruktion wirkt nur von innen. Von aussen bleiben beide Stahlbauten verborgen. In St.Gallen unter der Dachhülle, in Basel versteckt sich die Glaskuppel in Form eines Schildkrötenpanzers hinter einer Brüstung – für Passanten von der Strasse her unsichtbar. Dies hat zur Folge, dass das BSS-Gebäude mit seinen langen Glasfronten von der Strasse aus nicht aufdringlich wirkt – der Verzicht auf das Zurschaustellen der Glaskuppel könnte man fast schon als «Understatement» bezeichnen – immerhin kostet das von Nickl&Partner Architekten entworfene Gebäude 225 Millionen Franken.

Vor allem, wenn die grossen, aussen liegenden Sonnenschutzstoren herabgelassen sind, hält sich das von Glasflächen dominierte Gebäude zurück. Tritt man allerdings ein und durchquert den kurzen Eingangs­bereich um den Informationsstand, geht der Blick unweigerlich nach oben: Über sechs Stockwerke erstreckt sich ein lichtdurchflutetes Atrium, das von der Stahl-Glaskuppel gekrönt ist.

Die um den Freiraum des Atrium angeordneten Labore erlauben Blickkontakte zwischen den Abteilungen. Auch zwei frei platzierte Wendeltreppen sollen die Verbindung zwischen den Stockwerken erleichtern.

Die ausführliche Version dieses Artikels ist erschienen in TEC21 32–33 «Stahl zum Staunen».

St. Galler Kantonalbank Halle, St. Gallen

 

Bauherrschaft
Olma Messen St.Gallen

 

Architektur
Ilg Santer Architekten, Zürich

 

Gesamtleitung
Perita, Zürich

 

Raumfachwerk
Xugzhou Tover Space Structure, Jinshanqiao (CN)

 

Dachtragwerk Foyer
Hofstetter, Bernhardzell

 

Tragwerk (Hochbau)
Meichtry&Widmer, Zürich

 

Tragkonstruktion Überdeckung
Ingenieurgemeinschaft ÜRO, St.Gallen

 

Baukosten
175 Mio. Franken

 

Fertigstellung
März 2024

Dachkuppel des neuen BSS-Gebäudes der ETH Zürich, Basel

 

Bauherrschaft
ETH Zürich

 

Architektur, Generalplanung
Nickl&Partner Architekten Schweiz, Zürich; Integrale Generalplaner, Zürich

 

Statik
Leonhardt, Andrä und Partner, Stuttgart (D)

 

Dachtragwerk
formTL, Radolfzell (D)

 

Ausführung (Hochbau)
Arge BSS BAM c/o Implenia Schweiz

 

Generalunternehmung (Aushub)
Strabag

 

Weitere Beteiligte
Ruch Metallbau, Altdorf

 

Baukosten
225 Mio. Franken

 

Fertigstellung
Mai 2023

 

Auszeichnung
Iconic Award 2023 – Winner

Magazine

Articoli correlati