Dop­pel­ter Brü­cken­bau

Um das Messegelände der OLMA in St. Gallen erweitern zu können, musste eigens die Autobahn eingehaust werden. Indirekt bedingte das, auch beim Bau der neuen Messehalle eine Bautechnik aus dem Verkehrswegebau anzuwenden.

Publikationsdatum
15-08-2022

Messebau und Strassenbau fallen selten zusammen. Aber in St. Gallen ist genau das der Fall: Die Stadtautobahn St. Gallen stand bislang einer Erweiterung des OLMA-Geländes im Weg. Im Gegensatz zu vielen anderen Messearealen nämlich grenzt dies unmittelbar an die Stadt, und direkt östlich davon taucht die Autobahn daraus hervor, nachdem sie die Innenstadt im Rosenbergtunnel unterquert hat.

So fanden das Bundesamt für Strassen ASTRA und die OLMA-Genossenschaft zusammen: Der Rosenbergtunnel, dessen technische Instandsetzung in den nächsten Jahrzehnten ansteht, wurde um 180 m verlängert, indem man die Autobahn einhauste. Diese künstliche Ausdehnung des Bergs erst schuf das Baufeld, auf dem nun eine neue Messehalle entsteht.

Die neue Halle 1 wird ihren aus den 1980er-Jahren stammenden, abgerissenen Vorgängerbau mit einer satten Nutzfläche von 9 000 m2 plus einem nochmal ein Drittel so grossem Foyer um ein Vielfaches übertreffen. Hier können nicht nur die alljährliche OLMA und andere Messen stattfinden, sondern beispielsweise auch Konzerte mit bis zu 12 000 (stehenden) Zuschauern.

Das aber ist kein Leichtes. Denn die Einhausung einer Autobahn hat Konsequenzen für das Haus, das darauf steht. Zumal Strasse und Gebäude hier in keinem formalen Zusammenhang stehen und es auch nicht «nur» eine Strasse zu berücksichtigen gilt. Während die neue Messehalle mit einem schlichten rechteckigen Volumen die zentrale Gasse der anderen Messebauten fortsetzt und damit eine neue städtebauliche Disziplin auf dem OLMA-Gelände etabliert, kommt sie schräg (in einem Winkel von etwa 35 Grad) über der Autobahn zu liegen. Diese hat zudem genau hier eine Auf- und eine Abfahrt. Hinzu kommt noch eine etwa parallele Tunnelröhre der SBB, und für eine zukünftige dritte Autobahnröhre musste ebenfalls Platz gelassen werden.

Das künstliche Terrain, auf dem derzeit die Halle entsteht, verbirgt also eine hochkomplexe unterirdische Infrastrukturlandschaft. Neben den Tunneln wurden 35 Fundationspfähle errichtet, 25 m tief und 90 bis 130 cm dick. Auf denen ruhen die Einhausung der Autobahn mit Spannbetonträgern sowie die neue Ebene, auf der die Halle steht. Diese kann zwar überall genutzt werden, ist aber Beschränkungen in Bezug auf ihre Belastbarkeit ausgesetzt. Insbesondere blieben nur sehr begrenzte Flächen als mögliche Auflagerpunkte des Gebäudes.

Elefantenfüsse und Fischbauchträger

Ilg Santer Architekten aus Zürich setzten sich (im Verbund mit den Ingenieuren Pedrazzini Guidotti aus Lugano) 2018/2019 in einem Wettbewerb durch, dessen Ergebnis trotz dieser Einschränkungen eine erstaunliche architektonische Klarheit auszeichnet. Sie definierten auf dem Grundstück zwölf achsensymmetrisch zueinander liegende Auflagerpunkte: neun entlang des Perimeters der neuen Halle und drei zwischen der eigentlichen Halle und einem auf ganzer Breite vorgelagertem Foyer. Diese zwölf Stützen, von den Architekten «Elefantenfüsse» genannt, sind Hohlkörper aus Stahlbeton und tragen einen den gesamten Gebäudeumfang und die Trennlinie zwischen Foyer und Halle entlanglaufenden, ebenfalls als Hohlkörper ausgebildeten Betonring von etwa 9 m Höhe. Auf diesem wiederum ruht das Dachtragwerk aus Stahl: Fischbauchträger überspannen das Foyer in der kurzen Richtung, die 60 x 150 m messende Halle hingegen wird mit einem gut 5 m hohen Mero-Fachwerk überbrückt.

Auch in seiner endgültigen Gestalt wird man dieses statisch wie architektonisch klare Konzept noch wahrnehmen können. Der Ring wird grauer Sichtbeton bleiben, die «Elefantenfüsse» hingegen sind aus dunkel eingefärbtem Beton gegossen und anschliessend mit dem Hammer bossiert, so dass die Zuschlagstoffe Basalt und Marmor zutage treten. Die enorme hier konzentrierte Last findet also in der brutalistischen Ästhetik einen angemessenen Ausdruck.

Noch dramatischer als nach der Fertigstellung aber präsentiert sich der Bau derzeit auf der Baustelle. Denn die nur punktuelle Belastbarkeit der künstlichen Decke über den Verkehrswegen erlaubte im Bauprozess keine flächige Abstützung der Schalung für den Betonring. Daher entschloss man sich, einzelne Abschnitte des Rings von den «Elefantenfüssen» auskragend im freien Vorbau zu errichten. In perfekter Symmetrie werden dabei jeweils 5.20 m lange Abschnitte – dem Schalungssystem der Baufirma angepasst – beiderseits einer Betonstütze angefügt und oben mit einer Vorspannung versehen. So wachsen die einzelnen Betonringabschnitte aufeinander zu. Zuletzt werden sie miteinander verbunden und auch unten mit einem Spannkabel versehen.

Diese Vorgehensweise stammt eigentlich aus dem Brückenbau und findet nicht zuletzt bei der Konstruktion weit gespannter Strassenbrücken Anwendung, bei denen von den einzelnen Pfeilern aus symmetrisch in beide Richtungen gebaut wird, bis man die einzelnen Brückenabschnitte miteinander verbindet – die Ganterbrücke am Simplon beispielsweise wurde so realisiert. Das Vorgehen beim Bau der Halle, ja sogar ihre Gestalt und konstruktive Logik ist also durch Strassenbauwerke geprägt. Oder anders gesagt: Der Strassenbau war hier ebenso Problem wie Lösung. Einerseits begrenzte er die gestalterische Freiheit, andererseits inspirierte er Konstruktion und Bauprozess.

Ein wenig schade ist nur, dass die zukünftige Messehalle von der Dramatik der so komplex überbrückten Verkehrsflüsse wenig erzählen wird. Indem sie einige der Hohlkörper mit dienenden Nutzungen versehen – Treppenhäusern und der Haustechnik etwa – wissen die Architekten das Tragwerk architektonisch auszunutzen. Gleichwohl bedeutet die scharfe Trennung der Zuständigkeiten zwischen Oberkante Tunneleinhausung und Unterkante Messehalle (mit dem Boden eines Zwischengeschosses, das u. a. zum Parkieren und für Nebenräume genutzt werden soll) auch, dass ein potenziell ästhetisch reizvoller visueller Clash zwischen den unterirdischen Verkehrsströmen und den die Messe besuchenden Menschenmassen ausbleiben wird. Vorbeiziehende Autoscheinwerfer werden keine aufregende Lichtinstallation in der Messehalle bilden.

Allein eine Art Balkon am Rand des Messegeländes soll einen Ausblick auf den steten Verkehrsfluss bieten. Diese etwas brave Positionierung gegenüber dem Faszinosum der so meisterhaft überbrückten Ströme ist der einzige Wermutstropfen in einem eleganten Entwurf, der eine eindrucksvolle Position markiert in der Konfrontation von gewichtiger Architektur mit dynamischem Verkehrsfluss. Und damit ein wegweisender gebauter Beitrag ist zu einem Thema, das die Schweiz nicht allein hier beschäftigt.

Der Vorbau des Betonrings ist noch bis in den Herbst zu beobachten. Die OLMA bietet regelmässig öffentliche Baustellenführungen an.

Neue Messehalle St. Gallen

 

Bauzeit
2019 - 2023


Bauherrschaft
Olma Messen St. Gallen


Gesamtleitung
Perita AG, St.Gallen

 

Architektur
Ilg Santer Architekten Zürich


Tragkonstruktion Hochbau
Meichtry & Widmer, Zürich


Tragkonstruktion Überdeckung ÜRO
Ingenieurgemeinschaft ÜRO

Landschaftsarchitektur
Meta Landschaftsarchitektur, Basel



Fläche/Volumen
Geschossfläche: 13‘974 m2
Volumen: 261‘585 m3


Masse
Grösse Halle: 157.60 m (aufteilbar in 2 x 75 m) x 60.50 m
Grösse Foyer: 157.60 m (aufteilbar in 2 x75 m) x 30.50 m
Höhe Halle: bis UK Mero 13.50 m / bis OK Mero 18.80 m


Kapazitäten
Konzert stehend: 12‘000 Personen
Konzert bestuhlt: 7‘560 Personen
Bankett: 4‘800 Personen

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