Die Sch­weiz und Afri­ka: Ar­chi­tek­tur-Spo­tlights

Anlässlich des thematischen Bezugs der Biennale zu Afrika baten wir Architekturschaffende in der Schweiz und ihre Partner und Partnerinnen in afrikanischen Ländern, uns einen kurzen Einblick in ihre Zusammenarbeit über die Kontinente hinweg zu geben.

Data di pubblicazione
05-05-2023

Am Mittelmeer ist Spanien 13.5 km von Marokko entfernt, das entspricht knapp der breitesten Stelle des Bodensees. Nahe­liegend, dass aus dieser Nachbarschaft zwischen Europa und Afrika ein jahrtausendealter Austausch hervorgeht und auch in der zeitgenössischen Schweizer Architektur Partnerschaften mit afrikanischen Akteuren und Akteurinnen entstehen. Unsere Suche nach Afrika-Projekten in der jüngeren Architekturszene mündet in ein variantenreiches Defilée vom Lehmpavillon über sozial komplexe Community-­Projekte bis zur Residenz – Bauten, so unterschiedlich wie die Länder, die Funktionen, die trockenen oder feuchten Klimazonen, die manchmal minimalen finanziellen Mittel und die natürlichen Ressourcen – ein Spektrum an Themen für den fachlichen und menschlichen Erkenntnisgewinn auf beiden Seiten.

Wir fragten die Beteiligten in der Schweiz und in Afrika nach ihren Erfahrungen in Zusammen­arbeit und Kommunikation. Letztere erfolgt meist über Me­dien wie Whatsapp, Telefon und Videoaufzeichnungen direkt von der Baustelle. In manchen Fällen sind auch herkömmliche physische Nachrichten gefragt – gebaute Modelle oder per Post hin und her geschickte Skizzen – und unabdingbar sind natürlich auch Besuche der Schweizer Partner vor Ort.

Algerien: Residenz Schweizer Botschafter, Algier

Die sich momentan im Bau befindende Residenz des Schweizer Botschafters wird wie ein kaleidoskopischer Pavillon konzipiert, der sich zu einem Palmengarten öffnet. Die Haupträume verlaufen gartenseitig entlang einer geräumigen Loggia. Der Botschafter und seine Familie können den Aussenraum privat oder für offizielle Veranstaltungen nutzen. Eingangshalle, Wohnzimmer und Speisesaal bilden eine repräsentative Struktur mit einer Treppe in der Mitte, die zur Dachterrasse mit Meerblick führt. Die Unterkunft des Botschafters ist um einen begrünten Innenhof angeordnet und die Zimmer sind auf einen Privatgarten ausgerichtet. Der Grundriss erinnert an einen vielgestaltigen Teppich aus miteinander verbundenen Räumen, in denen man wie in einem Garten spazieren geht. Die Innenwände sind mit Reliefs verkleidet, die in der Form zwischen Spalieren und abstrakten Mustern schwanken. Das Schweizer Prinzip der «Vielfalt in der Einheit» erhält hier räumliche Bedeutung.

Oliver Lütjens: «Die interkontinentale Zusammenarbeit wurde dank digitaler Plattformen wie Zoom und Whatsapp nahtlos verbunden. Wir tauschen Skizzen, Fotos und Sprachnachrichten in Echtzeit aus. Die Besuche vor Ort sind wichtig, um die Fragestellungen des Projekts zu verstehen, dessen Planung und Bauteile in beiden Ländern gleichzeitig entstehen. Trotz unterschiedlicher Praxis und Baukultur teilen wir architektonische Ideen mit Freude und Leidenschaft. Die Zusammenarbeit mit Larbi Merhoum, Nawel Zemir, den algerischen Planerinnen und Handwerkern ist für uns eine wunderbare Erfahrung.»

Mohamed Larbi Mehrhoum: «Am Anfang haben wir uns vor allem getroffen, um Ideen und Inhalt der Architektur dieses Projekts zu besprechen. Mittlerweile dienen die wöchentlichen Zoom-Treffen dazu, die Konstruktion und einzelne Details zu verfeinern sowie den Bauablauf zu verwalten. Die Erfahrung mit den Kolleginnen aus der Schweiz ist bereichernd. Zusammen vereinen wir neue Ideen mit einer reichen lokalen Kultur. Wir lernen voneinander, und unsere Freundschaft wächst. In diesem gemeinschaftlichen Ganzen finden wir zusammen.»

Residenz des Schweizer Botschafters, Algier

 

Schweiz
Lütjens Padmanabhan Architekt*innen, Pauline Delorme (Projekt­leiterin), Zürich; Bundesamt für Bauten und Logistik BBL, Bern

 

Algerien
Mohamed Larbi Mehroum Architectes, Algier

 

Auftrag
1. Preis einstufiger Wettbewerb im selektiven Verfahren 2017

Nigeria: Makoko Neighborhood Hotspot, Lagos

Der Makoko Neighborhood Hotspot befindet sich in Lagos’ berühmtester Gemeinde am Wasser mit niedrigem Einkommen. Der Hotspot ist klein (200 m²) und Teil einer grösseren Initiative des Makoko / I waya Waterfront Regeneration Plans und anderen lokalen NGOs sowie Akademikerinnen und Aktivisten. Der Ort bietet der mehrheitlich armen, vernachlässigten Stadt­be­völ­ke­rung – den Slumbewohnerinnen und -Bewohnern – grundlegende städtische Dienstleistungen wie Abwasser- und Abfallentsorgung, einen öffentlichen Raum als Treffpunkt zum Diskutieren oder Essen. Das Projekt wurde finanziell von einer Allianz unterstützt, zu der die Schweizer Botschaft in Nigeria und das Generalkonsulat der Bundesrepublik Deutschland in Lagos gehören.

Fabienne Hoelzel: »Wir arbeiten wenn möglich vor Ort zusammen. Wenn das nicht geht, dann kommunizieren wir per Whatsapp oder E-Mail. Was wir tun, ist immer schwierig, denn es gibt wenig Mittel und viel Arbeit. Je nach Fall, Konstellation und Finanzierung arbeiten wir von Zürich, Stuttgart und Lagos aus.»

Aro Ismaila, Yewande Morris, Lookman Oshodi: »Der Makoko Neighborhood Hotspot verkörpert alles, was wir tun: Er nutzt Architektur, um mehr Gerechtigkeit und Demokratie in der Gesellschaft zu erreichen. Das Projekt wird von dem Gedanken geleitet, dass alle ein Leben als vollwertige Menschen geniessen können, frei von Ausbeutung und Diskri­minierung.«

Makoko Neighborhood Hotspot, Lagos

 

Schweiz
Fabulous Urban, Zürich, Fabienne Hoelzel (Gründerin, Inhaberin, Direktorin)

 

Auftraggeber
Allianz versch. Partner, u.
a. die Schweizer Botschaft in Nigeria

 

Nigeria
Fabulous Urban, Nigeria Foundation, Lagos, Fabienne Hoelzel, Vorstand: Aro Ismaila (Projektleiter), Yewande Morris (Projekt- und Büroleiter), Lookman Oshodi

Senegal: Frauen- und Kinderklinik, Tambacounda

Basierend auf einem Architekturwettbewerb beauftragte die Josef und Anni Albers Stiftung Manuel Herz Architects, die Frauen- und Kinderklinik in Tamba­counda, Senegal zu bauen. Die Stiftung engagiert sich dort seit vielen Jahren im Gesundheitswesen sowie in der Kunst und Kultur. In der ländlichen Region von Tambacounda hat die Stiftung zusammen mit Dr. Magueye Ba mehrere Kliniken und ein Zentrum für Artist in Residence errichtet.

Manuel Herz: «Für das Projekt war die Zusammen­arbeit mit Dr. Magueye Ba zentral. Er hat grosses Talent, Bauprojekte zu koordinieren und zu realisieren. Darüber hinaus brachte er seine Erfahrung als Arzt ein und agierte als «kultureller Übersetzer», um unsere Logik und Herangehensweise mit der örtlichen Kultur zu verknüpfen. Für uns war es wichtig, dass wir nur mit lokalen Fachleuten, Handwerkern, Experten und Materialien arbeiten, damit das Projekt in der örtlichen Gesellschaft verankert ist. Über den Klinikbau hinaus sind noch weitere, kleinere Projekte entstanden, wie zum Beispiel eine Schule oder Kin­der­gärten. Ein Spielplatz am Krankenhaus und ein Wohnhaus für die Mitarbeitenden des Krankenhauses sollen bald realisiert werden. Die Idee für die Schule hatte Magueye Ba. Als ich mit ihm für das Krankenhaus eine Testfassade errichtete, machte er daraus eine Dorfschule. Ich sehe Magueye Ba als Co-Autor dieser Projekte an.»

Magueye Ba: «Manuel zeichnete klare und anschau­liche Pläne, wir schätzten seine Dynamik und Stringenz. Die Zusammenarbeit war perfekt und äusserst fruchtbar. Sie ermöglichte es, ein Gebäude zu errichten, das unseren Erwartungen entsprach. Darüber hinaus erhielten wir die Möglichkeit, die Kenntnisse unserer lokalen Arbeiter und Handwerker über architektonisch gestaltete Bauten zu vertiefen. Wir verfügen nun über eine für die Bevölkerung nützliche Gesundheitseinrichtung, aber auch über einen Bau mit natürlicher Belüftung – ein wichtiger ökologischer Aspekt in dieser sehr heissen Region Senegals. Wir kopieren das Modell nun für weitere öffentliche Gebäude.»

Klinik, Tambacounda

 

Schweiz
Manuel Herz Architects, Basel

 

Auftraggeberin
Josef und Anni Albers Stiftung, Bethany, Connecticut

 

Senegal
Dr. Magueye Ba (Arzt und Baumeister), Tambacounda

Tansania: Mangi Meli Remains, Ausstellungspavillon, Region Arusha

«Mangi Meli Remains» war eine temporäre mobile Ausstellungsplattform mit historischen Artefakten und einer Präsentation von Forschungsergebnissen. Sie zeichnete die Geschichte der sterblichen Über­reste von Chief Meli nach, der Ende des 19. Jahrhunderts die kolonialen Besatzer bekämpfte und dann exekutiert wurde. Das Gebäude bestand aus wiederverwertbaren und ausgeliehenen Bauteilen, die mittlerweile in anderen Projekten wiederverwendet werden. Im Jahr 2022 wurde die Ausstellungsplattform an vier Stand­orten in der Kilimandscharo-Region jeweils über einen Zeitraum von sechs Wochen gezeigt. Der Pavillon diente der Öffentlichkeit auch für Diskussionen, Künstlerworkshops und andere Aktivitäten. Der tan­sanische Kunstraum Nafasi Art Space sowie das Berliner Künsterkollektiv Flinn Works, das sich mit post­kolonialen Fragestellungen auseinandersetzt, fragten APC als Architekturbüro mit Schweizer und Tan­sa­nischer Beteiligung an, ob es an dem Projekt in­te­res­siert ist.

Gunter Klix: «Als Architekturbüro arbeiten wir in diesem Projekt, aber auch in vielen anderen Ländern Ostafrikas, mit einer relativ anarchischen Mischung von Kommunikationsformen. Das fängt niederschwellig mit Messaging-Diensten wie Whatsapp an und reicht zu solarbetriebenen, mobilfunkgestützten Baustellenkameras. Vieles schicken wir auch physisch hin und her – Skizzen­rollen von Zürich nach Tansania, Materialproben und Muster von dort wieder zurück in die Schweiz. Besonders um neue Kontakte zu etablieren oder einen Entwurf entscheidend vorwärts zu bringen, treffen wir uns vor Ort.»

Comfort Mosha: «Die Abgelegenheit des Projekts machte die Arbeit herausfordernd, aber auch spannend, da wir die Möglichkeit hatten, die Technologie zu unserem Vorteil zu nutzen. Da sich unser Büro in Dar es Salaam befindet, konnten wir die Fortschritte auf der Baustelle überwachen und effizient koordinieren. Verbunden mit den persönlichen Besuchen vor Ort in Engare Nanyuki in der Region Arusha gelang es uns, den Pavillon mit Kunden, Bauunternehmern und Beratern erfolgreich umzusetzen. Dies hatte den Vorteil, dass wir die Detailplanung rechtzeitig verfeinern konnten, um sie besser an die örtlichen Gegebenheiten anzupassen. Dies empfand ich persönlich als erfolgreich und vorteilhaft für uns und das Team.»

Mangi Meli Remains, Ausstellungspavillon, Arusha

 

Schweiz
Gunter Klix, dipl. Arch. ETH, Architectural ­Pioneering Consultants, Zürich und Dar es Salaam (Partner und Geschäfts­führer), Zürich

 

Auftraggeber
Kunstraum Nafasi Art Space und Kollektiv Flinn Works, Berlin

 

Tansania
Comfort Mosha, MSc. Arch. HCU, Architectural ­Pioneering Consultants, Zürich und Dar es Salaam (Partnerin), Dar es Salaam

Ägypten: Lehmpavillon, Hotel Marsam, Luxor

Während einer zweiwöchigen Summer School in Luxor, Ägypten bauten Architekturstudierende der Berner Fachhochschule am Westufer des Nils einen vier Meter hohen Pavillon mit einer Grundfläche von 16 m2. Es ist ein wichtiger historischer Ort, wo sich auch das Tal der Könige befindet. Ziel war, die alte nubische Technik der Lehmarchitektur ohne eine tragende Struktur kennenzulernen. Begleitet von täglichen kulturellen Inputs und Besuchen historischer Stätten sollten die Studierenden diese einfachen Konstruk­tionsprinzipien praktisch, live und in einer realen Situation erlernen.

Charles O. Job: «Die Studierenden wurden von erfahrenen einheimischen Bauarbeitern betreut, die kein Englisch sprachen. Der Prozess machte deutlich, wie wichtig einfache Kommunikationsmittel bei der Herstellung von Architektur sind. Rudimentäre massstäbliche Modelle aus verfügbaren Materialien sowie Zeichnungen, guter Wille, hohe Motivation, viel ägyptischer Tee und Musik halfen bei der Umsetzung.»

Hotel Marsam: «Für die ägyptische Seite war der Austausch mit den Studierenden aufgrund ihres Enthusiasmus und Wissensdursts eine erfrischende und lohnende Erfahrung.»

Pavillon Hotel Marsam, Luxor

 

Schweiz
Prof. Dr. Axel Christoph Gampp und Prof. Charles O. Job, Berner Fachhochschule, Architektur; Studierende: Grünig Amanda, Balinzo Mirco Gianni, Blagojevic Marko, Bucher Cédric, Cibolini Salvatore Decesare, Francis Ledin Ladiesmas, Hauser Imanuel, Lerch Adrian, Nyffenegger Jonas Martin, Spicher Kevin, Vogt Pascal, Werren Davide Andrean

 

Ägypten
Auftraggeber: Hotel Marsam, Luxor

Dieser Artikel ist erschienen in TEC21 14/2023 «Nachbarn über Kontinente».

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