Ge­schickt ge­sta­pelt und ver­dre­ht

Wie der Verzicht auf ein eigenes Auto entwickelt sich in manchen Kreisen auch das Wohnen auf begrenztem Raum zu einem Statussymbol. Bei den fünf aneinandergeschmiegten Häusern von Dual Architekten in schönster Lage in Bern prägt der Wechsel zwischen Enge und Weite den Innenausbau.

Data di pubblicazione
29-04-2022

Gerade dort, wo sich die städtische Be­bauung langsam auflöst und als einzeln hingetupfte Villen der Landschaft unterzuordnen beginnt, steht ein kompakter, aufragender Baukörper. Die dichte Setzung und die vertikale Entwicklung der Reihenhäuser verdeutlicht die erklärte Absicht, möglichst wenig Fläche zu beanspruchen – wohlgemerkt im Rahmen von luxuriösem Wohneigentum, also im Bezug auf die Grösse ungebunden und mitnichten an der unteren Quadratmeterzahl pro Person. Die Bebauung entstand im Rahmen eines privaten Wettbewerbs auf dem weitläufigen Grundstück einer Villa. Die Besitzer wünschten sich einen Bau, der energetisch, mate­rialbezogen, aber auch im Sinn der ausgewählten Handwerksbetriebe einen Beitrag zur Nachhaltigkeit leistet. In den fünf Jahren, die die Häuser inzwischen bewohnt sind, haben sich die Grundrisse mit ihrem durchdachten Innenausbau bewährt und zeigen Ideen zum Umgang mit begrenzten Flächen auf.

Wie eine Leitplanke aus grauem Holz, Beton und Stein folgt die Form des Baukörpers dem gebogenen Strassenverlauf, der zum Flussufer der Aare hin abfällt. Bei näherer Betrachtung zeigt sich seine Gliederung in fünf individuelle Wohneinheiten. Innerhalb deren unterliegt sowohl die Strassenfassade als auch die Gartenfassade einem eigenen orthogonalen System, das sich innenräumlich verknüpft. Es entstehen mehreckige Räume, die aber einer klaren Systematik entspringen.

Die Strassenfront grenzt sich nur minimal vom öffentlichen Raum ab. Eine niedrige Mauer signalisiert den Übergang vom sparsamen Trottoir zu den Eingangsbereichen, die in das Volumen eingeschnitten sind. Diese Vorsprünge und die leicht höhere Ebene, auf der das Haus steht, gewährt den Bewohnenden etwas Privatheit. Skulpturale Spindeltreppen in den Eingangsnischen dienen den Haustüren als schützendes Dach und wirken zugleich identitätsstiftend. Mit knospenartigen La­ternen, deren Form an die der Pariser Metroeingänge erinnert, einem Klingelknopf im Stängel und ihrer ­beschwingten Form bis hinauf auf das Dach rhythmisieren sie das Volumen und signalisieren einen gewissen Eigensinn.

Masse gegen Platz

Die Ausblicke in die offene Landschaft unterstützen den Eindruck von Weite: Das Verhältnis der schmalen Räume zu den grossen Öffnungen bewirkt, dass die Ferne gleichsam in den Innenräumen präsent ist. Dabei sind die Fenster so platziert, dass sie sich wie ein Leporello in verschiedensten Winkeln der Landschaft zuwenden. Sollte sich ein benachbarter Raum ins Blickfeld schieben, ist die Fassade dort geschlossen. Dieses Zugeständnis an die Privatheit kann man natürlich auch als verpasste Chance betrachten: Durch die bauliche Form erhält die Kommunikation innerhalb der Häuserzeile keine Unterstützung.

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Im Haus am unteren Ende des Baukörpers beschränkt sich die differenzierte Grundfläche auf 60 m2, von denen jeder einzelne Quadratmeter ausgenutzt wird. Der gläserne Eingang lässt den Blick von der Strasse hinein, durch das Haus hindurch und durch das Küchen­fenster über die rückwärtigen Wiesen gleiten. Beim Betreten steht man ohne Umschweife in der Küche. Zugleich ist der Eingang auch der Ort für die Garderobe und erste Ablagen, was den Bewohnenden ein gewisses Organisationstalent abverlangt. Denn Wandflächen, die sich dafür anbieten würden, sind zugunsten der Fenster und der offenen Raumfolge rar.

Zu beiden Seiten der Küchenmöbel, die das zent­rale Fenster umrahmen, lösen sich die Schränke zu Regalen auf und leiten in die anschliessenden Bereiche über, die hier zum Wohnen und Essen und zugleich als Bibliothek eingerichtet sind. Breite Eichenholzdielen verlaufen im rechten Winkel zur Eingangsfront, wogegen sich die sichtbare massive Holzdecke parallel erstreckt. Es sind konstruktive und gestalterische Details wie diese, die den Raum zusammenhalten und zugleich gross erscheinen lassen.

Im ganzen Haus überzieht eine Schicht von Einbauschränken und Schiebetüren die Ecken und Vor- und Rücksprünge des Baukörpers und modelliert ihn zusätzlich. Zwischen den zugespitzt engen und weiten Bereichen fliesst der Raum, unterstützt durch eine geschickte Tageslichtdramaturgie: Oftmals ist erst das Licht und dann das Fenster zu sehen, durch das es einfällt. Eine weitere Raffinesse ist die Verschränkung der beiden orthogonalen Grundrisssysteme der Vorder- und der Rückfassade am Treppenlauf: Durch eine leichte Drehung der Antritte beginnt und endet die Treppe parallel zur Gartenfassade, und es scheint, als ob sich die anschliessenden Raumfluchten perspektivisch ­aufweiten. Wie eine Bühnenkulisse staffeln sich Einbauten und Sideboards entlang der Wände und schaffen die Illusion einer Tiefe.

Im Obergeschoss führt der kleine zentrale Angelpunkt zwischen den flankierenden Räumen und einem Bad zugleich auch nach aussen auf die Spindeltreppe. Mit Ausblick zur Strasse lässt es sich hier wie auf einer kleinen Terrasse sitzen, falls einem mal nicht der Sinn nach Natur stehen sollte. Und wenn doch, folgt man den Stufen hinauf in den Garten auf der Dachebene, der eingesunken hinter der vertikalen Fassade aus Weisstannenholz liegt. Ob drinnen oder draussen: Die vertikale Erschliessung spielt eine grosse Rolle. Das wirft für das Wohnen im Alter Fragen auf, die innerhalb der Flächen nicht zu lösen sind und der Idee einer langfristigen Nutzung entgegenstehen.

Ohne Zäune und Türen

Über die ganze Länge nimmt der vorgelagerte Streifen mit den direkten Zugängen auf, was im Innern keinen Platz hat. Entsprechend der Verlagerung der Treppe vom ersten Geschoss zum Dach in den Aussenraum verläuft auch der Zugang zum Keller aussen: Hier teilen sich jeweils zwei Nachbarn eine Treppe, die zwischen ihnen im Vorgarten liegt. Dieser Schachzug ist symptomatisch für den ökonomischen Umgang mit umschlossenem Wohnraum, der dieses in manch anderer Hinsicht luxuriöse Projekt auszeichnet. Die Umkehrung der ­üblichen Abgrenzung zum Aussenraum in eine Integration der Umgebung in die Wohnungen schafft die Grundlage für eine hohe Aufenthaltsqualität. Unterstützt wird sie von den an die Architektur angeschmiegten Einbauten und den offenen Grundrissen, durch die das Tageslicht von allen Seiten einfallen kann. Unter dieser Prämisse haben die Architekten Räume geschaffen, für deren individuelle Möblierung zwar nicht viel Spielraum bleibt, die abgesehen von einzelnen Setzungen aber auch nicht nötig ist.

Dieser Artikel ist erschienen in TEC21 13/2022 «Weite, komprimiert».

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Auftragsart
Privater Wettbewerb

 

Planung und Bauzeit
2011–2017

 

Bruttogeschossfläche BGF
805 m2

 

Wohnfläche
Zwischen 125 und 192 m2 (2 Etagen plus Dachterrasse)

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