«Ve­rän­de­run­gen brau­chen Zeit»

Zehn Jahre liess die Stadt Zürich erforschen, wie der Energiekonsum in Haushalten und im Gebäudebereich reduziert werden kann. Zum Abschluss konnte keine Breaking News  präsentiert werden. Aber nur etwas tun wollen, genüge nicht, sagt Programmkoordinator Reto Dettli.

Data di pubblicazione
23-05-2021


TEC21: Reto Dettli, Sie haben das Energieforschungsprogramm der Stadt Zürich koordiniert. Was sind die Haupterkenntnisse?

Reto Dettli: Herausgefunden haben wir, dass nicht eine Einzelmassnahme respektive eine einzelne Intervention zum Erfolg führt. Um Veränderungen beim Energiekonsum oder im individuellen Lebensstil herbeizuführen, braucht es ein breites Massnahmenspektrum und Zeit.


TEC21: Was ist mit diesem Programm genau untersucht worden?

Reto Dettli: Die Hauptfrage war, inwiefern freiwillige Verhaltensänderungen den Energiekonsum beim Wohnen oder in der Mobilität reduzieren können. Wir haben die Forschung ganz bewusst auf das Nutzerverhalten gerichtet und es an der Nahtstelle zwischen Verhaltenswissenschaften und neuen Technologien angesetzt. Als wir vor zehn Jahren begannen, war eine derartige sozialwissenschaftliche Ausrichtung einzigartig für die Energieforschung. Ob Gesetze akzeptiert werden, oder wie sich staatliche Förderbeiträge auswirken, interessierte uns dabei nicht.


TEC21: Wissen Sie nun genauer, ob es sich in der Energiepolitik lohnt, auf freiwillige Massnahmen zu setzen?

Reto Dettli: Die Untersuchungen haben gezeigt, dass das Potenzial für freiwillige Verhaltensänderungen erheblich ist. Sie sind also wichtige Massnahmen für den Vollzug. Das bestätigt sich etwa in der grossen Bereitschaft der Stadtzürcherinnen und Stadtzürcher, weniger zu fliegen, weniger Wohnfläche zu nutzen und sich klimaschonender zu ernähren. Sozialwissenschaftlich lassen sich Verhaltensänderungen weiter durchleuchten. So sind folgende drei Aspekte dafür vorauszusetzen: Jeder muss wollen, es können und schliesslich auch tun. Das heisst, das Wissen allein oder die Fähigkeit, etwas beeinflussen zu können, reicht nicht, um selbst aktiv zu werden.


TEC21: Also braucht es doch Vorschriften?

Reto Dettli: Nicht unbedingt. Am Schluss braucht es vielleicht nur einen Schubser, der seinerseits auf Freiwilligkeit beruht. So haben wir beispielsweise einen Wettbewerb für städtische Personalrestaurants durchgeführt. Der Gewinnerbetrieb hat 42 % der CO2-Emissionen, die mit der Ernährung zusammenhängen, reduziert. Dies bei gesteigerter Zufriedenheit der Gäste, wohlgemerkt!


TEC21: Welche weiteren positiven Erkenntnisse lassen sich aus dem Energieforschungsprogramm ziehen?

Reto Dettli: Das Programm hat einen ganzen Strauss aus Massnahmen zum Wohnen, zur Mobilität und Ernährung untersucht. Doch den schlafenden Riesen haben wir nicht entdeckt – es gibt ihn nicht. Wirksam ist ein Mix aus verschiedenen Instrumenten wie Anreize, Förderung, Vorschriften und eine passende Infrastruktur. So kann ein klimafreundlicher Lebensstil von der Stadt begünstigt werden, indem eine CO2-arme, öffentliche Energieinfrastruktur aufgebaut wird. Doch ebenso wichtig sind Leute, die engagiert vorangehen, um einen 2000-Watt-tauglichen Lebensstil zu ermöglichen.


TEC21: Lassen sich Haushalte einfach zum Energiesparen motivieren?

Reto Dettli: Wir haben in einem Feldversuch mit individualisierter, elektronischer Energieberatung gemerkt, wie schwierig namhafte Einspareffekte zu erreichen sind. Die Ausgaben der Haushalte für Strom sind wenig budgetrelevant, und es braucht oft technische Hilfsmittel, zum Beispiel eine effizientere Beleuchtung. Beim Heizen oder im Umgang mit Warmwasser sieht es anders aus. Ein Heizkörper oder ein Warmwasserhahn lässt sich einfach regulieren, um Energie einzusparen. Die Einflussmöglichkeiten sind beim Wärmekonsum viel grösser als beim Strombezug.


TEC21: Was sollte davon für die Umsetzung der Energiepolitik berücksichtigt werden?

Reto Dettli: Wir haben beispielsweise gesehen, dass ein Eins-zu-eins-Ersatz, also fossile Heizung durch fossile Heizung ersetzen, immer noch die Regel ist. Deshalb untersuchten wir, wie Hauseigentümer diese Entscheidung anpacken. Welche Abläufe prägen die Auswahl eines Heizungssystems? Herausgefunden haben wir: Professionelle Hausverwaltungen funktionieren anders als Eigentümer von Einzelimmobilien. Erstere lassen sich von Planungsprofis sowie Architektinnen und Architekten beraten. Zweitere schenken dem Heizungsinstallateur mehr Gehör.


TEC21: Wie kann das Forschungsprogramm helfen, dass der Anteil der erneuerbaren Energien beim Heizungsersatz erhöht wird?

Reto Dettli: Die Auswertung der Befragungen zeigt, dass viele Eigentümerschaften nur wenig über erneuerbare Energiesysteme wissen. Auch hier sollen unsere Forschungsresultate ansetzen. Da die Anwendungsorientierung sehr wichtig war, arbeiteten wir sehr eng mit der Stadtverwaltung zusammen. Dies kann nun unmittelbar sicherstellen, dass Erkenntnisse eins-zu-eins in die Tätigkeiten die Umsetzungsarbeit einflossen.


TEC21: Sind differenziertere Aufklärungskampagnen und Beratungsangebote erforderlich?

Reto Dettli: Immobilienbewirtschafter sind eine Zielgruppe, die man in der Umsetzungspraxis nicht vernachlässigen sollte. Zudem sind wir auf Erkenntnisse gestossen, die auch für andere Städte von Interesse sind. Unter anderem wissen wir, wem der Gebäudepark gehört. In Zürich sind 80 % der Gebäude und Wohnungen in den Händen einer überschaubaren Zahl von Akteuren, nämlich rund 500 grossen Immobilieneigentümerschaften. Diesen Kreis haben wir im Forschungsprogramm angeschrieben, um Workshops über Erneuerungsstrategien zu organisieren. Die Absicht dahinter war, mit ausgewählten Akteuren eng und intensiv zusammenzuarbeiten.


TEC21: Wie gross ist die Bereitschaft der Eigentümer, sich an dieser Diskussion zu beteiligen und sich mit Klimaschutz auseinanderzusetzen?

Reto Dettli: Der Austausch mit Vertreterinnen und Vertretern grosser Immobilieneigentümerschaften war ein Erfolg. Daraus entstand eine homogene und aktive Stakeholder-Gruppe. Ähnliches versuchten wir mit kleineren Genossenschaften und Stockwerkeigentümerschaften. Da die gruppenspezifischen Ziele untereinander aber zu unterschiedlich waren, brachte dieser Austausch keinen Erfolg.


TEC21: Besteht die Gefahr, dass die Wirkung des Forschungsprogramm verpufft?

Reto Dettli: Nein, denn dank unserer Koordination hat sich unter den Grosseigentümern eine Gruppe etabliert. Deren Mitglieder haben den Erfahrungsaustausch mit der Stadt und untereinander schätzen gelernt. Deshalb entschlossen sie sich für eine Fortsetzung unter dem Dach der Energieagentur der Wirtschaft. Das heisst: Sie setzen nun gemeinsam konkrete Energiesparmassnahmen und Erneuerungsstrategien um.


TEC21: Überraschend ist die Erkenntnis, dass der Gebäudesektor 70 % des Endenergieverbrauchs in der Stadt Zürich verursacht. Das ist deutlich mehr als der nationale Durchschnitt. Wie kommt das?

Reto Dettli: Zum Gebäudesektor zählen nicht nur Wohnhäuser, sondern auch Bürobauten. Demgegenüber ist die Industrie im Gegensatz zur Dienstleistungsbranche kaum vertreten. Insofern hat die Stadt Zürich im Gebäudebereich viel Potenzial, um das Klima zu schützen. Weil man weiss, mit welchen Technologien hier die Reduktionsziele erreicht werden können, wird eine konsequente Umsetzung in der Praxis umso wichtiger.


TEC21: Wurden neben Eigentümern auch andere Stakeholder im Gebäudebereich wie Architekten, Fachplaner oder Installateure in die Forschung involviert?

Reto Dettli: Teilweise ja. Um Hemmnisse und Lösungsansätze im Planungs- und Bewilligungsverfahren von Gebäudeerneuerungen zu untersuchen, wurde der Dialog zwischen Gebäudeeigentümerschaften, Bauprofis und städtischer Behörde initiiert. Daraus ergaben sich wertvolle Informationen und Hinweise, wie Bewilligungsabläufe oder das Planungsverfahren zu vereinfachen sind.

Günstige Ausgangslage, langfristige Kampagnen

 

Vor 13 Jahren verschrieb sich die Stadt Zürich einem 2000-Watt-Absenkpfad. Die Gemeindeordnung wurde mit einem Nachhaltigkeitspassus ergänzt, wonach der städtische Energiekonsum deutlich zu senken ist. Um zu erforschen, wie dieses Ziel erreicht werden soll, stellte das Stadtparlament ein 10-Mio-Franken-Budget bereit. Unter Federführung des städtischen Energieversorgers liess man insbesondere den Privathaushalt und den Gebäudebestand durchleuchten. Ende letzten Jahres kam die «Energieforschung Stadt Zürich» zum Abschluss. Pandemiebedingt konnten die Erkenntnisse erst in diesem Frühjahr präsentiert werden.

 

Der Stadtbevölkerung wird eine gute Ausgangslage attestiert, den eigenen Energiekonsum verringern zu können. Dies führt Stephan Hammer, Programmleiter Haushalte, etwa auf «eine gut ausgebaute ÖV-Infrastruktur» zurück. Doch ohne verbindliche Regeln und langfristige Kampagnen seien keine weiteren Spareffekte zu erzielen. Stefan Rieder, Programmleiter für die Gebäudebewirtschaftung, sprach in seiner Abschlussbilanz dagegen von Hürden und Hemmnissen. Der «ökonomische Aufwand und baurechtliche Vorgaben» hinderten viele Hauseigentümer an einer energetischen Erneuerung. Allerdings sei oft auch «wenig bekannt», wie man Energie sparen könne.

 

Als das städtische Energieforschungsprogramm begann, waren 2000-Watt-Vorgaben aktuell. Inzwischen hat sich die kommunale Klimapolitik ein neues Ziel gesetzt: «Netto Null bis 2040». Daher wünscht sich der Zürcher Stadtrat Michael Baumer nun, dass die Forschungsresultate auch der «Vorbereitung für konkrete CO2-Reduktionsmassnahmen» dienen können.

 

Link zu Synthese und über 60 Forschungsprojekten: https://energieforschung-zuerich.ch

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