Vom Kunst­tem­pel zum of­fe­nen En­sem­ble

Erweiterung Kunsthaus Zürich

Die Kunsthaus-Erweiterung in Zürich von David Chipperfield Architects und die bestehenden Gebäude am Heimplatz bilden zusammen das grösste Kunstmuseum der Schweiz. Der Neubau soll nicht bloss mehr Platz für die wachsende Sammlung bieten, sondern als «Museum des 21. Jahrhunderts» die Position Zürichs unter der Metropolen der Welt festigen.

Data di pubblicazione
11-12-2020

Die Geschichte des Kunsthauses am Zürcher Heimplatz ist eine Geschichte des Weiterbauens. Der Kernbau des Architekten Karl Moser von 1910 wurde durch Anbauten auf der eigenen Parzelle bereits dreimal erweitert. Dabei repräsentieren die im Generationentakt entstandenen Bauten nicht nur unterschiedliche architektonische Haltungen und Ausstellungskonzepte, sondern dokumentieren die sich wandelnde Rolle des Kunsthauses im öffentlichen Leben der Stadt.

Das erste Gebäude von Karl Moser war als «Kunst­tempel» im Jugendstil konzipiert. Der Sammlungsbau mit einem zentralen Portikus und der zurückversetzte Ausstellungsflügel bieten in klaren Symme­trien angeordnete Ausstellungsräume, feste Rundgänge und inszenierte Blickbeziehungen. Auch wenn das Kunsthaus damals an drei Tagen im Monat für alle Besucher kostenfrei zugänglich war, richtete sich sein räumliches Angebot in erster Linie an Kunstliebhaber.

Fünfzehn Jahre später fügte Moser dem Sammlungsgebäude gartenseitig eine Bibliothek und eine Skulpturengalerie hinzu. Die nächste signifikante Ergänzung realisierten 1958 die Gebrüder Pfister. Der lang gestreckte, auf ­Pilotis stehende Bau im Stil der moderaten Moderne schliesst seitlich an den Moser-Bau an. Unter dem grossen, stützenlosen Saal für Wechselausstellungen befinden sich hinter einer offenen Glasfront das Kunsthaus-Restaurant und der Vortragssaal – öffentliche Nutzungen, die den Heimplatz beleben.

Auch der Anbau von Erwin Müller aus dem Jahr 1976 bildet zur Rämistrasse einen kleinen Vorplatz aus, zu dem Räume mit grossen Vitrinen orien­tiert sind. Ursprünglich mit kleinen Geschäften besetzt, beherbergt er heute die Kunsthaus-Bibliothek.

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Die verschiedenen Eingriffe zeigen, dass sich die Institution Kunsthaus durch die transparente Gestaltung der Erdgeschosszonen und neue öffentliche Nutzungen immer stärker mit der urbanen Umgebung verwebte und gegenüber dem breiten Publikum der Stadt öffnete. Das festigte die Rolle des zeitgenössischen Museums als Ort der Kommunikation und Vermittlung.

Die aktuelle Erweiterung des Kunsthauses trägt diese Idee konsequent weiter. Sie bietet Platz für Kunst ab 1960 aus den Beständen des Kunsthauses und der Fondation Hubert Looser. Mit dem Zuzug der Sammlung Emil Bührle wird die französische Malerei einen Schwerpunkt bilden, der ausserhalb von Paris seinesgleichen sucht. Die private Kollektion von Werner und Gabriele Merzbacher setzt als Fest der Farbe einen epochenübergreifenden Akzent. Dazwischen liegen ein ­Bereich für thematische und monografische Wechsel­ausstellungen und Interventionsflächen, die temporär performative, installative und audiovisuelle Werke aufnehmen.

Mit diesem kuratorischen Konzept gibt das neue Kunsthaus der Kunst beiderseits des Heimplatzes ein zukunftsweisendes Obdach. Neben klassischen und flexiblen Ausstellungsräumen entstehen dynamische Orte der Begegnung, die offen zugänglich sind und Kunst aus dem öffentlichen Raum erlebbar machen.

Zürich und das Kunsthaus wachsen gemeinsam

Die Ausdehnung des Kunsthauses ist nicht nur für die Positionierung des Museums im internationalen Kunstbetrieb wichtig. Auch die wachsende Stadt Zürich profitiert vom grösseren Kulturangebot und neuen öffentlichen Orten. Ein Masterplan für das Hochschulgebiet definiert den Rahmen für das gemeinsame Wachsen.

Die Kunsthaus-Erweiterung soll zusammen mit den bestehenden Kulturbauten am Heimplatz, darunter auch das Schauspielhaus, den städtebaulichen Auftakt der geplanten «Kultur- und Bildungsmeile» bilden. Ihre Planung ist deshalb eine Kollaboration zwischen der öffentlichen Hand und der Institution. Als gleichberechtigte Partner bilden die Stadt Zürich, die Zürcher Kunstgesellschaft und die Stiftung Zürcher Kunsthaus die Bauorganisation «Einfache Gesellschaft Kunsthaus-Erweiterung» (EGKE). Die EGKE tritt als Bauherrschaft auf. Das Amt für Hochbauten der Stadt Zürich hat das Projektmanagement inne.

Das Vorhaben wird mit je 88 Millionen Franken seitens des Kunsthauses und der Stadt Zürich finanziert, der Kanton beteiligt sich mit weiteren 30 Millionen. Zudem wird das Grundstück zwischen dem Heimplatz und der Kantonsschule im Baurecht vom Kanton an die ­Stiftung Zürcher Kunsthaus übergeben. Die Zusammenarbeit zwischen der öffentlichen Hand und dem Kunsthaus Zürich hat hier eine lange Tradition, denn schon beim ersten Museumsbau am Heimplatz waren die Stadt und das Stimmvolk in den Entscheidungsprozess und die Finanzierung des Bauvorhabens involviert.

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Nach einer Volksabstimmung 1906 zugunsten des Kunsthausbaus überliess die Stadt das heutige Grundstück im Südwesten des Heimplatzes der Kunstgesellschaft und unterstützte das Projekt mit 100 000 Franken. Im Wettbewerbsverfahren von 1904 fungierte zudem der da­ma­lige Stadtpräsident und Architekt Hans Konrad Pestalozzi als Jurypräsident.

Heute ist die Stadt Zürich im Rahmen einer Public-Private Partnership selbst ein Mitglied der ­Bauherrschaft. Das Amt für Hochbauten führte 2008 einen international ausgeschriebenen, anonymen Wettbewerb im selektiven Verfahren durch.

Aus den 214 Bewerbern qualifizierten sich 20 Teams – elf aus der Schweiz, sieben aus Europa und zwei aus Übersee – darunter internationale Büros wie Caruso St John, London, aber auch bekannte Schweizer wie die zweitrangierten Gigon/Guyer, Diener & Diener, Max Dudler, Meili Peter, Miller & Maranta oder pool Architekten (vgl. «Wettbewerb Erweiterung Kunsthaus Zürich»).

Bezug zur städtischen Bautradition

Die Teams hatten die schwierige Aufgabe zu bewältigen, ein grosses Volumen auf einem kleinen Baufeld zu ­realisieren und dabei den Neubau in den Massstab der historischen Umgebung behutsam einzufügen.

Die Entscheidung fiel 2008 für das Projekt von David Chipperfield Architects aus Berlin und des belgischen Landschaftsarchitekturstudios Wirtz Inter­national. Der Vorschlag überzeugte die Jury durch eine klare städtebauliche Setzung, die den «Rhythmus zwischen öffentlichen Aussenräumen und Gebäuden entlang der Hochschul-Meile» verstärkt und «eine ­ starke städtische Stimmung» am Heimplatz schafft.

Auch der kompakte, fast quadratische Grundriss, die einfache Erschliessung und die Lichtführung wurden als sehr gut bewertet. Die Fassadengestaltung erntete jedoch wegen ihrer «Faszination für Historismus» ­Kritik. Die strenge Gliederung und behutsame Materia­lisierung der Fassade mit Bezug zu der Bautradition der öffentlichen Gebäude der Stadt war dennoch «eine der besten unter den vorgeschlagenen Lösungen».

Ein Museumsplatz für Zürich

Man könnte den Erweiterungsbau als Objekt, aber auch als ein urbanes Element betrachten. Es ist kein kleines Gebäude in einer Parkanlage, sondern ein ­grosses Volumen, das im Zusammenspiel mit dem bestehenden Kunsthaus-Ensemble und dem Schauspielhaus den Heimplatz räumlich fasst. Hier handelt es sich nicht um eine Erweiterung, die an das bestehende Gebäude anschliesst, sondern um eine, die nur durch den gemeinsamen öffentlichen Raum des Heimplatzes als solche möglich ist. Der Heimplatz wird für das Kunsthaus von grosser Bedeutung sein, denn trotz der be­quemen unterirdischen Passage bildet er den primären Erschliessungsraum zwischen den sich gegenüber­stehenden Museumsbauten.

Entgegen den ursprünglichen Plänen im Wettbewerb konnten David Chipperfield Architects die weitgehende Übergabe des Platzes an den Langsamverkehr nicht durchsetzen. Die Jury liess diesen Punkt als wünschenswert, aber unrealistisch fallen. Auch der für die Gestaltung des Heimplatzes nachfolgende Wettbewerb konnte an der bestehenden Verkehrsführung nicht rütteln (vgl. «Studienauftrag Heimplatz Zürich»).

Aufgrund dieser urbanen Situation setzt der Vorschlag von Chipperfield auf Kontinuität und Dialog. Die visuelle Präsenz des bestehenden baulichen Ensembles des Kunsthauses im Innenraum der Erweiterung war ein wesentlicher Leitfaden des Konzepts. Der Bestand soll nicht wegen des Neubaus an Wichtigkeit verlieren. Die Inszenierung des Moser-Baus in der grossen Öffnung zum Heimplatz setzt diese Absicht überzeugend um.

Die Erweiterung ist zwar das grösste Gebäude auf dem Platz ­– ihr ruhiger Ausdruck nimmt den Neubau jedoch zurück. Die Fassade aus gesägtem Kalkstein ist von traditionellen Steinfassaden inspiriert, wie sie sowohl am Moser-Bau wie auch an anderen bedeutenden Gebäuden Zürichs zu finden sind. Dennoch ist zu bemerken, dass die Wucht des Baukörpers den gewünschten Dialog mit dem Aussenraum, gerade im Vergleich zu den anderen Bauten rund um den Platz, erschwert.

Mit dem Bereich aus hellem Marmor, der dem Neubau vorgelagert ist, ist bereits ein Anfang für die Umgestaltung des Heimplatzes gemacht: Der Belag soll sich später auf den Platz ausdehnen. Auf der nördlichen Seite des Erweiterungsbaus bildet ein zweiter öffent­licher Aussenraum – der sogenannte «Garten der Kunst» – einen Kontrapunkt.

Die Halle als städtischer Raum

Das zentrale Element des Entwurfs von Chipperfield ist die öffentliche Halle, die den Heimplatz über eine Treppe mit dem höher gelegenen Garten verbindet. Schon die Grösse des Raums hat eine urbane Dimension. Er spannt sich zwischen der Platz- und Gartenfassade auf und durchdringt das Gebäude in seiner gesamten Höhe. Die Wirkung wird über den visuellen Bezug durch grosse Fenster zu den angrenzenden Aussenräumen gestärkt. Im Hang hinter dem Garten findet die raumgreifende Treppenanlage ihre Fortsetzung in einer bestehenden Stiege hinauf zum Kantonsschulhaus.

Die Halle ermöglicht dem Besucher eine klare Orientierung, was für ein Gebäude dieser Grösse von entscheidender Bedeutung ist. Im Erdgeschoss schlies­sen alle öffentlichen Einrichtungen – die Bar, der grosse Veranstaltungssaal, der Museumsshop und die Kunstvermittlung – an sie an.

In den zwei Obergeschossen befinden sich beiderseits der Halle die Ausstellungsbereiche. In einer Abfolge von Volumen unterschiedlicher Grösse bilden sie das «Haus der Räume». Ihre Anordnung ermöglicht verschiedene Rundgänge. Die Enfiladen schaffen innerräumliche Blickbezüge und enden oft mit einem Ausblick in die Stadt. Das Tageslicht dringt im ersten Obergeschoss seitlich und im zweiten Obergeschoss durch Oberlichtöffnungen in das Gebäude ein und gibt dem Besucher zeitliche und räumliche Orientierung.

Eine Raffinesse in diesem klassischen Grundriss, der an Museumsbauten des 19. Jahrhunderts erinnert, sind die Räume für mittelgrosse Wechsel­ausstellungen. Ihre Position in den Gebäudeecken erlaubt es, sie während Umbauten vom Rundgang auszuschliessen, ohne den Rest der Ausstellung zu beeinträchtigen.

Volumen und Transparenz

Das richtige Mass an Offenheit und Geschlossenheit der Ausstellungsräume zu finden ist eine der Hauptherausforderungen im Museumsbau. Einerseits ist das natürliche Licht das schönste für die Präsentation von Kunst, andererseits sind grosse Öffnungen in der Fassade oft aus konservatorischen und kuratorischen Gründen problematisch.

An allen Seiten des Erweiterungsbaus ermöglichen grosse Fenster Einblicke von aussen, aber auch Ausblicke von innen. Das natürliche Licht tritt durch die besondere Tiefe der Fassade kontrolliert in den Innenraum ein. Die Lisenenstruktur vor den Fenstern funktioniert als Brise-soleil.

Die vielen Fassadenöffnungen sind gleichzeitig eine wertvolle Geste an den öffentlichen Raum der Stadt, denn sie gewähren Einblicke auf die Kunst, ohne dass man das Museum betritt. Diese transparente Wirkung wird vor allem abends, wenn das Gebäude von innen erleuchtet ist, stark erlebbar sein.

Der Erweiterungsbau bildet mit seinen offen zugänglichen Innen- und Aussenräumen ein neues urbanes Element im Stadtgefüge. Ob sein Herzstück – die zentrale Halle – als öffentlicher Ort nicht nur Museumsbesuchende, sondern auch Passanten anzieht, muss sich noch zeigen. Als grosser Ausstellungsraum und Veranstaltungsort hätte sie das Potenzial dazu.

Bauherrschaft
Einfache Gesellschaft Kunsthaus-Erweiterung (EGKE)


Projektmanagement Bauherrschaft
Stadt Zürich, Amt für Hochbauten


Eigentümerin
Stiftung Zürcher Kunsthaus (SZK)


Architektur
David Chipperfield Architects, Berlin


Tragwerksplanung
IG EKZH, Uster


HLKS-Planung
Polke, Ziege, von Moos, Zürich


Landschaftsarchitektur
Wirtz International, Schoten (B)


Bodenbeläge Holz
GDM Parkette, Uster


Natursteinarbeiten
ARGE Kunsthaus, Stuttgart


Messingarbeiten
Baur Metallbau, Mettmenstetten


Leuchten Ausstellung
Zumtobel Licht, Zürich


Kreditsumme
206 Mio. Fr. inkl. Reserven


Baubeginn
August 2015


Geplante Eröffnung
Herbst 2021

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