Kei­ne Ang­st vor Kar­bo­na­ti­sie­rung

Was braucht es, um ein über hundertjähriges Silo in Ateliers, Wohnungen und ein Restaurant umzugestalten? Einen Sinn der Beteiligten für einen besonderen Bau, clevere Lösungen für den Lastabtrag, eine ­fundierte Einschätzung der Schäden und auch den Mut, diese zuzulassen, ebenso aber Glück. Beim Silo Erlenmatt kam dies alles zusammen.

Data di pubblicazione
01-10-2020

Anfang des 20. Jahrhunderts steckte der Eisenbetonbau noch in den Kinderschuhen. Die Eigentümerin des Silogebäudes, die Basler Lagerungsgesellschaft BLG, warb in ihrem Prospekt sogar mit der neuen Bauweise: «Moderner Massivbau aus Beton mit Becherwerk», liest man da. Ein Becherwerk ist ein Aufzugsystem, das das Schüttgut vom Keller – hierher wurde es aus den Eisenbahnwaggons abgeschüttet – unter das Dach beförderte, von wo es in die einzelnen Silobe­hälter mit Förderbändern gebracht wurde.

Da die Erfahrung mit dem bewehrten Beton – bewährt hatte er sich in seiner kurzen Entstehungsgeschichte bis dahin noch nicht – also noch gering war, gingen gemäss einer Schrift zum 100-jährigen Bestehen der BLG 1978 die Kon­strukteure eher auf Nummer sicher. Dort heisst es: «Eine weitere wichtige ‹Premiere› fiel ins Jahr 1912, als die BLG als erstes Unterneh­men der Schweiz ein Getreidesilo erstellen liess, das zu den ältesten Eisen­betonbauten der Schweiz zählt. An die Stelle der Er­fah­rung, an der es den Bauleuten mit dieser neuen Bauweise damals noch mangelte, trat die Vorsicht: Die Konstruktion wurde mit bedeutend mehr Eisen verstärkt, als uns dies heute als notwendig erscheint. Dafür steht das Getreidesilo im Jahr des 100-jährigen Firmenjubiläums immer noch, und zwar so massiv ‹festgemauert in der Erden›, dass es bestens erhalten ist und keinerlei Risse auf­weist.»1

Den vollständigen Artikel finden Sie in TEC21 30/2020 «Gäste statt Getreide».

Laut Heinrich Schnetzer von Schnetzer Puskas Ingenieure ist diese Aussage so nicht haltbar. Vielmehr war das Gebäude natürlich auf gefüllte Silobehälter bemessen. Heute sind diese leer, so dass das Tragsytem genügend Reserven für die neue Nutzung aufwies. Der gesamte vertikale Lastabtrag des Gebäudes erfolgt heute daher nur über die bestehenden Stützen.

Neue Decken auf alten Stützen

Die Ingenieure konzipierten zusammen mit den Architekten zwei neue, an den Gebäudeenden angeordnete Treppenhäuser. Auch den übrigen horizontalen Lasten stemmen sich diese Erschliessungskerne entgegen. Zwei neue Decken über dem Erdgeschoss und dem 1. Stock – das Silogebäude hatte diese noch nicht, da die Speicher durchgängig waren – stabilisieren zusätzlich die Stützen in horizontaler Ebene und den ­gesamten Bau.

Die verbleibenden Silowände – einige mussten für den Bau der Treppenhäuser entfernt werden – ­haben im wahrsten Sinn des Wortes ausgetragen. Sie werden nicht mehr für den Lastabtrag des Gebäudes verwendet. Die Betonüberdeckung der Bewehrung ist zu gering – bei älteren Bauten ein häufiges Problem. Dies kann nicht nur zu problematischen Korrosionserscheinungen ­führen, auch im Brandfall hätten die Wände nicht genügend Widerstand. Die Silowände sind im heutigen Bau nur noch als nicht tragende Wände definiert.

Zunehmende Probleme mit sinkendem pH-Wert

Wie befürchtet, traten beim Silo tatsächlich Bereiche mit Karbonatisierung auf. Lokale Bewehrungskorrosion war daher nicht auszuschliessen. Was also tun? Eine Instandsetzung ist teuer und aufwendig. Die Planer entschieden sich, die Problematik ruhenden Auges zu betrachten. Das Gebäude bekam ja eine neue Fassade und wird zukünftig beheizt werden. Im dadurch entstehenden Innenklima sinkt die Luftfeuchtigkeit; mit einer schnell fortschreitenden Korrosion ist nun nicht mehr zu rechnen. Falls Korrosionserscheinungen weiterhin auftreten, würden diese langsam vonstatten gehen. Einzig in Räumen mit höherer Luftfeuchtigkeit – den Küchen und Nassräumen – wurden die Betonelemente mit einer Versiegelung versehen, um Feuchte­eintrag vorzubeugen.

Gemäss Heinrich Schnetzer kann man das Gebäude so ruhigem Gewissens der Zukunft übergeben: «Die unversiegelten Betonflächen sind alle sichtbar. Bei einer weitergehenden Korrosion würde es zu Beton­abplatzungen oder Rostflecken kommen. Im vorhandenen Milieu ist die Korrosionsgeschwindigkeit grundsätzlich klein. Eine allfällig erforderliche, lokale Sanierung wäre zeitlich problemlos möglich. Weil kein Salz vorhanden ist, ist das Korrosionsverhalten ‹gutmütig›. Es findet keine Lochfrasskorrosion mit grosser Querschnitts­reduktion während kurzer Zeit statt.»

Bewahren, um zu nutzen

Dieses anerkennenswerte Konzept, den Bestand zu belassen, erfordert natürlich ein gewisses Arrangement der heutigen Nutzer mit der alten Substanz – der Stahlbetonskelettbau basiert immerhin auf einem Achsraster von nur 4.74 m × 4.88 m. Dass damit aber dank der Erfahrung und dem Augenmass der Planenden ein interessantes Objekt entsteht, ist nicht nur begrüssenswert, sondern auch fair – schliesslich war das Silogebäude als Erstes da.

Anmerkung
1 Hans Peter Rittmann, «100 Jahre Partner Ihrer Ware» in: Basler Stadtbuch, 1978, Ausgabe 1979, 99. Jahr, Christoph Merian Stiftung, Basel.

Der Artikel beruht auf einem Text von Clementine Hegner-van Rooden aus «Schweizer Ingenieurbaukunst 2019/2020», Band 3, 128 Seiten, dreisprachig deutsch, französisch, italienisch, ISBN 978-3-9525101-0-0.

Beton-Karbonatisierung


Der die Bewehrung umhüllende Zementstein besitzt eine hohe Alkalität und einen pH-Wert von über 12 (zum Vergleich: Ein pH-Wert von 7 entspricht einer neutralen Lösung; darunter beginnt die Säure, darüber ist basisches Milieu). Verantwortlich für diesen hohen pH-Wert ist das bei der Hydratation des Zements entstehende Calciumhydroxid Ca(OH)2. Durch Aufnahme von Kohlendioxid CO2 aus der Luft entsteht aus dem Calciumhydroxid im Lauf der Zeit CaCO2, was als Karbonatisierung bezeichnet wird.
Dies geht mit einem Absinken des pH-Werts auf etwa 9 einher. Der basische Schutz durch das Calciumhydroxid für die Bewehrung nimmt also ab. Die Bewehrung kann, vor allem im feuchten Milieu, korrodieren. Durch eine Volumenzunahme bei dieser Art der Korrosion kommt es zu Absprengungen des die Bewehrung überdeckenden Betons. Das Eindringen der Karbonatisierung kann einige Zentimeter betragen und vor allem bei einer zu geringen Bewehrungsüberdeckung fatale Folgen haben.
Mit dem Aufsprühen eines Indikators (Phenolphtha­lein) auf einem Bohrkern respektive einer Bruchstelle des Betons kann man die Karbonatisierungstiefe erkennen. Färbt sich die Stelle violett, ist alles im grünen Bereich. Ein Ausbleiben der Verfärbung zeigt einen zu niedrigen pH-Wert im Beton an – die Bewehrung kann korrodieren.
(Peter Seitz)

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