«Die grös­ste Hür­de ist das Ver­trag­swe­sen»

Bereits seit 2014 wird Open BIM beim Neubau des Kinderspitals Zürich eingesetzt. Nico Ros von ZPF Ingenieure und Michael Drobnik von Herzog & de Meuron waren von Anfang an bei der Planung dabei.

Data di pubblicazione
18-09-2020

Inwieweit Building Information Modelling (BIM) in der Bauwelt angekommen ist, können am besten die beurteilen, die damit in der Praxis zu tun haben. Nico Ros von ZPF Ingenieure, die das Tragwerk des neuen Kinderspitals Zürich geplant haben, und Michael Drobnik, BIM-Manager des Projekts und Modellverantwortlicher Architektur seitens Herzog  & de Meuron, geben Einblicke in die digitale Welt.

TEC21: Wer hat den Anstoss dazu gegeben, BIM beim Neubau des Kinderspitals Zürich ein­zusetzen?

Nico Ros: Der Einsatz von BIM erfolgte auf Wunsch der Planer.

Michael Drobnik: 2013, also vor Projektbeginn, fassten wir intern den Gedanken, dass ein Projekt dieser Grössenordnung und Komplexität anhand von zeitgenössischen Arbeitsmethoden entwickelt werden sollte. Wir konnten glücklicherweise bereits positive und auch die notwendigen negativen Erfahrungen mit BIM-Projekten, vor allem in England und den USA, sammeln. Daher hatten wir eine Arbeitsgrundlage für den Projektbeginn.

Gemeinsam mit der Bauherrschaft machten wir die nötigen Schritte, damit das Kinderspital ein BIM-Projekt wird. Der erste, banale Schritt war, in den Verträgen erst einmal eine Open-BIM-Fähigkeit der zu beauftragenden Fachplaner zu fordern. So fängt man ein BIM-Projekt heute, 2020, natürlich nicht mehr an.

Aufbauend auf unseren Erfahrungen bei unserem Spitalprojekt Hillerød in Dänemark – dort gab es weit mehr Erfahrung, vor allem bei der Integration externer Datenbanken in die Welt der Modelle – entwickelten wir mit einigen unserer zukünftigen Planungspartner und Ernst Basler + Partner ein Konzept eines digitalen Mock-up, also der Simulation der Auswirkung von Open BIM mit besagten Datenbanken auf den Planungsprozess eines Spitals.

Eines unserer klassisch geplanten Projekte, REHAB, Basel, (Eröffnung 2002, Anm. d. Red.) haben wir noch einmal mit BIM in einer Vielzahl an kollaborativen Workshops durchgespielt. Wir mussten erst einmal voneinander lernen. Während in meiner Rolle als BIM-Manager KISPI die Mission eindeutig war, war unser Sparringspartner Claus Maier von EBP an einer öffentlichen Dokumentation interessiert. Daraus entstand der erste Open-­BIM-Leitfaden der Schweiz.

TEC21: Bis zu welchem Level wird BIM beim Kinderspital verwendet? Bezieht sich die Modellierung nur auf Planung und Umsetzung der Bauten, oder wird auch das spätere Gebäudemanagement angestrebt?

Nico Ros: Das Tragwerksmodell wurde in erster Linie für die «Produktion» des Gebäudes erstellt, um den «Korrexlauf» direkt aus dem Modell generieren zu können. Hunderte von Plänen und Listen konnten so halbautomatisch erzeugt werden. Beim Kinder­spital wurden in einem Jahr 725 Schalungspläne
und Fertigteilpläne erstellt und geprüft. Ausserdem wurden über 3500 Aussparungen und Bohrungen geprüft, koordiniert, angepasst und freigegeben. Dies führte zu mehreren Tausend Bewehrungsplänen und Listen.

Das Kinderspital hat aufgrund seiner Horizontalität und seiner Geometrie keine Repetitionen in der Planung. Es galt daher, jeden Plan von Grund auf neu zu erstellen. Diese Menge an Plänen in so kurzer Zeit zu erstellen, zu kontrollieren und freizugeben wäre mit einer 2-D-Arbeitsweise bei einer solch hohen geometrischen Komplexität kaum möglich gewesen.

Michael Drobnik: Von einem durchgängigen «Level» kann man nicht sprechen. Wir haben aufgrund der Erkenntnisse im digitalen Mock-up die bewusste Entscheidung getroffen, uns in diesem Projekt nur auf bestimmte BIM-­Nutzungen zu konzentrieren. So hatten wir zum Beispiel gegenüber den Fachplanungen keine harten Vorgaben bezüglich Namenskonventionen bei Typisierung oder Attributierung.

Dennoch haben wir mit der Raumdatenbank eine Struktur, die eine Vereinheitlichung digital erzwingt. Da die Datenbank automatisierte Klassifizierungen verteilt, konnten wir Stand heute keine grösseren Probleme an diesem Konzept erkennen. Dennoch war das Projekt zu früh dran, um das Konzept von Datenbanken, der durchgängigen Verwendung von IDs, in Ausschreibungen und Ausführung zu integrieren. Der Schritt, eine digitale Kette von der Planung zur Ausführung und in den Betrieb auszubilden, ist eindeutig ein bedeutender Mehr­aufwand und im Fall von Einzelvergaben auch ein wirtschaftliches Risiko. Die Gefahr besteht, den Unternehmerkreis durch digitale Anforderungen einzuschränken.

Die Raumdatenbank mit den Sollanforderungen, deren Umsetzung und dem Ausstattungsmanagement wird dem Betrieb als Grundlage zur Verfügung gestellt, auch wenn dann hier noch nachgängig eine «digitale» Übersetzungs­arbeit in das CAFM1 erforderlich sein wird. Eine Bearbeitung der nativen Modelle bei einem Umbau ist aktuell nicht vorgesehen.

TEC21: Welche Dimensionen werden bei der Planung berücksichtigt? Werden 4-D (Bauablauf und Zeitmanagement) und auch 5-D (Kosten und Budget) verwendet?

Nico Ros: In der Ausschreibungsphase haben wir ein 4-D-Modell erstellt. Dieses diente vor allem dazu, «Kollisionen» im Bauablauf zu erkennen und die Bauzeit zu bestimmen. Da die Innenhöfe vom Kinderspital vertikal übereinander verspringen, mussten die Betonieretappen sorgfältig geplant und dem Baumeister vorgegeben werden.

Bei einem Hof etwa befindet sich im Untergeschoss ein Lastwagenterminal von der Grösse einer Turnhalle, darüber der Hof mit Bäumen und wieder darüber versetzt ein grosser auskragender, vorgespannter Ring, auf dem versetzt ein Holzdach abgestützt wird. Der Knackpunkt ist, dass, je nachdem, was man aus einem Modell generieren möchte, dieses unterschiedlich aufgebaut wer­den muss.

Die 4-D-Planung kann mit einem Trag­werks­modell erstellt werden, bei der 5-D-Planung sind Informationen erforderlich, die sich daraus nur beschränkt ableiten lassen. Im Tragwerksmodell etwa werden die Betonieretappen abgebildet, für die Kosten aber ist die Einteilung der Schalung relevant und nicht die Betonieretappe an sich. Diese verschiedenen «Etappen» gleichzeitig in einem Modell abzudecken wäre mit einem enormen Aufwand verbunden.

Um solche Probleme zu lösen, arbeiten wir mit einem eigenen Programmierteam, das die Daten exportiert und danach anreichert. Dieser Aufwand rechnet sich nur bei sehr grossen Projekten. Meistens ist es sinnvoll, nur die Mengen aus dem Modell zu nehmen und die Kosten manuell zu rechnen.

Den vollständigen Artikel finden Sie in TEC21 28/2020 «BIM in der Praxis».

TEC21: Solch grosse Bauvorhaben sind ja immer eine gewisse Pionierleistung, bei Einsatz der BIM-Technologie umso mehr. Wo gibt es die grössten Probleme, die man unbedingt im Auge behalten muss?

Nico Ros: Erstens, wer hat wann die Kontrolle über ein Modell? Und zweitens die Freeze-Planung – wann wird ein Modell eingefroren und vorerst nicht mehr abgeändert? Die verschiedenen Gewerke haben verschiedene Prozesse und Geschwindigkeiten. Der Architekt kann alle Stützen in zwei Minuten verschieben, für die Tragwerksplaner bedeutet dies aber eine komplett neue Lastabtragung, eine neue Dimensio­nierung aller Stützen, Decken und Fundamente. Das geht mehrere Wochen.

Es ergibt wenig Sinn für den Tragwerksplaner, an einem «dynamischen Modell» zu arbeiten. Es ist daher wichtig, dass der Tragwerksplaner in einer ersten Phase die Spielregeln und Tragwerkskonzepte mit dem Architekten erstellt, damit der Architekt dynamisch Varianten untersuchen kann und nicht auf den Tragwerksplaner «warten» muss. Erst in einer späteren Phase, in der das Gebäude weniger dynamisch ist, ergibt es Sinn, dass der Tragwerksplaner in die BIM-Planung einsteigt.

Michael Drobnik: Die unterschiedliche Taktung unser Planung ist einer der Gründe, weswegen wir immer redundant ein Tragwerksmodell mitführen. Wichtig ist, den Dialog möglichst früh zu suchen. Wann eine Koordination oder Modellerstellung für welche Disziplin sinnvoll oder erforderlich wird, lässt sich nur gemeinsam ergründen. Nico Ros und ich werden beim nächsten Projekt sicher wieder intensiv diskutieren. Aber das macht den Beruf ja spannend.

Eine der Erkenntnisse im nun bereits langjährigen Einsatz einer BIM-basierten Raum­datenbank ist, dass die Vielzahl der Attribute einen recht schnell überfordert. Trotz Digitalisierung sind wir ja dennoch sehr grafisch orientiert. Da sich diese Informationen im BIM-Autorensystem darstellen lassen, erstellen wir nun eine Vielzahl an neuartigen 2-D-Übersichten. Der 2-D-Plan bekommt hier eine neue Bedeutung.

TEC21: Gibt es Abschätzungen von Ihren Büros, inwieweit BIM gegenüber einer klassischen Planung zur Einsparung von Zeit beziehungsweise Geld beiträgt?

Nico Ros: BIM verändert die Anforderung an die Planer, die Planung wird ingenieurlastig. In der traditionellen Planung wurden Angaben für die Zeichner von Hand auf den 2-D-Plan ergänzt. In der BIM-Planung sind sie Bestandteil des Modells. An der Kinderspitalplanung waren nebst Konstrukteuren auch Ingenieure und Programmierer Teil der Plan­erstellung. Es wird also eher teurer. Aus unserer Sicht wird sich dies dann auszahlen, wenn auf die 2-D-Planung für die Baustelle verzichtet werden kann.

Michael Drobnik: Architekten und Planer sind sicherlich nicht die Besten in den Bereichen KPI und Effi­zienzberechnung. Wir konnten in der Vergangenheit BIM-Projekte beobachten, die mit weniger Belegung auskamen. Gleichzeitig benötigen andere Projekte viel mehr Einsatz unserer BIM-Spezialisten.

Der Vorteil an einer BIM-Bearbeitung ist, dass damit strukturierte Daten vorliegen, die nun auch strukturiert geprüft werden können. BIM-Systeme erfordern Systematik, dies allein kann richtig um­gesetzt ein Gewinn sein. Ein Performancegewinn ist jedoch sicherlich das Aufkommen von Realtime-Visualisierung in unseren Planungsmodellen. Unsere Architekten warten nicht mehr auf ein Bild als Ergebnis, sondern laufen gemeinsam mit Projektleiter oder Partner durch das virtuelle Gebäude in mittlerweile stimmiger Darstellung. Gamification kann hier die Qualität steigern.

Ein weiterer Ansatz, den wir ver­folgen, ist, in frühen Phasen mit einfachen Modellen und wenig Attributen zu arbeiten. Hierfür ent­wickeln wir unsere eigenen Werkzeuge und setzen nicht auf die umfangreichen BIM-Autorensysteme.

TEC21: Kann man abschätzen, wie es bei grossen Projekten nach Bauvollendung mit BIM weitergeht? Wird das BIM-Modell von der IT-Abteilung des Auftraggebers selbstständig weiterbetreut, braucht es gar eine eigene BIM-Abteilung, oder wird das Modell einem externen Büro übergeben?

Nico Ros: Es wird in Zukunft wichtig sein, die BIM-Modelle an neue Softwareversionen anzupassen. Somit wird die Archivpflege auch für ein Ingenieurbüro eine wichtige Rolle einnehmen. Wir gehen davon aus, dass dies bei grösseren Projekten vom Bauherrn übernommen werden kann, bei kleineren Projekten wird es sinnvoll sein, wenn das Archiv vom Planer gepflegt wird.

Michael Drobnik: Einige unserer internationalen Kollegen reden bei dem Thema nicht mehr über BIM oder digitale Zwillinge, sondern über neue Businessmodelle. Kann ein Gebäude analog zu einer Software «as a Service» geliefert werden? Wegen ihrer Komplexität ist ein Weiterführen der Modelle nur mit einem engen Korsett und strengen Vorgaben bei der Planung möglich.

Hier suchen wir aktiv den Dialog mit dem Facility Management, um dessen Bedürfnisse mit unseren Anforderungen abzugleichen und die Modelle gemeinsam phasengerecht, etwa mit integrierten Raumdatenbanken, aufzubauen. Aktuell sind die Systeme noch nicht ausreichend ausgelegt, dass es digitale Übergabepunkte gäbe, die eine einfache Weiterbearbeitung erlaubten.

Anmerkungen
1 Computer-aided Facility Management
2 Common Data Environment, virtueller Projektraum

E-DOSSIER BIM
Artikel aus früheren Heften und weitere Online-­Beiträge in unserem E-Dossier auf espazium.ch/bim

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