«Mehr Ar­beit, aber auch mehr Qua­li­tät»

Zürich bekommt ein neues Kinderspital. Der Bau von Herzog  & de Meuron stellt vermeintliche Gewissheiten über Spitalbau und kindgerechte Architektur auf den Kopf. Entworfen und geplant wurde von Anfang an mit BIM. Christine Binswanger, zuständige Partnerin bei Herzog & de Meuron, erzählt, wie sich das auf den Entwurf, die Kommunikation und das Team auswirkt.

Data di pubblicazione
18-09-2020

Das vor rund 150 Jahren gegründete Zürcher Kinderspital zieht um: Von Zürich–Hottingen in den Südosten der Stadt, wo unter anderem mit dem Unispital Balg­rist und der Psychiatrischen Universitätsklinik bereits mehrere medizinische Institute angesiedelt sind. Denn der Bestandsbau – mit 2300 Mitarbeitenden, 230 Betten und jährlich 8200 ­stationären und 100 000 ambulanten Patienten das grösste Kinderspital der Schweiz – stiess schon in den 1990er-Jahren an seine Kapazitätsgrenzen. Diverse Erweiterungen konnten die Platzprobleme jeweils nur temporär lösen.

2006 machten sich die Verantwortlichen auf die Suche nach einem passenden Grundstück. Das über 46 ha grosse Grundstück des Neubaus wird von Nordosten nach Südwesten von der Lenggstrasse durchschnitten. Auf dem kleineren, nördlichen Arealteil wird ein siebengeschossiger runder Turm platziert sein, der die Räume für Labor, Lehre und Forschung aufnimmt, das rund 200 m × 100 m grosse Akutspital steht auf dem südlichen Grundstücksteil.

Verantwortlich für den Bau ist das Architekturbüro Herzog  & de Meuron, das 2012 den zweistufigen Wettbewerb für sich entscheiden konnte. Der Siegerentwurf überraschte: Nachdem im Spitalbau jahrelang das Credo von Effizienz, Wirtschaftlichkeit und einfachem Unterhalt galt, sah man hier nun ansprechende Räume, materialisiert in Holz, mit grünen Innenhöfen. Statt Bettentürme gibt es nur drei Geschosse, dafür aber viel horizontale Fläche. Gemäss Jury ist den Planern dennoch nicht nur das wirtschaftlichste Projekt gelungen, sondern auch jenes, das am wenigsten Fläche verbaut.

Die horizontale Organisation beruht auf einer Analyse der spitalinternen Abläufe, die sich auf die drei Funktionen Behandlung, Büros und Patientenzimmer herunterbrechen lassen. Die Behandlungsräume und Büros sind im Erdgeschoss und im 1. Obergeschoss wie bei einer Stadt als klinikspezifische Quartiere angeordnet, erschlossen von einer von West nach Ost verlaufenden Hauptachse und gegliedert durch vier runde und mehrere rechteckige Höfe, die als Orientierungspunkte dienen und Natur und Tageslicht ins Innere bringen.

Eine Besonderheit ist das Dachgeschoss, das die 114 Patientenzimmer beherbergt, aufgeteilt in Ein- und Zweibettzimmer. Sie sind ringförmig entlang der geschwungenen Fassaden angeordnet. Geplant wurden die Neubauten, deren Eröffnung 2023 geplant ist, auf Wunsch der Architekten mit Building Information Modelling (BIM) – 2014, zu Beginn der Planung, noch keine Selbstverständlichkeit. Die neue Methode wirkt sich auf alle Ebenen der Zusammenarbeit aus – zeitlich, organisatorisch, kommunikativ, kreativ und konstruktiv.

TEC21: Frau Binswanger, inwiefern ändert sich das Entwerfen durch BIM?

Christine Binswanger: BIM unterstützt den Denk- und Entscheidungsprozess beim Entwurf und bringt andere Informationen in die Diskussion, als ein Plan das jemals konnte – es ist ein insofern eine Methode. Früher benutzten wir Grundrisse, Schnitte und natürlich auch dreidimensionale Computer­modelle, die vor allem Geometrien abbildeten. Heute sprechen wir von Informationen ganz generell. Das heisst, dass jedes Element, jedes Gerät, das in diesem Modell geplant wird, mit Informationen versehen ist.

Wir sind also in der Lage, die Antwort auf nahezu jede Frage zu visualisieren, die jemand zum Bau hat. Zum Beispiel beim Kinderspital: Zeigen Sie mir alle Räume, die von den Soll-Vorgaben ± 3 % abweichen. Oder erstellen Sie einen Plan mit allen Räumen, die sowohl Strahlenschutz, Verdunklung und eine natürliche Belichtung erfordern als auch gleichzeitig die geplante bauliche Umsetzung dieser Anforderungen.

Ursprünglich dachte man, dass die digitale Technologie dazu genutzt werden kann, effizienter zu werden. In gewissen Aspekten ist das tatsächlich so, gleichzeitig erhöht sich aber auch auch unser aller Bedürfnis nach Information und Visualisierungen im und aus dem digitalen Modell. Das führt letztlich zu mehr Arbeit, aber auch zu mehr Qualität.

TEC21: Wann im Entwurfsprozess haben Sie mit dieser extrem detaillierten Technologie begonnen?

Christine Binswanger: Wir haben 2014 mit der Planung begonnen, und zwar direkt mit BIM. Heute wünscht sich nahezu jede institutionelle Bauherrschaft eine BIM-Planung, aber oft ist nicht wirklich bekannt, was das für wen später be­deutet. In der frühen Phase ist ein vollumfängliches BIM-Projekt arbeitsintensiv, weil es unter Umständen mehr Zeit braucht, das Modell zu füttern, als Varianten zu prüfen.

Wir sind daher dabei, für uns neue digitale Werkzeuge zu entwerfen, wir nennen sie BIM light, die wir auch in einer frühen Phase einsetzen können. Denn die Informationen, die mittels BIM erstellt werden, können wir natürlich trotzdem gut brauchen – man ändert beispielsweise ein volumetrisches Modell und kennt in Echtzeit die Fläche, das Volumen, die Gebäudehüllzahl oder das Verhältnis Brutto- zu Nettoflächen.

Wichtig ist ein zunehmender Detailgrad des Modells analog zur Bearbeitungstiefe des Projekts. BIM entwickelt sein Potenzial vor allem in den späten Planungsphasen, auch mit der Idee, es auf der Baustelle zu nutzen. So weit sind wir aber meist noch nicht: Wir füttern zwar das Modell bis zur letzten Steckdose, die Baustelle funktioniert aber immer noch vorwiegend mit zweidimensionalen Plänen, die auch weiterhin die rechtliche Grundlage darstellen – gegenüber den Unternehmern ebenso wie gegenüber den Behörden.

Wir befinden uns also zurzeit in Parallelwelten: Für die Baustelle brauchen wir 2-D-Pläne, die aber einen viel niedrigeren Detaillierungsgrad haben, als wir ihn aus dem BIM-Modell extrahieren könnten. Das heisst, wir müssen Informationen, die schon im Modell sind, je nach Anforderung für den Plan aufbereiten. Insgesamt ist die Planung mit BIM viel früher verbindlich, man legt sich schneller fest. Der Zeitdruck auf die frühen Phasen wird stärker, man will früher mehr Gewissheit.

TEC21: Ändert sich dadurch Ihre Rolle als Architektin?

Christine Binswanger: Nicht unbedingt. BIM hat auch enorme Vorteile: Wir haben sehr früh unglaubliches Material, das das Gebäude simuliert. Das wiederum ist hilfreich für die Entscheidungsfindung zu einem frühen Zeitpunkt und auch zum Teilen der Erkenntnisse. Ein Beispiel sind die Mock-ups der Fassade beim Kinderspital. Wir haben sozusagen ein Stück Haus vorweg mit allen seinen Details entwickelt, zu einem Zeitpunkt, in dem der Rest des Gebäudes noch nicht annähernd so tief durchgeplant war. Jetzt, wo tatsächlich gebaut wird, ist es interessant, zu sehen, wie hoch die Deckungsgleichheit des Gebauten ist, mit dem, was im BIM geplant wurde. Wir hatten nur wenige Korrekturen am Mock-up vozunehmen.

Das vollständige Interview finden Sie in TEC21 28/2020 «BIM in der Praxis».

TEC21: Wie wirkt sich BIM auf die Arbeit in Ihrem Architek­tenteam aus?

Christine Binswanger: Wir sind beim Kinderspital aktuell rund 25 Personen, nur bei den Architekten. Eine mögliche Arbeitsweise ist die Aufteilung in ein Designteam und ein Team, das das Modell füttert – also quasi die Weiterentwicklung der Unterteilung in Entwerfer und Bauzeichner. Das führt aber zu einer Hierarchie im Team, weswegen wir uns bewusst anders entschieden haben.

Bei uns füttert jeder Einzelne selbst das Modell. Jeder weiss und sieht immer, was der andere tut. Auch Fehler werden so viel schneller sichtbar. Das führt zu einer flachen Hierarchie und zu einem grossen Zusammenhalt. Einige von uns sind seit dem Wettbewerb dabei – dank der grossen Transparenz haben wir einen ausgeprägten Teamgeist.

TEC21: BIM findet virtuell statt. Wie stellen Sie den Bezug zur analogen Welt sicher? Gerade beim Kinderspital sind die sinnlichen Qualitäten der Räume ein ­wichtiger Aspekt.

Christine Binswanger: Um die physische Dimension mit einzubeziehen, braucht es eine Extraanstrengung, die wir in unserem Büro ganz bewusst machen. Das BIM-­Modell verführt zu der Annahme, dass man darin alles sieht. Sich nur auf den Bildschirm zu verlassen kann aber auch gefährlich sein. Deswegen führen wir aufwendige Bemusterungen durch und bauen parallel zum BIM-Modell physische Modelle bis hin zum Massstab 1 : 1 – aber es ist schon so: Es sind deren weniger als früher.

E-DOSSIER BIM
Artikel aus früheren Heften und weitere Online-­Beiträge in unserem E-Dossier auf espazium.ch/bim

Am Bau Beteiligte und Daten

Bauherrschaft
Kinderspital Zürich – Eleonorenstiftung, Zürich

Architektur
ARGE KISPI H&deM, Basel; Gruner, Basel

Tragkonstruktion
ZPF Ingenieure, Basel

Landschaftsarchitektur
August + Margrith Künzel Landschaftsarchitekten, Basel

Elektroplanung
Amstein + Walthert, Zurich

HLK-Planung
Gruner Gruneko, Basel

Sanitärplanung
ing-büro riesen Bern, Bern

Kostenplanung
Gruner, Basel

Tiefbau/Werkleitungs­planung
Ernst Basler + Partner, Zürich

Fassade
Holzfassade: Pirmin Jung & Buri Müller
Massivbaufassade: ZPF Ingenieure

Geometer
Gruner, Basel

Geotechnik
Dr. H. Jäckli, Zürich

Lichtplanung
Licht Kunst Licht, Berlin

Nachhaltigkeit
Basler & Hofmann West, Zollikofen

Verkehrsplanung, Brandschutz, Sicherheit
Gruner, Basel

Kommunikationstechnik
RGBP, Thalwil

Bauphysik, Akustik
Kopitsis Bauphysik, Wohlen

Gastroplanung
Creative Gastro Concept und Design, Hergiswil

Spitalplanung/Medizinische Ausrüstung
IBG, Aarau; KOMOXX, Zürich

Daten
Zweistufiger Wettbewerb mit Präqualifikation: 2011/2012
Ausführung: ab 2014
Voraussichtliche Fertig­stellung: 2023

Geschossflächen
Areal Süd, Akutspital: 77 305 m²
Areal Nord, Gebäude Labor, Lehre, Forschung: 15 784 m²

Investitionskosten
625 Mio. Franken (davon 100 Mio. Spenden)

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