Hop­pla, die All­tag­sland­schaft

Nationaler Landschaftskongress vom 23. und 24. August 2018 in Luzern

Das allererste Branchentreffen für die nationale Landschafts-Community beschwörte die bekannten Bilder. Traditionelle Kulturlandschaften bergen in sich kapitale und kapitalträchtige Werte. Zumindest in Worten wurde aber davor gewarnt, die «Ödnis vor der Haustür» nicht aus den Augen zu verlieren.

Data di pubblicazione
20-09-2018
Revision
21-09-2018

Ende August fand der erste Landschaftskongress der Schweiz statt. Das nationale Fachtreffen sprach Landschaftsplaner und -architekten aus Forschung und Praxis an. Der starke Zulauf bestätigte das grosse Interesse an einem solchen Austausch; entsprechend verwundert äusserten sich viele Redner in ihren Begrüssungsworten, dass eine solche Veranstaltung nicht schon früher, sondern erst in diesem Jahr zustande gekommen sei. Gleichwohl verliessen die meisten der rund 400 Teilnehmerinnen und Teilnehmer den zweitägigen Landschaftskongress mit einer gewissen Verunsicherung: Die Trägerschaft hat sich noch nicht für eine Fortsetzung entschieden, erklärte OK-Präsident Urs Steiger in seiner Verabschiedungsrede.

Üppiger Forschungsgegenstand, komplexes Planungsthema

Aber worum ging es an diesem Kongress überhaupt? Die vier Leitvorträge, ein Dutzend Exkursionen (vgl. Kasten unten) und fast 30 Workshops lassen sich schwerlich auf einen gemeinsamen Nenner bringen. Ein schnelles Fazit könnte lauten: Die Landschaft ist ein üppiger Forschungsgegenstand, der die natur- und sozialwissenschaftliche Neugier weckt. Und auch in der Planungspraxis taucht die Landschaft als vielschichtiges komplexes Thema auf.

Eine tiefer greifende Synthese aus dem gebotenen Inhalt wartet mit konkreteren Erkenntnissen auf: Zwischen der Vorstellung, was eine schöne Landschaft ist, und dem, was im Alltag davon übrig bleibt, öffnet sich eine Kluft. Ebenso scheint ein Defizit überhandzunehmen, wenn es Landschaftsqualitäten bei einem Nutzungsentscheid systematisch einzubeziehen gilt. Und auch diese Diskrepanz wurde in den Diskussionen mehrfach aufgedeckt: Die Landschaft ist für viele ein öffentliches Gut mit hohem Schutzcharakter; allerdings droht sie an vielen Orten zu einem uniformen Gebilde mit hohem Reparaturbedarf zu verkümmern.

Von der Landschaft aus denken und planen

Ein Wandel im Bewusstsein und der Ruf nach «mehr Raumkultur» sollen diesen Tendenzen Abhilfe schaffen. Stellvertretend für viele andere Kongressreferenten trug Anette Freytag, Professorin für Landschaftsarchitektur an der amerikanischen Rutgers University, ihr Plädoyer zum Perspektivenwechsel vor: Die Siedlungsentwicklung sei von der Landschaft her zu denken «und deren Qualität als Anregung für räumliche und städtebauliche Entwürfe zu verwenden». Was jedoch auch von anderen kaum angesprochen wurde: Wie sieht ein solcher Wandel aus? Muss man sorgfältiger mit traditionellen Kulturlandschaften respektive mit den wenig inspirierenden Restbeständen umgehen? Oder geht es im Kern vor allem darum, den Siedlungsraum wieder zu begrünen?

Diese Unschlüssigkeit zog sich als roter Faden durch den Landschaftskongress: So mancher Vortrag erkannte offenkundige Mängel, lieferte selbst aber nur knappe Hinweise auf konkrete Handlungsansätze. Wie und wo Verbesserungen in der Siedlungs- und Landschaftsplanung anzubringen wären, blieb diffus.

Anachronismus in der Wahrnehmung

Deutlich wurde dagegen, wie vielen Einflüssen die freie Landschaft ausgesetzt ist. Sie wird zur Nahrungsmittelproduktion genutzt und ist dem Strukturwandel in der Landwirtschaft stark unterworfen. Einen starken Druck üben auch wachsende Agglomerationen auf das unbebaute Land aus. Der Kongress hätte diese Ausgangslage durchaus zum Anlass nehmen können, die Konflikte in der Landnutzung anzusprechen und dazu verschiedene Anspruchsgruppen auf das Podium zu bitten. Stattdessen bevorzugte die breite Organisation aus Bundesämtern, Berufsverbänden und Hochschulen eine leisere, oft auch akademische Diskursvariante. Wer sich für diese interdisziplinäre Veranstaltung Zeit nehmen konnte, erhielt dennoch spannende Anregungen. So zeigte Bernard Debarbieux, Raumforscher an der Universität Genf, den Anachronismus in der Landschaftswahrnehmung auf: «Die heutigen Landschaftsbilder sind immer noch im Renaissancedenken verhaftet; dies fördert den Widerspruch zwischen Imagination und Realität.»

Ebenso erhellend wirkten zudem diejenigen Kongressvorträge, die das Thema Alltagslandschaft thematisierten. Die Sorge um «die Ödnis vor der Haustür» (Nicola Roggo, Hochschule Rapperswil) taucht vermehrt dort auf, wo Übergänge, etwa von der Agglomeration in den offenen Raum, zu gestalten sind. Der Siedlungsrand wurde am Landschaftskongress in einer Reihe von spannenden, oft aber abstrakten Analysen thematisiert. Landschaftsarchitekten, Städteplaner und Architekten untersuchen auch an dieser Grenze, wie die Qualitäten zu erfassen und allenfalls zu verbessern sind.

Verbindliche Regeln fehlen

Eine aussagekräftige und gut dokumentierte Studie präsentierte Ursina Fausch, Partnerin des Städtebau- und Architekturbüros Ernst Niklaus Fausch: Das Bundesamt für Umwelt wollte wissen, wie die «Agglomeration von der Landschaft her zu planen» sei. Das Fazit daraus, nach Sichtung mehrerer Fallbeispiele: Landschaftliche Strukturelemente wie Topografie, Gewässer oder markante Bauten sind Ordnungsprinzipien, an denen sich die Raumentwicklung orientieren soll. Aus einer Verknüpfung der Siedlungs- mit der Landschaftsplanung sind daher Gestaltungskonzepte zu entwickeln, die eine unmittelbare Wirkung auf Wahrnehmung und Erlebnis erzeugen. Denn für die breite Bevölkerung sind diese Zonen die alltäglichen Erholungsräume.

Fausch, die die Analyse gemeinsam mit der Universität Liechtenstein durchgeführt hat, sprach aber nicht nur den Bedarf an Gestaltung und Aufwertung an, sondern vermisste verbindliche Aufträge dafür. «Der Verkehr hat in einem formellen Planungsverfahren meistens mehr Gewicht als die Landschaft.»

Klar ist hingegen geworden, dass die Vielfalt der Ränder nicht reduziert werden soll. In der Planung von Siedlung und Landschaft müsse man lernen, sich nicht nur auf zweidimensionale Flächen zu konzentrieren, sondern endlich auch ein feines Gespür für funktionale Ansprüche in den Grenzbereichen zu entwickeln, wiesen Fachleute am Kongress mehrfach hin.

Der zweitägige Anlass war interdisziplinär geprägt: An den Diskussionen beteiligten sich Landschaftsschützer, -planer, -architekten, Geografen, Biologen, Sprachforscher, Raumplaner und Städtebauer. Kaum überraschend war, dass dieser erste nationale Anlass nicht ausreichte, um untereinander ein gemeinsames Landschaftsverständnis zu erarbeiten. Daher ist eine Fortsetzung der Debatte dringend empfohlen, etwa an einem nächsten Landschaftskongress in einem oder spätestens zwei Jahren.

Ganz nebenbei könnte auch die Politik davon profitieren. Noch fehlt eine umfassende Perspektive, um die Landschaft als zusammenhängende Ressource und nicht als Summe verschiedener sachpolitischer Sektoren zu behandeln.

Weitere Infos auf der Webseite des Landschaftskongresses.


Exkursion «Wo Neubauten eigentlich ein Tabu sind»

Die Siedlungsfläche wächst, sollte aber eigentlich verdichtet werden, damit der Zerstörung der Landschaft Einhalt geboten werden kann. Doch auch ausserhalb der Baugebiete drohen beträchtliche Verluste. Bauen ausserhalb von Bauzonen ist deshalb ein umstrittenes Raumplanungsthema.

Vertreter aus dem Kanton Zug organisierten am Landschaftskongress eine Exkursion für interessierte Teilnehmer. Die Reise führte in abgelegene Weiler, in denen bestehende Gebäude umgenutzt oder angebaut werden sollen, sowie zu landwirtschaftlich intensiv genutzten Standorten mit Erweiterungsbedarf. Neben einer strengen Bewilligungspraxis versucht das Zuger Raumplanungsamt den Charakter solcher Bauinseln mit Leitlinien zu wahren und eine Zweckentfremdung zu verhindern.

Während andere Kantone dazu tendieren, dörfliche Weiler in Bauzonen umzuwandeln, bleibt Zug stur: Landwirtschaftliche Streusiedlungen verbleiben im Zentralschweizer Kanton ausserhalb des Baugebiets. Wird dennoch eine Umnutzung einst landwirtschaftlicher oder gewerblicher Gebäude in Wohnraum beantragt, darf zumindest das Volumen nicht verändert werden. Dagegen sind Erweiterungen von Bauernhöfen zulässig und branchenüblich, wenn die Gebäude weiterhin bäuerlich genutzt oder von der Betreiberfamilie bewohnt werden. Gleichzeitig behält sich der Kanton Zug eigentümerverbindliche Interventionen im Bewilligungsverfahren vor, wenn das kompakte Bebauungsmuster oder der Charakter traditioneller Bauten allzu sehr verändert werden soll.

Leitfaden für Bauten und Anlagen ausserhalb Bauzonen, Raumplanungsamt Kanton Zug

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