Ma­schen und Kno­ten

Weiterentwicklung von thermischen Netzen

Thermische Vernetzung ist für die ­Versorgungssicherheit vorteilhaft, wirft aber in der Planung Fragen auf. Im Zentrum für Integrale Gebäudetechnik (ZIG) der Hochschule Luzern werden daher Netzknoten erforscht.

Data di pubblicazione
20-08-2015
Revision
22-11-2015

Die Herausforderung der Energiewende besteht unter anderem darin, wirtschaftlich attraktive und gesellschaftlich akzeptable Lösungen zu entwickeln. An der Technik soll es nicht scheitern. Im Bereich der elektrischen Energie wird die Forschung und Entwicklung aktiv vorangetrieben. Die Fortschritte bei der elektrischen Vernetzung kommen dezentralen Energie­systemen zugute (vgl. Kasten unten «Ganzheitliche Lösungen»). 

Im Gegensatz dazu gelangt die thermische Vernetzung von Quartieren und Arealen erst allmählich auf die Agenda der Energieplaner. Um dezentrale Energiesysteme wirtschaftlich zu betreiben, braucht es deshalb zwingend weitere Untersuchungen, die neben den elektrischen auch die thermischen Möglichkeiten in der Energieversorgung ausschöpfen.

Im Swiss Competence Center for Energy Research – Future Energy Efficient Buildings & Districts (SCCER FEEB&D) forscht das Zentrum für Integrale Gebäudetechnik (ZIG) zusammen mit Empa, ETH, EPFL, Uni Genf und FHNW an effizien­teren Energieversorgungslösungen für den Gebäudepark.

Unter dem Begriff «Thermische Vernetzung» versteht man heute vornehmlich Fernwärmesysteme mit Wassertemperaturen von über 60 °C. Solche Systeme sind mehrheitlich unidirektional aufgebaut. Aus einer Heizzentrale wird die Wärme mittels eines Hauptstrangs und diverser Nebenstränge zu den Gebäuden verteilt. Der Wärmetransport findet in einer Richtung statt und ist durch die Grösse des Hauptstrangs limitiert. 

oll vermehrt lokale erneuerbare Energie genutzt ­werden, gilt es vor allem, örtlich gebundene Energiequellen in das dezentrale Energiesystem zu integrieren. Diese Quellen liefern oft niederwertige Energieströme, das heisst thermische Energie mit im Vergleich zur klassischen Fernwärme niedrigen Temperaturen, teilweise unter 20 °C, daher kann die Energie nicht direkt, sondern nur mittels Wärmepumpe – aber aufgrund der im ­Vergleich beispielsweise zur Umgebungsluft hohen Quelltemperatur sehr effizient – genutzt werden. 

Bei der direkten Kühlung mit einer Quelltemperatur von unter 20 °C kann das Netz zur direkten Kühlung, das heisst ohne Kältemaschinen, genutzt werden. Das Niedertemperaturnetz kann sowohl Quell­energie für die Wärmepumpen liefern als auch Ab­wärme aus Kühlprozessen nutzen. Der Energiestrom in solchen Netzen ist bidirektional. 

«New Opportunities for Decentralized Energy Systems Labratory» (NODES Lab)

Thermische Netze sollen zukünftig nicht linear, sondern vermascht aufgebaut werden, um adaptier- und erweiterungsfähig zu werden. Diese Netztopologie ist entsprechend komplizierter als linear und unidirektional betriebene Netze. 

Mit der NODES-Versuchsanlage am Zentrum für Integrale Gebäudetechnik der Hochschule Luzern – Technik & Architektur wird seit Anfang 2015 die thermische Vernetzung eines vereinfachten Quartiers ­abgebildet. Das Niedertemperaturnetzwerk in Laborgrösse bildet drei Gebäude (respektive Bezüger), einen saisonalen Speicher und eine Wärmequelle ab.

Der Fokus liegt auf dem Infrastrukturteil des Netzes, wobei die Heiz- und Kühlprofile aller Netzwerkakteure über Wärmetauscher eingespeist werden. Die Flussrichtungen im Ring sind ungerichtet und ergeben sich aus den jeweiligen momentanen Leistungen der dezentralen, bezügerseitig installierten Förder­pumpen. Im Verbund mit Simulationsalgorithmen (sogenannten «Hardware in the Loop»-Emulatoren) kann das realitätsnahe Verhalten, die Regelung und/oder Betriebsstrategie solcher Netze untersucht werden. 

In der ersten Phase liegt der Schwerpunkt im NODES Lab auf der Weiterentwicklung der Hydraulik in der thermischen Vernetzung. Ausgehend von einer einfachen Ringtypologie mit je einem Warm- und Kalt­leiter wird in einer zweiten Phase die thermische Vernetzung auf mehrere Maschen ausgebaut.

Zusätzlich bilden numerische Modelle den Versuchsstand ab, um vertiefte Auswertungen mittels Simulationen zu erstellen. Damit können die Einbindung und der Betrieb verschiedenster Komponenten wie Wärmepumpen, Brennstoffzellen, Elektrolyseur zur Gewinnung von synthetischem Gas etc. untersucht werden.

Folgende daraus resultierende Fragestellungen können experimentell und numerisch beantwortet werden:
- Wie können thermische Netze technologieoffen geplant und gebaut werden, um eine maximale Freiheit für die Integration von zukünftigen Komponenten zu gewährleisten?
- Wie lassen sich verschiedene Teilnetze miteinander kombinieren (Vermaschung)? 
- Welche Regelstrategien für vermaschte Wärmenetze gewährleisten einen effizienten und robusten Betrieb?

Der Versuchsstand ist eine «Rapid Prototyping»-Plattform (schnelles Testen von neuen Konzepten und Komponenten) für die thermische Vernetzung. Denn an einem Versuchsstand können Tests durchgeführt werden, die in realen Projekten aus Gründen der Versorgungssicherheit oder des Investitionsschutzes nicht möglich sind. Ein solches Vorgehen reduziert Kosten, spart Zeit und minimiert Risiken. 

Typologieentscheidung oder Pumpenwahl 

Eine Bachelorarbeit an der Hochschule Luzern1 liefert erste Resultate. Die Studierenden untersuchten die Energieeffizienz des Wärmetransports mit einer Ring- und Strangtypologie sowie die  Effizienzsteigerung von dezentralen Förderpumpen gegenüber einer zentralen Förderpumpe.

Eine Ringtypologie für das Verteilnetz könnte die Förder­energie mehr als halbieren (um 54 % bei Verwendung einer zentralen Pumpe bis 57 % mit dezentralen Pumpen). Mit dem Wechsel von einer zentralen auf dezentrale Pumpen bei den Bezügern könnte rund 10 % der Förderenergie eingespart werden.

Die Versuche am NODES-Prüfstand zeigen aber auch, dass diese Einsparpotenziale oft durch die Pumpenauslegung (schlechter Wirkungsgrad) zunichte gemacht werden. Weitere Untersuchungen mit verschiedenen Pumpentypen und Versuchsabläufen, die zeitliche Änderungen der Energieströme bei den Bezügern berücksichtigen, sind notwendig, um fundierte Planungsgrundlagen abzuleiten. 

Um das Potenzial ganzheitlich auszuschöpfen, werden parallel zum Versuchsstand die entsprechenden Simulationsmodelle mit der notwendigen Komplexität entwickelt. Der Versuchsstand hat zum Ziel, Komponenten praxisnah zu untersuchen und zu optimieren, neue Ideen und Konzepte zu generieren, Simulationsmodelle unter realistischen Betriebsbedingungen zu validieren und experimentelle Forschung zu betreiben. 

Nur mit der Kombination aus Versuchsstand, Simulationen und Monitoring real existierender Projekte können realitätsnahe Erkenntnisse mit genügend hoher Genauigkeit gewonnen werden. Mit solchen fundierten Erkenntnissen wird es möglich sein, Planungsrichtlinien zu erarbeiten, die sich in der Praxis wirkungsvoll anwenden lassen. 

Anmerkung

  1. Frühjahrsemester 2015 – Bättig, Hartmann

Ganzheitliche ­Lösungen 

Um den Energiebedarf der Schweiz weitestgehend mit lokal vorhandenen erneuerbaren Energiequellen zu decken, braucht es ganzheitliche Lösungsansätze. Quartiere bzw. Areale können zu dezentralen Energiesystemen (DES) ausgebaut werden, die lokale Energieströme effizient und effektiv verwerten. DES können Energiedienstleistungen für Quartiere/Areale oder die dazu­gehörige Region in den Bereichen Bereitstellung, Umwandlung, Management, Speicherung und Verteilung sowohl von thermischer als auch von elektrischer ­Energie übernehmen. Um die Funktionalität solcher DES zu ermöglichen, ist der Ausbau der Infrastrukturen notwendig.  Zukünftig sollen sogenannte Multi-Energy Grids (vgl. Schema) den wirkungsvollen Betrieb der DES ermöglichen. Multi-Energy Grids sind technologieoffene Infrastrukturen für die Energieträger Strom, Wärme und Gas, mit denen sich die verschiedenen Komponenten für die Gewinnung, Umwandlung und Speicherung verbinden lassen. Die Idee dahinter ist, eines der Netze, z. B. das thermische, zu nutzen, um die Effizienz eines anderen, z. B. des elektrischen, zu steigern. Wärmepumpen im Areal betreibt man als Cluster, abgestimmt auf die Bedürfnisse des Stromnetzes. Dadurch leisten die Summe aller Wärmepumpen einen wesentlichen Beitrag zur Netzstabilität oder erbringen andere Systemdienstleistungen. Durch eine intelligente Steuerung wird das Zusammenspiel aller Komponenten des Multi-Energy Grid technisch oder auch ökonomisch optimiert.

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