Glas­fas­sa­den – ei­ne Ge­fahr für ih­re Um­ge­bung

Fassade und Mikroklima

Fassaden schützen den Innenraum. Dem Aussenraum können sie aber durch konzentrierte Lichtstrahlen, kanalisierten Wind und Hitzeinseln schaden.

Publikationsdatum
16-09-2016
Revision
16-09-2016

Vollverglaste Hochhäuser prägen das Bild unserer urbanen Zentren. Hochreflektives Glas bietet einen wesentlichen energetischen Vorteil: Ein Grossteil der Sonnenstrahlen kann nicht ins Gebäude eindringen, was die Wärmebildung reduziert. Doch in den letzten Jahren wurde die Kritik immer lauter. Der Nachteil, wenn sich in den Glasfassaden die Umgebung spiegelt: Sie werden von Vögeln nicht als Hindernis wahrgenom­men. «In Europa sterben schätzungs­weise 250 000 Vögel täglich durch den Aufprall gegen Glasfassaden», schreibt die Landschaftsbehörde der Stadt Köln auf ihrer Internet­seite. In Nordamerika sind es sogar eine Milliarde pro Jahr. 

Aber auch Menschen und Gebäude können «Opfer» der Blendwirkung sein, die von Glasfassaden oder Photovoltaikmodulen ausgeht. Insbesondere in Städten, die am Breitengrad von Seattle oder London liegen und im Sommer einen Sonnenstand von 20° oder niedriger haben, ist die Reflexion von Glas­fassaden für Autofahrer störend, erklärt Vicente Montes-Amoros vom amerikanischen Ingenieursbüro Curtain Wall Design & Consulting. 

Auch in der Schweiz befasst man sich mit der Bündelung von Tageslicht durch reflektive Oberflächen. Ein Team um Mattia Battaglia forscht am Institut für Solartechnik der Hochschule Rapperswil (HSR) zur Blendwirkung und Lichtstreuung diverser Fassadenmaterialien. In den u. a. für das Bundesamt für Energie (BFE) erstellten Berichten findet sich der Hinweis, bei Blendung nicht nur an Glas und gebäu­deintegrierte Solaranlagen zu denken. Auch die Reflexion an Stahl­blechen sei nicht zu unterschätzen. Mattia Battaglia referiert auf der Konferenz «Advanced Building Skins», die am 10. und 11. Okto­ber in Bern statt­findet, über Auswir­kungen des von Gebäude­hüllen reflektierten Sonnenlichts.

Licht greift Autos und Hotelgäste an 

In den vergangenen Jahren haben insbesondere konkave Fassaden viel Kritik hervorgerufen, da deren Glas, Metall oder Stahl das Sonnenlicht wie eine Lupe konzentriert auf einen Punkt reflektieren. So können Ex­tremtemperaturen von über 100 °C entstehen.

Die konkav gekrümmte Fassade des Vdara Hotels in Las Vegas versengte im Poolbereich die Haare von Hotelgästen und liess Plastikstühle schmelzen. Das Hotel wurde vom Architekten Rafael Viñoly entworfen. Auch für ein Gebäude in der Fenchurch Street in London, das ebenfalls über eine gekrümmte Fassade verfügt, ist Viñoly verantwortlich. Die von der Fassade gebündelt reflektierten Sonnenstrahlen verformten in einer Nachbarstrasse Autos. In der Strasse mussten mehrere Parkplätze gesperrt werden. Inzwischen wurden auf der Süd­seite der Fassade an über dreissig Stockwerken Lamellen aus Aluminium angebracht, die die Son­nen­licht­reflexionen stoppen. Die Nachrüstung kostete ca. 10 Mio. britische Pfund. 

Trotz der massiven Blendwirkung hatte das Gebäude in der Fenchurch Street eine exzellente Beurteilung durch das britische BREEAM erhalten. Nachhaltigkeitszertifikate werden aufgrund der Energieeffizienz eines Gebäudes vergeben, «ohne Rücksichtnahme auf das angrenzende Mikroklima», kritisieren Architektin Julie Futcher und Stadtplaner Gerard Mills vom University College Dublin. Aufgrund der steigenden Anzahl von Hoch­häusern mit reflektierenden Glasfassaden sollten bei der Nachhaltigkeitsbeurteilung auch diejenigen Eigenschaften eines Gebäudes eine Rolle spielen, die das Mikroklima ihrer Umgebung beeinflussen. Glasfassaden, dunkle Gebäude und Asphalt erhöhen die Lufttemperaturen in ihrer unmittelbaren Umgebung und verstärken den sogenannten «Heat Island»-Effekt in Städten. 

Hitze attackiert ­benachbarte Gebäude

Welche Auswirkungen Gebäude auf das Mikroklima haben können, hat die Walt Disney Concert Hall in Los Angeles gezeigt. Das von Frank Gehry entworfene Gebäude hat eine Fassade mit konkav verformten Oberflächen aus poliertem Edelstahl. Die Fassade erhöhte die Bodentemperaturen auf dem Gehweg derartig, dass Plastik zu schmelzen begann. Die Temperatur in den Nachbar­häusern stieg um über 9 K, sodass die Nachbarn ihre Klimaanlagen aufrüsten mussten. Die energetische Bilanz der Nachbarbauten verschlechterte sich deutlich. In ähnlicher Weise war das Nasher Sculpture Museum in Dallas, Texas, betroffen. Die Fassade eines Nachbargebäudes war mit Photovoltaikmodulen bestückt, die Sonnenstrahlen direkt ins Museum leiteten und Skulpturen beschädigten.

Wind bedroht Passanten

Fassaden können nicht nur Licht konzentriert nach unten reflektieren, sie können auch Wind gebündelt nach unten leiten, was zum sogenannten Fallstromeffekt führt. Der Wind trifft auf die Fassade und «wird direkt nach unten zum Boden gelenkt, weil er nicht um das Gebäude herumkommt», erklärt Lindsay Smales von der Leeds Beckett University. In Leeds hat das 32 Stockwerke hohe Bridgewater Place zu starken Windböen geführt, die mit Windgeschwindigkeiten von 130 km/h nicht nur Passanten zu Boden warfen. Im März 2011 wurde ein Lkw durch die Luft gewirbelt, als er aus dem Windschatten des Bridgewater Place fuhr. Ein Passant kam dabei ums Leben.

Welche Möglichkeiten gibt es, diese Auswirkungen einzudämmen? «Ist das Hochhaus erst einmal gebaut, kann man wenig tun, um die Probleme mit dem Mikroklima und die Wirkung des Winds zu mildern», meint Lindsay Smales. «Idealerweise sollte bereits während der Gebäudeplanung mithilfe von Strömungsmechanik (Computational Fluid Dynamics, CFD) die Blendwirkung einer Fassade ermittelt werden», erklärt Vicente Montes-Amoros vom amerikanischen Ingenieursbüro Curtain Wall Design & Consulting. Gebäudeformen und Gebäudeausrichtung, Strassenverhältnisse und Material sind in die Analyse ein­zubeziehen, um ein umfassendes Bild zu erhalten.

Conference on Advanced Building Skins
10.–11. Oktober 2016, Bern
220 Referenten aus 45 Nationen tragen vor, zum Beispiel Vicente Montes-Amoros, USA,
zum Thema «Gebäude mit tödlicher Strahlung: Wenn Gebäude attackieren» 

Weitere Informationen: http://abs.green

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