Ja­pa­ner in Lau­sanne

Hybrid aus Holz und Stahl

Ein weiterer Solitär auf dem Campus der EPFL: Kengo Kuma reduziert mit seinem ArtLab die japanische Architektursprache auf das Formale und setzt es in visuellen Kontrast zum Rolex Learning Center von Sanaa.

Date de publication
20-04-2018
Revision
20-04-2018

Von der Esplanade her kommend, lässt sich das ArtLab, der neue architektonische Wurf an der EPFL, schnell in seiner Gesamtheit erfassen. Ein langes Sattel­dach überspannt drei Pavillons aus Holz. Der erste der Pavillons enthält zwei Ausstellungssäle, der zweite ein Café und der dritte ein Musikarchiv. Für das Projekt hat sich der japanische Architekt Kengo Kuma mit CCHE Architecture et Design aus Lausanne zusammengetan, die mit den rechtlichen und baulichen An­forderungen vor Ort vertraut waren. Dazu wurden sie von mehreren in der Schweiz ansässigen Ingenieuren begleitet. Gemeinsam arbeiteten sie vier Jahre lang an der Fertigstellung des Projekts, ohne dabei das ursprüngliche Motto des ge­wonnenen Wettbewerbs aus den Augen zu verlieren: Under One Roof. Mit ihrem architekto­ni­schen Konzept und der daraus resultierenden Prägnanz in der visuellen Wirkung des Bauwerks ist das Team diesem Motto treu geblieben.

Aber birgt eine solche Eindeutigkeit nicht auch das Risiko, die Architektur allein auf ihre Form und deren visuelle Wirkung zu reduzieren? Vom Cosandey-Platz aus erscheint der Bau etwas subtiler: Mit dem ebenfalls auf dem Campus ansässigen Rolex Learning Center von Sanaa auf der linken Seite und den vom Nebel eingehüllten Gipfeln des savoyischen Chablais im Hintergrund erinnert die Szenerie an einen Holzschnitt des japanischen Meisters Hiroshige. Selbst Augustin Berque, der in Paris lehrende Philosoph und Geograf, hätte sich kein besseres Freiluftlabor der «Mesologie» wünschen können1: In seiner «Wissenschaft der Umgebungen» werden die Wechselwirkungen zwischen Architektur und ihrem räumlichen Umfeld untersucht.

Form und visuelle Wirkung

Entlang einer Nord-Süd-Achse platzierte Kengo Kuma seinen Bau parallel zur Allée de Savoie und schuf damit eine bebaute Front von über 200 m. Diese definiert deutlich die westliche Grenze des Cosandey-Platzes, des künftig grössten öffentlichen Platzes auf dem Campus der EPFL. Der Architekt setzte auf sein Bauwerk ein grosses, wie bei einer riesigen Origami-Figur geknicktes Satteldach, das der unebenen Topografie des Bodens folgt. Visuell auffällig: Der First greift die Silhouette des fernen Gebirges auf.

Am nördlichen Ende des Gebäudes knickt das Dach ab und bildet einen eindrucksvollen trigonalen Überhang. Mit einer Spitze gräbt er sich scheinbar in den Boden hinein, während die andere Spitze ins Leere ragt. Von diesem nördlichen Ende des Bauwerks aus verläuft eine durchgehend überdachte, lange Blindwand zu den Eingangsbereichen der Ausstellungsräume. Am südlichen Ende des Baus knickt das Dach ebenfalls in Richtung Boden ab und rahmt dabei den Blick vom Café zum See und zum Bergpa­norama ein.

Zwei Bauwerke, zwei Gegensätze

Mit dem neuen ArtLab von Kengo Kuma und dem gegenüberliegenden Rolex Learning Center von Sanaa (vgl. TEC21 26/2010) stehen sich nun an einem Ort zwei Projekte japanischer Architekten gegenüber, die in ihrer visuellen Wirkung kaum gegensätzlicher sein könnten. Bauform und Topograpfie des ArtLab reagieren aufmerksam auf die Gegebenheiten vor Ort. Das Rolex Learning Center mit seiner autonomen Geometrie stellt im Gegensatz dazu ein Bauwerk dar, das völlig losgelöst vom Standort existiert. Beide zitieren zwar japanische Architektursprache, allerdings ist die Interpretation jeweils sehr unterschiedlich. Während sich das Bauwerk von Sanaa an der auf dem Campus­areal allgegenwärtigen städtebaulichen Zersplitterung be­teiligt, bemüht sich das von Kengo Kuma darum, diese zu reduzieren. Dazu bedient sich Kuma architektonischer Elemente, die man üblicherweise eher in einem historischen Stadtkern als auf einem Universitätscampus antrifft: axiale Anordnung, parallele Ausrichtung zur Strassenseite, durchgehendes Dach, Innenhof, Vordach der Eingangsportale.

Die Gegensätzlichkeit der beiden Gebäude wird aus der Nähe noch deutlicher. Beim ArtLab bilden die Textur und Farbe des Fassadenholzes, der Schattenwurf des überstehenden Dachs und das Relief der Pfeiler gemeinsam eine edle Haut, die mit der glatten Glas­hülle des Rolex Learning Centers kontrastiert. Auch im Innern der beiden Gebäude schaffen die Architekten jeweils vollkommen gegensätzliche Stimmungen. Im ArtLab werden die Räume in den Pavillons von ihrer jeweiligen Zweckbestimmung oder von der äusseren Form des Gebäudes definiert. Die beiden Ausstellungssäle er­halten nur an ihren äussersten Enden Tageslicht, und die geschlossenen seitlichen Fassaden verstärken den perspektivischen Schlaucheffekt, der im Innenraum durch den engen Abstand der Pfeiler erzeugt wird.

Im Café schränken die Knicke des Dachs und der Fassa­de die Geometrie und Gestaltung der Innenräume stark ein. Demgegenüber schafft im Rolex Learning Center das Fehlen einer funktionalen Spezialisierung der Räume eine geradezu ätherische Atmosphäre, die das In­nere durchflutet. Es lassen sich hier also zwei radikal widersprüchliche Auffassungen erkennen, zwei mesologische Definitionen des architektonischen Raums, den man in Japan gern «Umwelt» nennt: Den von Kuma klar bestimmten und spezialisierten Räumen steht eine von Sanaa durchgehend und generisch gezeichnete Um­ge­bung gegenüber.

Stahlbleche als Notlösung

Beim ArtLab haben die speziellen und anspruchsvollen Bautechniken, die zur Anwendung kamen, kaum noch etwas mit dem von Kengo Kuma geäusserten Wunsch zu tun, das traditionelle Handwerk wiederzuentdecken («Sehnsucht nach japanischer Tradition», Kasten unten). Die ­statischen Berechnungen der Ingenieure zwangen die Handwerker, perforierte Stahlbleche in das Holz des Tragwerks einzubauen (vgl. Abb. S. 38). Der Traum von der Einfachheit lässt sich nur schwer mit den zahlreichen Anforderungen vereinbaren, die sich aus einer komplexen öffentlich-privaten Partnerschaft am Bau ergeben. Die Verbindung zur überlieferten japanischen Bautradition ist abgebrochen. Es bleibt lediglich das typisierende Bild, das der Bau, so wie er ausgeführt wurde, vermittelt: ein grosses Satteldach, das mehrere Holzpavillons überdeckt.

Bei vielen Projekten von Kuma ist solch eine prägnante Formensprache ein effizientes Mittel, um mehr oder weniger explizit ein vereinfachtes Bild der japanischen Architektur zu zeichnen. Beim Lausanner Projekt erkennt man aber auch ein weiteres traditionelles architektonisches Element, auf das sich der Architekt – und dieses Mal sehr explizit – beruft: Die Verwendung von Schiefer auf dem Dach lässt sich mit einem Verweis auf das Schweizer Chalet erklären.2 Dies ist ebenso überraschend wie schwierig zu fassen. Indem er seine Arbeit auf die japanische Architektur oder gar auf ein Schweizer Klischee zurückführt, scheint Kengo Kuma um jeden Preis an traditionellen Paradigmen festhalten zu wollen. Von der Architektur bleibt nur die Formensprache übrig.

Auf dem Cosandey-Platz hat sich die imaginäre Szenerie einer Landschaft von Hiroshige in Luft aufgelöst. Zurück bleiben zwei architektonische Solitäre, die einander gleichgültig sind. Hartnäckig hält sich der urbane Zustand mit seinen heterogen verstreuten Bauwerken, der für den Campus der EPFL so charakteristisch ist.

Dieser Text erschien in erstmals in TRACÉS 22/2016. Übersetzung aus dem Französischen: deepl.com, Viola John

Anmerkungen

  1. Die Mesologie wird definiert als die Wissenschaft der Umgebungen. Augustin Berque, Geograf und Philosoph, unterrichtet Mesologie an der Hochschule für Sozial­wissenschaften in Paris (EHESS). Über Kuma äussert sich Augustin Berque in «De terre en monde, la poétique de l’écoumène» in «L’habi­ter dans sa poéti­que première», Bei­trä­ge des Kolloquiums von Cerisy-la-Salle, veröffentlicht bei Donner Lieu, Paris, 2008, S. 231–247.
  2. Siehe hierzu Cedric van der Poel, «L’art de la simplicité», TRACÉS Nr. 13–14/2013.

Sehnsucht nach japanischer Tradition

Schon seit Mitte des 19. Jahrhunderts hat die japanische Architektur in Europa einen kontinuierlichen Einfluss ausgeübt. So war sie für den französischen Jugendstil eine gern kopierte Vorlage. Die Pioniere der modernen Architektur sahen in ihr ein weit entferntes und idealisiertes Vorbild. Später sollten die japanischen Metabolisten, die in ihren Anfängen vom europäischen Brutalis­mus inspiriert waren, ihrerseits schöne Mega­strukturen in Europa entwerfen. 1 Auch heute genügt es, den Blick durch die Regale der Bibliotheken von Architekturausbildungsstätten schweifen lassen, um festzustellen, dass die gegenseitige Vorbild­funk­tion zwischen Japan und dem alten Kontinent nie aufgehört hat. Die Arbeit von Kuma, die seit einigen Jahren in vielen westlichen Metropolen so sehr geschätzt wird, ist bezeichnend für die derzeitigen architektonischen Trends und Bemühungen.

Im Vorwort einer Monografie über ihn 2 führt Kuma mit einem Plädoyer für die traditionelle japanische Architektur in seine Arbeit ein. Er beginnt seine Ausführungen mit einer Ode an die Handwerker, Landschaft und Baukunst von Tohoku und Shikoku, zwei Regionen, die vom schrecklichen Erdbeben und vom Tsunami im Jahr 2011 weggefegt wurden. Das eindringliche Vorwort bekommt dogmatische Züge, als er erklärt, dass «Gott die Sintflut schickte, um die Menschen zu bestrafen», und dass «der Tsunami mit der Sintflut Noahs vergleichbar ist», die «diese Häuser und Autos im amerikanischen Stil wegfegen wird».

Im zweiten Teil seiner Argumentation setzt Kuma seine nostalgischen Verweise auf die traditionelle japanische Architektur fort, indem er von der Reise von Bruno Taut im Jahr 1933 zur kaiserlichen Kat­sura-Villa in Kyoto berichtet. Er zeigt sich gerührt von den Tränen Tauts angesichts der einfachen Schönheit einer simplen Bambuspalisade des Palasts. Gleich darauf geisselt er die vermeint­liche Gering­schätzung, die Le Corbusier bei seinem Besuch desselben Orts im Jahr 1955 zum Ausdruck gebracht haben soll. Gegen die Schrecken der Gegenwart verteidigt Kuma die vergessenen Werte der Tradition.

Das ist also die Schlacht, die er überall dort führen will, wo er baut. Seit seinen ersten postmodernen Werken in den 1990er-Jahren5 3war diese schwarz-weis­se und etwas moralisierende Opposition stets die Motivation für seine Arbeit. In seinen Argumentationen für Projekte bevorzugt er immer eine «Architektur der Beziehungen» gegenüber dem, was er als «Formalismus» anprangert. Er schlägt sich auf die Seite des Hand­werkers und des altüberlieferten Könnens gegen die «arrogan­ten und korrupten Menschen». Und schliesslich be­vorzugt er die «Wärme» des Holzes gegenüber Stahl oder Glas. (Mounir Ayoub)

Anmerkungen

  1. Über die japanische metabolistische Bewegung in Europa und den Plan von Kenzo Tange für Skopje von 1965 findet man einen Artikel in TRACÉS Nr. 10, 2016.
  2. Kengo Kuma, Complete Works, London, 2012, Thames & Hudson Ltd, Vorwort von Kengo Kuma, S. 7–9.
  3. Beispielsweise das Gebäude M2, 1991 in Tokio gebaut.

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