«Die Über­gangs­nut­zung ist ein In­stru­ment»

2006 schloss die Brauerei Ziegelhof am Rand der Liestaler Altstadt ihre Tore. Nach Leerstand und gescheiterten Plänen für ein ­Einkaufszentrum entwickeln nun die Büros denkstatt und Baubüro in situ das Areal in enger Zusammenarbeit mit der Stadt. Wir trafen die Beteiligten zum Gespräch.

Publikationsdatum
20-02-2020

Nach über 150 Jahren war Schluss. Die traditionsreiche Brauerei Ziegelhof am nördlichen Rand der Liestaler Altstadt wurde an den Luzerner Eichhof-Konzern verkauft, die Produktion 2006 an den Vierwaldstättersee verlegt. Das Areal in Liestal wurde Teil des damaligen Brachlandgürtels rund um die Altstadt.

Eine Immobiliengesellschaft sicherte sich das Vorkaufsrecht für das Gelände und erarbeitete gemeinsam mit der Stadt einen neuen Quartierplan. Ein Grossteil der Gebäude sollte abgerissen werden und einem Einkaufszentrum mit grossem Parkhaus Platz machen. Ein kleiner Teil der Bevölkerung bekämpfte das Projekt im Verein Pro Ziegelhof mittels Referendum – zu mächtig erschien den Kritikern der Neubau, unverhältnismässig der Abriss der Wohnbauten an der Linden­­­­­­­strasse und der Altbauten der Brauerei. Der Grossteil der Liestalerinnen und Liestaler sprach sich in einer Volksabstimmung 2012 jedoch für das Projekt aus. Der Weg für den Neubau schien geebnet, bis 2015 der Ankermieter Coop überraschend absprang. Darauf trat die Pensionskasse CoOpera auf den Plan und kaufte das Areal schliesslich.

Die neue Eigentümerin entschied sich für eine städtebauliche Transformation des Quartiers mithilfe von Um- und Zwischennutzungen und dafür, den Grossteil der Gebäude zu erhalten. Für die Entwicklung und Begleitung dieses Prozesses beauftragte sie die ­Basler Planungsbüros denkstatt und Baubüro in situ. Um vor Ort für alle involvierten Parteien – Stadt, Eigentümerin, Nutzer – präsent sein zu können, haben die ­beiden Büros im Kopfbau der Brauerei für die Dauer der Umnutzung ein Projektbüro eröffnet.

 

TEC21: Was bedeutet das Areal der Brauerei Ziegelhof für die Stadt Liestal?

Franz Kaufmann: Das Areal ist ein Scharnier zwischen der Altstadt und der Stadtentwicklung, die nördlich des Zentrums stattfindet. Dort passiert im Moment Tabula rasa – viele Bauten werden abgerissen und durch Grossüberbauungen ersetzt. Das bringt einen grossen Verlust an architektonischer Vielfalt und unterschiedlichen Nutzungen mit sich. Die Brauerei hat eine lange Geschichte und wirkte identitätsstiftend für Liestal. Dass sie geschlossen wurde, finde ich schmerzhaft. Mit der Entwicklung des Areals können wir die Erinnerung daran erhalten.

 

TEC21: Die Büros denkstatt und in situ haben bereits viel Erfahrung mit der Entwicklung ehemaliger Indus­trieareale. Wie kamen Sie zum Ziegelhof-Areal?

Esther Grass: Gegen das ursprüngliche Projekt formierte sich 2011 der Verein Pro Ziegelhof. Als 2015 der Verkauf des Areals zur Debatte stand, informierte ein Vereinsmitglied Barbara Buser, die Gründerin der denkstatt. Sie brachte die Pensions­kasse CoOpera ins Spiel, die sie bereits von ihrer Arbeit bei der Umnutzung des Liestaler Hanro-Areals kannte, und vermittelte zwischen den Parteien.

 

TEC21: Wie wichtig ist die Anwesenheit der Büros in situ und denkstatt auf dem Ziegelhof-Areal?

Esther Grass: Sehr wichtig, auch für die Zusammenarbeit mit den Mietern. Es handelt sich hier um eine rollende Planung. Sie bedingt, dass man eng begleitet und vor Ort ist. Grossüberbauungen kann man im Büro in Zürich zeichnen, und hier werden sie dann gebaut. Wir funktionieren nicht so.

Franz Kaufmann: Die Stadt schätzt diese Präsenz enorm. Wir haben sonst viel mit anonymen Bauherrschaften zu tun, die nicht vor Ort sind. Das erschwert die Zusammenarbeit. Die Verbindlichkeit, mit der auf dem Ziegelhof gearbeitet wird, ist für die Stadt toll.

 

TEC21: Die Gebäude auf dem Areal standen rund zehn Jahre leer. Wie nutzt sie die Bevölkerung seither?

Ivo Balmer: Ein schönes Beispiel ist das jährliche Kulturfestival «Lichtblicke». Ein Viertel der Veranstaltungen finden auf dem Ziegelhof-Areal statt. Das zeigt, für die Kulturszene Liestals hat das Gelände eine wichtige Funktion. Es ist wichtig, dass sich die Menschen hier ausprobieren dürfen. Wenn wir sie begleiten, können wir auch von ihnen lernen. Denn sie eignen sich das Areal an und kommen auf Ideen, die wir nie in Betracht gezogen hätten.

 

TEC21: Die Eigentümerin CoOpera entschied sich für eine schrittweise, niederschwellige Instandsetzung. Gibt es in Liestal Interessenten für solche Räume?

Ivo Balmer: Es handelt sich eben um eine Übergangs-, nicht um eine klassische Zwischennutzung. Wir wollen miteinander eine Lösung finden, die für die Unternehmen und für die CoOpera mit ihren Investitionserwartungen funktioniert und darüber hinaus einen Mehrwert auf dem Areal generiert. Die Übergangsnutzung ist hier ein Instrument, eine dialogische Entwicklung – kein Freiraum, der kostenlos allen zur Verfügung steht.

Franz Kaufmann: Am Anfang wurden diesbezüglich falsche Erwartungen geweckt. Wir haben eine zwei­tägige Zukunftswerkstatt durchgeführt, wo die Teil­nehmer Ideen einbringen konnten. Viele dachten, man könne hier nun gratis Raum belegen. Aber die Eigentümerin ist eine Pensionskasse, die sich am Markt orientiert, und der Quadratmeter hat einen Preis.
In Liestal gibt es bereits Kleinunternehmer, die in zwischengenutzten Räumen beispielsweise der SBB eingemietet sind. Sie hofften, in den Ziegelhof wechseln könnten, was aber wegen der Quadratmeterpreise, der heterogenen Flächen und des teilweise hohen Investitionsbedarfs nur bedingt möglich ist.

Ivo Balmer: Es ist ein sehr lokales Angebot und auch eine lokale Nachfrage. Das war in der Startphase sehr schwierig, Zwischennutzungen sind hier nicht verbreitet – im Gegensatz zu Basel, wo es auch entsprechende Netzwerke gibt, die man bedienen kann. Hier mussten wir solche Vehikel erst etablieren.

Eine ausführlichere Version dieses Gesprächs finden Sie in TEC21  5/2020 «Utopien auf Zeit».

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