Schirm und Ske­lett

Centre Le Corbusier, Zürich, Tragkonstruktion

Das Centre Le Corbusier / Museum Heidi Weber ist ein Ausstellungsgebäude, das selber Vorzeigeobjekt ist. Das markante Stahldach ist geschweisst, die Kuben darunter verschraubt. Zur Bauzeit war das aussergewöhnlich.

Publikationsdatum
28-05-2015
Revision
07-10-2015

Als Le Corbusier im August 1965 überraschend starb, waren lediglich die Grundmauern seines Ausstellungs­pavillons Centre Le Corbusier in Zürich betoniert. Die Pläne für den gesamten Bau lagen glücklicherweise bereits bis fast zum letzten Detail vor. Trag- und Raumstruktur sowie die Fassade zeigen sich daher noch heute so, wie er sie gemeinsam mit den Ingenieuren Louis Fruitet und Jean Prouvé konzipiert hatte. 

Flexibel unter Dach

Der am 15. Juli 1967 eingeweihte Bau auf der Zürcher Blatterwiese ist ein kubisches Volumen mit markantem Dach; Dachtragwerk (parasols-parapluies) und Raumkörper (corps de logis) sind optisch und statisch zwei unabhängige Systeme. Das Ensemble unterstreicht den Charakter als Ausstellungspavillon, der das Volumen unter dem Dach selbst zum ausgestellten Objekt macht.

Der Pavillon ist aus Stahl, Email und Glas. Für die Bauherrin Heidi Weber symbolisierte Stahl das Neue, die Moderne. Sie fand, dass Beton einer vergangenen Zeit angehörte.1 Als ein Stahlleichtbau betonte das Bauwerk den temporären Charakter der in dieser Zeit vielfach von Le Corbusier studierten Ausstellungsgebäude. 

Während der Planung war die Materialisierung allerdings nicht immer klar. In einem Brief an Louis Fruitet schrieb Le Corbusier, das Tragskelett bilde ein Schirmdach, das seiner Ansicht nach aus dickem Blech geschweisst werden sollte, und das darunter gestellte Volumen sei ein Trockenleichtbau, der im Innern aus dünnen Materialien bestehe und eine 10 bis 12 cm dicke Haut aus Spritzbeton habe.2

In dieser Materialisierung hätte der Pavillon teilweise an das Architekturmuseum in Chandigarh erinnert, das Le Corbusier um 1964 ganz in Stahlbeton konzipierte, das aber erst 1997 vollendet wurde. Von den ersten ­Entwürfen blieben im Zürcher Bau einzig das Untergeschoss und die Rampe zur Dachterrasse in Stahlbeton. 

Der Bau wurde in zwei Etappen errichtet: Als Erstes erstellte man das Stahldach, danach in seinem Schutz darunter das kubische Volumen. Es steht auf einem Untergeschoss aus Stahlbeton und ist zweigeschossig. Winkelprofile aus Stahl bilden die Tragstruktur in Form eines Skelettbaus. Es ist flexibel und, einzig durch das Dach begrenzt, beliebig erweiterbar. Der Stützenraster respektive die Kantenlänge der Kuben folgen den Massen des von Le Corbusier entwickelten «Modulor»-Prinzips: 226 × 226 cm. Diese Einheit entspricht der Durchschnittsgrösse eines europäischen Manns von 1.83 m mit ausgestrecktem Arm.

Jeweils vier schlanke 3 mm dicke Winkelprofile (ca. 12 × 12 mm) sind kreuz­weise miteinander verbunden. Diagonalverstrebungen in einigen Kuben steifen die Konstruktion aus. Über 20 000 Schrauben halten das Ganze zusammen. Louis Fruitet entwickelte gemeinsam mit der Schweizer Firma Wartmann & Cie. das Montagesystem dafür – eine Weiterentwicklung des Systems, das Le Corbusier für die serienmässige Herstellung von Ferienhäusern verwenden wollte, 1950 beim französischen Patentamt anmeldete und 1953 tatsächlich als Patent erhielt.3

In den Skelettbau fügen sich vorfabrizierte Decken- und Wandelemente. Die speziellen Fassaden­elemente entwickelte Le Corbusier zusammen mit Jean Prouvé. Die Deckenelemente bestehen aus Stahlblechkassetten. Wo keine Decken eingezogen wurden, entstanden zweigeschossige Atelierräume. Eine doppel­läufige Treppe verbindet die ineinander greifenden Räume miteinander. Die senkrecht zum länglichen Baukörper angefügte Rampe erschliesst die Terrasse unter dem Dach.

Für die nichttragenden Wand- oder Fassadenelemente wurden Verbundglas oder Metallplatten verwendet. Die Platten sind 113 × 226 cm gross und können beliebig angeordnet werden; paarweise setzen sie sich jeweils zu einem Quadrat zusammen. Sie bestehen aussen aus emailliertem Metall in Rot, Gelb, Grün, Schwarz oder Weiss, innen aus Eichensperrholz, dazwischen liegt die Dämmung. Warm- und Kaltwasserleitungen sind rot respektive blau gestrichen, alle Stromleitungen gelb. Alle Tragelemente haben einen dunkelgrauen Anstrich, auch das Dach.

Linien werden Raum

Das etwa 40 t schwere Dach stellt sich vom übrigen Bau getrennt wie ein Schirm über das kubische Volumen des eigentlichen Ausstellungsraums und schützt die Benutzer vor Sonne und Regen. Für das Dach wurden vorfabrizierte Stahlelemente auf die Baustelle transportiert und vor Ort zusammengeschweisst. Ein Autokran hievte die Tragkonstruktion auf eine Höhe von 9 m und stellte sie auf die vorab montierten Stützen.

Die Dachkonstruktion setzt sich aus zwei im Grundriss 12 × 12 m grossen Quadraten zusammen; ein 2.3 m breites Mittelstück verbindet die beiden Teile. Ein Quadrat besteht jeweils aus vier 5 mm dicken Stahlblechen, die so platziert sind, dass sich bei ihren Schweissnähten Kehle und Grat abwechseln.

Den sattelförmig zueinander geneigten Quadraten sind auf der Oberseite Rippen aufgeschweisst, die die Flächen versteifen. Die Versteifungsrippen jedes Dachsektors haben Aussparungen, die den Dachwasserablauf gewähren. Die Dachränder bestehen aus dreiecksförmigen und auf der Innenseite ebenfalls mit Rippen versteiften Blechträgern. Sie sind bis zu 1600 mm hoch und betonen das Auf und Ab der Dachflächen.

An deren Dreieckspitzen schliessen sechs der insgesamt neun Stützen an: drei Stahlrohre an die nach oben weisenden Spitzen und drei Wandscheiben mit Stahlhohlprofil (420 × 2260 × 7570 mm) an die nach unten weisenden Spitzen. Weitere drei Wandscheiben leiten die Lasten am Dachrand im Bereich des Mittelstücks in den Baugrund. Jedes Dachquadrat, für sich gestützt und ausgesteift, betont den seriellen Aspekt des Systems.

Louis Fruitet zeichnete für die Statik des Dachtragwerks verantwortlich. Zwar erinnert es mit seinen planen Dachuntersichten an ein Faltwerk. Doch dies entspräche nicht der gewählten Materialisierung. Le Corbusier übersetzte die flächige Vorstellung seines Dachtragwerks von Beton in Stahl, indem er architektonische und tragwerkspezifische Aspekte berück­sichtigte.

Während beim Museum in Chandigarh ein dem Baustoff entsprechendes Flächentragwerk zu erkennen ist, lässt sich die relativ komplex erscheinende Dachform beim Zürcher Bau auf ein statisches System aus vor allem linearen Tragelementen abstrahieren: Wandscheiben, Blechträger und Stahlrohre setzen sich zu einem räumlichen Linientragwerk zusammen, das die zwischengehängten flächigen Dachelemente trägt.

Die vermeintlich für sich stehenden Wandscheiben sind Teil eines Rahmentragwerks – Scheiben und Binder fügen sich für den Benutzer unsichtbar in und über der Dachebene zu einem Hauptrahmen zusammen. Das Dachtragwerk hält sich also an eine mehrheitlich lineare Lastabtragung, was schliesslich ­seiner Materialisierung entspricht. Die Dachkonstruktion ist aus statischer Sicht konsequent durchdacht. 

Demonstratives Modell

Die verschraubte Stahlkonstruktion der Kuben zeigt das wirtschaftliche und logistische Potenzial sowie die Perspektiven der Wiederverwendbarkeit auf. Für Ausstellungspavillons, die vielfach auch temporär genutzt werden, ist dies durchaus sinnvoll. Für die monolithische Konstruktion des geschweissten Dachtragwerks hingegen ist das nicht der Fall.

Le Corbusier hat es nicht mit der Absicht geplant, es erweitern oder temporär erstellen zu können. Aus tragwerkspezifischen Gründen entspräche Beton hier also dem flächigen Erscheinungsbild besser. Der Zweck ist allerdings ein anderer: Das Centre Le Corbusier ist eine Demonstration einer vorfabrizierten Stahlkonstruktion. 

Anmerkungen

  1. Catherine Dumont d’Ayot / Tim Benton, Le Corbusiers Pavillon für Zürich, Zürich 2013, S. 153.
  2. A. a. O., S. 45.
  3. A. a. O., S. 50 f., 54–55. 

Literaturhinweise

  • StrucTuricum – 51 bemerkenswerte Bauwerke in Zürich, Ingenieurbauführer, Th. Vogel, P. Fehlmann, Th. Wolf, E. Honegger, vdf Hochschulverlag an der ETH Zürich, Zürich 2012.
  • Jürg Gasser, «Centre Le Corbusier in Zürich». Detail 1968/2, S. 1464 f.

Am Bau Beteiligte

 

Bauherrschaft
Heidi Weber, Zürich


Architektur
Le Corbusier, Paris


Architektur, Mitarbeiter
Alain Tavès, Robert Rebutato, Guillermo Jullian de la Fuente, José Oubrerie, Paris


Tragwerksplanung
Louis Fruitet, Paris


Fassadenplanung
Jean Prouvé, Paris


Ingenieurarbeiten Beton
René Bollinger, Zürich


Bauleitung
Willy Boesiger, Zürich (1961 bis Februar 1966)


Montagesystem, Stahlbau
Wartmann & Cie., Brugg und Zürich

Magazine

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