Zeitschichten im Dialog
Umbau Jennyhaus, Wildhaus SG
Staufer & Hasler Architekten schreiben die gehaltvolle Geschichte des Toggenburger Jennyhauses weiter, indem sie das Neue dem Vorhandenen gleichberechtigt gegenüberstellen und ein neues Gleichgewicht schaffen. Das schmale Budget war dabei Herausforderung und Chance zugleich.
Das Jennyhaus liegt malerisch auf einer Anhöhe über Wildhaus. Der Blick wird zwischen sanften Hügeln durch das Säntismassiv und die Churfirsten begrenzt. Die Ortsbürgergemeinde St. Gallen erwarb das Bauernhaus 1945 als Ferienlager für die Kinder des Waisenhauses Girstannersberg und baute es in den folgenden Jahren mehrmals um. Nach der neusten Renovation und einer baulichen Ergänzung kann es seit Sommer 2025 wieder als Ferienhaus mit 16 Zimmern und 50 Betten an Gruppen vermietet werden.
Bei der Planung legten die Architekten viel Wert auf einen sorgfältigen Umgang mit dem Vorhandenen: Alt und Neu stehen sich gleichberechtigt gegenüber und ergänzen sich funktional, ästhetisch und inhaltlich. Für Astrid Staufer von Staufer & Hasler Architekten hat das auch damit zu tun, wie man frühere Eingriffe – seien dies Details oder grössere Umbauten – priorisiert und mit dem Neuen verbindet.
«In einen Dialog zueinander setzt» wie sie präzisiert. «Aus dem Alten soll etwas erfrischend Neues entstehen, das die Anforderungen der gegenwärtigen Bedürfnisse erfüllt.» Das eine lässt dem anderen dabei selbstverständlich seinen Platz, ohne es zu absorbieren, zu überschreiben oder übermässig zu kontrastieren. Wie das im konkreten Fall aussehen kann und was für eine Rolle Kreislaufwirtschaft dabei spielt, dafür ist das Jennyhaus ein schönes Beispiel.
Altbau: Aus drei Geschossen werden zwei
Im Herbst 2022 entschied der Bürgerrat, mit einer Umgestaltung des Jennyhauses an die Synergien, die das neue Toggenburger Klanghaus in die Region bringt, anzuknüpfen. Obwohl der Bau nicht unter Schutz stand, hätte man bei einem Neubau nur geringen Spielraum gehabt und sich mehr oder weniger an das gleiche Volumen halten müssen.
Der östliche Wohnteil wurde trotz der sehr niedrigen Raumhöhen von maximal 1.90 m erhalten, da hier – im Gegensatz zum mehrfach verunstalteten und asbestkontaminierten Stallteil – unter den Verkleidungen noch der originale Strickbau vorhanden war. Um eine für heutige Verhältnisse angemessene Raumhöhe im Arvensaal, dem Ess- und Gemeinschaftsraum, zu erhalten, wurde die Decke im Erdgeschoss um einen halben Meter angehoben.
Weil man auch im Obergeschoss Raumhöhe gewinnen wollte, wurde dieses gegen den Dachstock geöffnet. So hat das Haus nun anstelle von drei Geschossen nur noch zwei. Im Arvensaal zeichnet ein farbiges Kassettenband über den Fenstern diese Zäsur nach. Der westliche Anbau dagegen wurde abgebrochen und durch einen neuen Holzbau ersetzt.
Das Budget von insgesamt 3.2 Mio. Franken war für die geplanten baulichen Eingriffe knapp. Aber nicht nur deshalb, sondern auch aus Gründen des grossen Charmes entschieden sich die Architekten, bei der Inneneinrichtung neben dem vielen Täfer, das einen Grossteil der Wandverkleidung ausmacht, auch Kleiderhaken und Möbel wie Bänke, Truhen und Kommoden – überhaupt alles, was sinnvoll war – zu erhalten.
Die alten Wirtshausstühle wurden geschliffen und transparent lackiert. Jene, die in besonders schlechtem Zustand waren und gespachtelt werden mussten, zeichnet nun der hellblaue Lack aus. In einigen Räumen machten alte Tapetenschichten die Renovationen ablesbar, die über die Jahrzehnte erfolgt waren. Sie mussten aus Gründen des Brandschutzes entfernt oder verkleidet werden.
Damit sie nicht ganz verloren gingen, liessen die Architekten das Grafikbüro Bivgrafik aus abgelösten Tapetenfetzen Bilder anfertigen. Sie geben nun im Gemeinschaftsraum einen Rückblick auf Stilgeschichte und Geschmack der Nutzer. Das Holztragwerk in dem Raum wurde anlässlich eines früheren Umbaus verkleidet und war deshalb gut erhalten. Nach der Freilegung sind die grosszügigen Balken wieder sichtbar.
Neubau: ergänzen, anknüpfen, abwägen
Im neuen Holzelementbau mit Decken aus Brettsperrholzplatten überdecken feine, ochsenblutrote Leisten die Fugen der brandschutzbedingten Fermacell-Wandverkleidung. Ein günstiger und unterhaltstechnisch effizienter wie auch optisch wirksamer Eingriff. Solche «Opferleisten» brachte man in traditionellen Häusern an, damit man bei Beschädigungen der Oberflächen nicht die ganzen Wände erneuern musste, sondern nur ein Feld auszutauschen brauchte. Die Architektinnen und Architekten griffen auch hier auf einen wiederkehrenden Farbkanon zurück, der Toggenburger Bauernmöbeln entstammt.
Die Schlafzimmer sind wie in Schiffskojen «Zweierchämmerli», «Viererschläge» sowie eine «Sechser-Alkove», teils mit Kajütenbetten. Einige sind zur Erschliessung mit Falttüren, letztere mit Vorhängen abgetrennt. Kleinere Arbeitsbereiche, eine grosszügige Dachkammer sowie die erwähnte Stube ergänzen das Programm.
Bis das Budget für eine neue Treppe vorhanden ist, führt ein Holzprovisorium in den Garten. Toggenburger Handwerkerinnen und Handwerker, Schreiner und Fensterbauer führten die Arbeiten mit regionalem Holz aus – auch das gehört zur Ökologie des Baus. Findlinge, die vor Ort lagen, gestalten den Aussenraum. Zudem wurde ein neuer Wetterbaum gepflanzt, der gut sichtbar vom Haus aus den Lauf der Jahreszeiten vor Augen führt.
Balance schaffen
Das Jennyhaus zeigt, dass Kreislaufwirtschaft eng mit einer dem Objekt und den Nutzungsbedürfnissen verbundenen Ganzheitlichkeit zu tun hat. Oder wie Astrid Staufer es ausdrückt: «Es ist wichtig, eine Balance zu schaffen aus dem, was da ist, also der Lokaltradition, und aus dem, was wir aus den Anforderungen der heutigen Zeit heraus dazugeben. Dies zu einer Einheit zu verschränken, ist unsere wichtigste Aufgabe.»
Bauen im Bestand enthält im Kern alles, was Kreislaufwirtschaft ausmacht. Wie konsequent und integrativ sie am jeweiligen Objekt umgesetzt wird, ist eine Interpretationsfrage, die vor allem die Architektinnen und Architekten beantworten müssen. Im Jennyhaus verflechten sich Ergänztes, Wiederverwendetes und Neues im Grossen wie im Kleinen.
Das Weiterschreiben der Geschichte dieses Hauses beginnt mit dem mutigen Entscheid, das Wohnhaus trotz schwieriger Grundlagen zu erhalten und es mit einem neuen Anbau zu ergänzen. Im Detail macht die Wiederverwendung ganz alltäglicher Gegenstände wie Kleiderhaken und Möbel alte Spuren sichtbar. All das trägt zu einem vielschichtigen Dialog zwischen Alt und Neu und zu einer funktionalen und ästhetischen Ganzheit im neuen alten Jennyhaus bei.
Sanierung, Umbau und Teilersatz Jennyhaus, Toggenburg
Bauherrschaft
Ortsbürgergemeinde St. Gallen
Gesamtbaukosten (BKP 1–6)
CHF 3.2 Mio.
Planung und Realisierung
2022–2025
Architektur
Staufer & Hasler Architekten, Frauenfeld
Baumanagement
Stephan Selb, Pascal Minder
Tragkonstruktion
Gruner Schweiz, St. Gallen
Bauphysik
Studer + Strauss, St. Gallen
Elektroingenieurplanung
IBG B Graf Engineering, St. Gallen
HLKS-Planung
Calorex, Wil
Holzbau/Brandschutzplanung
LainPlus, Bühler
Landschaftsarchitektur
Martin Klauser, Rorschach
Kunst am Bau
Bivgrafik mit Frank Braun, Zürich