Reduktion als Luxus
Renovation und Umbau Hôtel de la Cigogne, Saint-Ursanne
Zuweilen gelingt es einem Hotelbetrieb, das Raumangebot zu verbessern, ohne es zu vergrössern. CCHE Architectes aus Lausanne zeigten beim Umbau des Hotels de la Cigogne in Saint-Ursanne, wie das gelingen kann.
Auf dem Weg vom hochgelegenen Bahnhof hinunter in die Kleinstadt Saint-Ursanne begibt man sich in eine Landschaftsfalte, über die die Zeitläufe hinweg zu streifen scheinen. Drei Tore und eine Brücke begrenzen die mittelalterliche Innenstadt, deren Gravitationszentrum ein Chorherrenstift aus dem 12. Jahrhundert bildet.
Die Lage zwischen den Bergzügen des Jura und dem Ufer des Doubs zieht seit Jahrzehnten Touristen an. Zu einer Pause auf den Wander- und Velorouten laden verhältnismässig viele Hotels ein. Die kleinteilige Struktur, die dem seit 1986 denkmalgeschützten Ort seinen nahbaren Charakter verleiht, lässt allerdings nur Betriebe mit einem begrenzten Zimmerangebot zu.
Eines der grösseren und traditionellen Häuser ist das Hôtel de la Cigogne, direkt gegenüber der Stiftskirche. Das Hotelgebäude, dessen Ursprünge auf das 16. Jahrhundert zurückgehen, wurde einer umfangreichen energetischen Sanierung unterzogen: Anlass war der Ersatz der Ölheizung durch den Anschluss ans Fernwärmenetz.
Der Denkmalschutz bedingte, dass die damit einhergehende Anpassung der thermischen Hülle von aussen nicht in Erscheinung tritt. Auch der nötig gewordene neue Dachstuhl entspricht – abgesehen von den Gauben, die anstelle der Dachflächenfenster getreten sind – der Form des früheren.
➔ Einen kurzen Film zu den Umbauarbeiten am Hôtel de la Cigogne sehen Sie hier.
Baden statt Essen
Betrieblich hat die Sanierung zu einer Neuausrichtung geführt. Der rückwärtig angefügte eingeschossige Anbau, in den sich bisher das Restaurant ausdehnte, wurde abgerissen. Stattdessen reduziert sich ein deutlich schmalerer Frühstücksraum auf die Kubatur des historischen Bestands. Für die weitere kulinarische Versorgung verweisen die Hoteliers auf ein Restaurant in der Nachbarschaft.
Das frei gewordene Gelände hat eine neue Nutzung als Miniatur-Spa mit Garten und Aussenbereich erhalten. Dafür folgt eine traditionell verputzte Mauer der gebogenen Grundstücksgrenze in die Tiefe. Innenseitig fasst sie einen überdachten Wandelgang, in dem sich die Badegäste aufhalten können. Der Garten in der Mitte ist von niedrigen Mäuerchen umgeben.
Die zweite Grundstücksgrenze haben die Planenden als raumhaltige Schicht ausgebildet: An der Enfilade reihen sich die Kabinen für den Badeparcours auf. Dort, wo die beide Flanken zusammentreffen, setzt ein Pavillon mit Warmwasserbecken den Schlusspunkt. Der teils offene, teils überdachte Hof ist als Referenz an den wunderschönen Kreuzgang des benachbarten Stifts zu lesen.
Empfang auf Augenhöhe
Die massiven Steinwände und Gewölbe des Bestands haben die Innenarchitekten zum Thema erhoben: Auch zugefügte Wände sind entsprechend stark ausgeführt und durch Rundbögen gegliedert – die bauliche Struktur wird also nicht als Problem, sondern als Charakteristikum erkannt. Eine unkonventionelle mehrfache Nutzung lässt die begrenzte Fläche grosszügig erscheinen. Der hindernisfrei zu erreichende Empfangsraum funktioniert auch als Arbeitsplatz, Leseplatz und Wartebereich. Dies wird nicht durch zusätzliche Möblierung, sondern durch Einbauten erreicht, die sich mit der Architektur verbinden.
Es ist kaum zu glauben, wie auf den drei Etagen jeweils vier Gästezimmer untergebracht sind, zumal je eines davon hindernisfrei ist. Zusammen mit dem Bad und dem WC bilden die Betten einen zentralen Block. Nur ein umlaufender Streifen bleibt als Bewegungsfläche. Die Vorhänge lassen sich über die gesamten Wände ziehen und können aus einer Voute indirekt beleuchtet werden. Spiegel hinter dem Betthaupt werfen das Tageslicht zurück.
Jedes Zimmer liegt mit zwei Seiten an der steinernen Aussenwand und bietet gemütliche Sitznischen in den Fensterlaibungen. Der Ausblick auf das Stift oder in den Garten, den man vom Bett und aus der Dusche hat, trägt einen grossen Teil zur Atmosphäre bei und täuscht über die geringe Grundfläche hinweg.
Luxus durch Reduktion
Der gesamte Farb- und Materialkanon ist wohltuend hell und natürlich – manchen Gästen erscheint er etwas zu klösterlich: Bilder oder Deko sucht man hier vergebens. Wenige, natürliche Materialien aus der Region wie Kalkstein oder Eiche für den Innenausbau hüllen das Haus in eine ruhige Stimmung. Nur eine Laune erlaubten sich die Planenden: Das gotische Masswerk in den Fenstern der gegenüberliegenden Kirche in Form von dreiblättrigen Rosetten kehrt als Ornament in den Holzarbeiten und auch im grafischen Erscheinungsbild des Hotels wieder.
Der Aufwand der Renovierung bis in die Eingeweide und die Auseinandersetzung mit den denkmalpflegerischen Vorgaben hat der Bauherrschaft einiges abverlangt. Mit unorthodoxen Ideen setzten die Beteiligten zugleich luxuriöse und ökologische Ansprüche um. Das Traditionshaus hat sich zu einem Aufenthaltsort verändert, der durch räumliche und gestalterische Zurückgenommenheit zukunftstauglich erscheint. Nun zählen die Gastgeber auf Besucher, die nicht nur einen Sinn für die Annehmlichkeiten, sondern auch Interesse an einem nachhaltig geführten Haus beweisen.
Renovation und Umbau Hôtel de la Cigogne, Saint-Ursanne
Bauherrschaft
Definitely Different Group, Vevey
Architektur, Bauleitung, Landschaftsarchitektur, Signaletik
CCHE, Lausanne
Tragkonstruktion
Kurmann Cretton Ingénieurs, Monthey
HLKS-Planung
JDR Energies, Confignon
Vermessungswesen
Brunner Ingénieurs géomètres, Porrentruy
Akustik
Planair , Délémont
Brandschutz
Energys, Neuenburg
Bauphysik
Prona Romandie, Neuenburg
Küchenplanung
ECCP, Lausanne