«Putz be­stimmt un­se­re ge­bau­te Um­welt»

Eine gute Zusammenarbeit zwischen Architektur, Farbplanung und Handwerk erhöhe die Qualität unserer Bauten, bekräftigen die Auslober des Schweizer Preises für Putz und Farbe. Wir fragten beim Präsidenten des Schweizerischen Maler- und Gipserunternehmer-Verbands nach.

Publikationsdatum
25-01-2023

Ein Blick aus dem Zugfenster auf einer beliebigen Fahrt durch das Schweizer Mittelland reicht, um sich die Dringlichkeit des Themas vor Augen zu führen: Landauf, landab ist die überwiegende Mehrheit aller Bauten verputzt, doch nur bei wenigen lässt sich ein ernsthaftes Streben nach gestalterischer oder handwerklicher Qualität erkennen. Während bei Fassaden aus anderen Materialien – etwa Sichtbeton, Holz oder Metall – in der Regel eine gewisse Sorgfalt bei Entwurf und Ausführung erwartet wird, scheint man sich bei Putzfassaden gern mit Standardlösungen zu begnügen.

Angesichts der schieren Menge an verputzter Baumasse ist das bedenklich. Schlimmer noch, in den letzten Jahrzehnten sind besonders viele solcher Häuser hinzugekommen: Der Siegeszug der Kompaktfassade bei Neubauten und die Aussendämmung bestehender Gebäude bei energetischen Ertüchtigungen haben Spuren in unseren Städten und Agglomerationen hinterlassen. All diese Bauten mögen ganz ordentlich daherkommen und Standardlösungen ihre Berechtigung haben. Doch in Anbetracht der gestalterischen, handwerklichen und technischen Möglichkeiten von Putz und Farbe ist die Beschränkung auf eine derart reduzierte Palette eine baukulturelle Fehlleistung.

Ein differenzierterer Umgang mit verschiedenen Putzrezepturen und -techniken bietet die Chance, unser Lebensumfeld aufzuwerten. In der Schweiz gibt es durchaus Handwerksbetriebe, die die nötige Kom­petenz haben oder sie sich erarbeiten wollen. Damit sie sich in einer frühen Prozessphase einbringen können und um die kreative Zusammenarbeit mit Planungsfachleuten zu fördern, vergeben der Schweizerische Maler- und Gipserunternehmer-Verband SMGV sowie die Messe Luzern unter dem Dach der Fachmesse appli-­tech den «Schweizer Preis für Putz und Farbe». Auch TEC21 engagiert sich als Fach- und Me­dienpartner für dieses Streben nach interdisziplinärer Zusammenarbeit und baukultureller Qualität.

Die neuste Austragung des Preises zeigt mehrere Trends auf. Erstens die zunehmende Beschäftigung mit dem Thema auf hohem Niveau, belegt durch die Anzahl herausragender Projekte. Zweitens das wachsende Interesse für natürliche Putzrezepturen, die aus lokalen Quellen stammen und problemlos in den Materialkreislauf zurückgehen können. Drittens den Vorteil von Putz als langlebige Ge­bäudehülle, die auch nach vielen Jahrzehnten wo nötig reparabel ist, anstatt entsorgt ­werden zu müssen. Und viertens fällt der vermehrte Einsatz von verputztem Mauerwerk aus Dämmbacksteinen auf. Wie sind diese Entwicklungen einzuordnen? Wir sprachen mit Mario Freda, dem Präsidenten des SMGV.


Herr Freda, welchen Stellenwert hat der Schweizer Preis für Putz und Farbe für Ihren Verband?

Er ist für uns sehr wichtig, haben wir doch schon lange festgestellt, dass das Handwerk zu weit weg ist von den Architekten und Planerinnen. Wir glauben, dass es wichtig ist, diese Baukultur des Zusammenarbeitens zu fördern – und zwar schon in einer frühen Phase. Heute ist die architektonische Planung oft schon abgeschlossen, wenn das ausfüh­rende Handwerk beigezogen wird – und dann folgen die Probleme. Vieles, was in der Planung relativ einfach schien, lässt sich nur sehr schwer oder nicht ideal umsetzen. Mit dem Preis wollen wir Gegen­steuer geben, um künftig noch bessere Resultate zu bekommen. Viele Probleme und Schadenfälle liessen sich auf diese Weise vermeiden.


Putz ist allgegenwärtig, dennoch bekommt er häufig nicht die Aufmerksamkeit, die er verdient. Wieso?

Das ist eine gute Frage, und ich finde es schade, dass sie überhaupt gestellt werden muss! Hier in der Schweiz ist das Erscheinungsbild der Gebäude und die Atmosphäre der Innenräume mehrheitlich von Putzoberflächen geprägt. Putz bestimmt unsere gebaute Umwelt. Gerade die Ein­reichungen des diesjährigen Preises führen uns vor Augen, wie vielseitig Putz in der Architektur eingesetzt werden kann. Mit dem Zusammenspiel von Putz und Farbe lassen sich sowohl optisch als auch ­haptisch wahrnehmbare Oberflächen handwerklich erschaffen. Für mich müsste es eher heissen: «Welche Putztechnik und Farbgestaltung darf es denn sein?»


Welche Tendenzen sehen Sie aktuell?

Alte Putztechniken werden derzeit wiederentdeckt, so der Besenstrich oder der Kellenwurf. Diese leben von der Handschrift des Handwerkers. Althergebrachte Materialien wie etwa Lehmputz erleben eine Renaissance. Und auch im Rahmen der Nachhaltigkeitsdiskussion gewinnt der Putz an Bedeutung. Das wird uns die nächsten Jahre beschäftigen, und es wird sich noch vieles verändern.


Stichwort Kreislaufwirtschaft: Was wird aus dem Putz nach dem Gebäuderückbau?

Dies wird eine grosse Aufgabe für uns und die Hersteller. Aber ich glaube, wir sind da schon auf einem guten Weg. Denn die mineralischen Putze, die ja die Grundlage für die traditionellen Putze und Techniken bilden, bieten den grossen Vorteil, dass sie einfach durch Brechen, Mahlen oder Sieben in den Kreislauf von mineralischen Mörteln oder Betonen als Zuschlagstoffe (Sand, Kies oder Körnungen) in­tegriert werden können.


Sind Kompaktfassaden problematischer oder weniger problematisch als monolithische Mauerwerke aus Backsteinen mit eingeschlossenem Isolationsmaterial? Letztere sind ja zurzeit auf dem Vormarsch.

Beides ist gleichermassen herausfordernd. Die Isolierbacksteine mit integrierter Dämmung können nur mit viel Aufwand sortenrein zurück­gebaut werden. Im Bereich der Kompaktfassade, insbesondere bei der verputzten Aussenwärmedämmung, gibt es bereits innovative Lösungsansätze, die durch den Einbau eines Separationsgewebes die Putzschichten vom Dämmstoff sauber trennen.


Welche weiteren Entwicklungen zeichnen sich ab?

Es wird immer mehr vorfabrizierte Teile geben, die wir Handwerker nur noch veredeln werden. Doch trotz aller Digitalisierung und Vorfabrikation wird es unseren Berufsstand noch lange geben. Man muss für alles gewappnet sein. Vielleicht malt der Maler irgendwann nicht mehr nur mit Pinsel und Roller, sondern ist auch Drohnenpilot.

Schweizer Preis für Putz und Farbe

 

Der Schweizerische Maler- und Gipserunternehmer-Verband SMGV und die Messe Luzern riefen den «Schweizer Preis für Putz und Farbe» 2015 ins Leben. Zum dritten Mal prämiert die unabhängige, interdisziplinäre Fachjury gelungene Bauten und Raumkonzepte, die einen handwerklich, technisch und gestalterisch besonders hochwertigen Einsatz von Putz und Farbe aufweisen. Um die Zusam­menarbeit von Fachleuten aus Architektur, Innenarchitektur, Farbgestaltung und Handwerk zu fördern, wendet sich die Auszeichnung an interdisziplinäre Teams.

Kategorien
•    Putzfassade/Farbgestaltung (Gold, Silber, Bronze)
•    Innenraumgestaltung (Gold, Silber, Bronze)
•    Sonderpreis der Jury für energetische Sanierung
•    Anerkennungspreis
•    Publikumspreis


Jury
Andreas Hild, Hild und K, München, Prof. TU München
Peter Dransfeld, dransfeldarchitekten, Ermatingen
Annette Helle, Helle Architektur, Dozentin, FHNW
Johannes Käferstein, Leiter Institut für Architektur, Hochschule Luzern
Hartmut Göhler, BGM Architekten, Basel, Dozent ZHAW
Pinar Gönül, blgp architekten, Luzern
Judit Solt, Chefredaktorin TEC21
Jörg Kradolfer, Technische Dienste Gipser des SMGV
Stefanie Thomet, Farbgestalterin, BSFA

 


Ausstellung und online-Voting Publikumspreis


Die eingereichten Projekte der aktuellen Ausschreibung können vom 8. bis zum 10. Februar 2023 an der Messe appli-tech in Luzern besichtigt werden. Beim Publikumspreis läuft das Rennen noch: Bis Messeschluss haben Interessierte die Möglichkeit, ihre Stimme digital oder per Talon abzugeben.
 


Preisverleihung und Architektur-Symposium


Die Preisverleihung erfolgt am 9. Februar 2023 an der appli-tech im Rahmen des Architektursymposiums «Das Relief: die räumlich gestaltete Oberfläche der Architektur».

Die Architekten Andreas Hild und Ron Edelaar, der Klangkünstler Andres Bosshard und der Stuckateur Jan Ludwig sprechen über Relief in der Architektur, die Moderation übernimmt ZHAW-Dozent Dr. Martin Tschanz.
 

 

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