«Wir wol­len of­fen­siv da­mit um­ge­hen»

Reliefs in Deutschland

Das Münchner Architekturbüro Hild und K untersucht kontinuierlich das gestalterische Potenzial von verputzter Aussenwärmedämmung. Andreas Hild über Hintergründe, Absichten und Erkenntnisse.

Publikationsdatum
23-12-2014
Revision
18-10-2015

TEC21: Herr Hild, wie ist Ihre grundsätzliche Haltung zur verputzten Aussenwärmedämmung (VAWD)?
Andreas Hild: Wir sind wie viele unserer Kollegen skeptisch – allerdings auch gegenüber anderen Dingen: Von einem normalen Fussbodenaufbau mit all seinen Schichten beispielsweise wissen wir auch nicht, wie sauber er sich trennen und entsorgen lässt. Wir Architekten sind immer darauf angewiesen, vielen Leuten innerhalb der Bauindustrie zu vertrauen. Warum sollten wir den Herstellern der VAWD in besonderer Weise misstrauen? Realistisch gesehen können wir die VAWD bei ­Bauaufgaben in den billigen Marktsegmenten nicht vermeiden. 
Da gibt es zwei Möglichkeiten: entweder all diese Aufträge ablehnen oder nach einer Methode suchen, die VAWD zu thematisieren. Wenn wir sie verwenden, müssen wir offensiv damit umgehen und können nicht so tun, als handle es sich um eine konventionell verputzte Fassade. Interessant ist, dass das architektonische Potenzial der VAWD inzwischen ein echtes Thema wird. Mit unserem Buch (vgl. Kasten) wollen wir unseren Ansatz als mög­liche Alternative zur ausschliesslichen Kritik zeigen.

Sie haben einmal den Gedanken geäussert, dass viele Fassaden mit VAWD daran scheitern, die Putz­fassade eines Massivbaus nachahmen zu wollen. Was wäre denn ein besserer Weg?
Hild: Wir haben ein gewisses Interesse an der Logik, die den Dingen innewohnt oder die wir hinein­interpretieren. Es macht uns Freude, diese zu erforschen und zu untersuchen, wohin es sich dann entwickelt. Mit VAWD bieten sich formale Möglichkeiten, die mit anderen Materialien nicht realisierbar sind. Das ist unser persönlicher Fokus, der nicht allgemeingültig ist.

Worin liegen die spezifischen Materialeigenschaften der VAWD, von denen sich Grundsätze für eine Gestaltung ableiten lassen?
Hild: Im Vergleich zu einer konventionellen Putzfassade gibt es Dinge, die die VAWD besser kann, und andere, die sie nicht kann. Normalerweise hat ein Relief Vor- und Rücksprünge. Bei der VAWD sind aber alle waagrechten Flächen, auf denen das Wasser stehen könnte, schwierig – ein Relief muss also anders aussehen. Dafür kann man der Dämmung eine Form geben, sie im weitesten Sinn modellieren. Das ist teuer und schwierig, aber es geht – anders als bei einem Massivbau, dessen Modellierung enorm aufwendig wäre. Das sind zwei zentrale Themen, die wir für unsere Arbeit identifiziert haben. An den Möglichkeiten, die sich daraus ergeben, arbeiten wir kontinuierlich.

Das Spezielle bei der VAWD ist, dass das Verbund­material erst noch seine eigene, spezifische Form und ­Wertigkeit finden muss. Entscheidend bei dieser Entwicklung ist auch, welche Bedeutung es in Zukunft haben wird.
Hild: Das ist im Buch die These von Thomas Will – ein sehr interessanter Gedanke. Es könnte durchaus sein, dass wir gerade erleben, wie ein neues Bausystem in den architektonischen Sprachgebrauch einsickert, ähnlich wie beim Gusseisen damals. Irgendwann entwickelt sich vielleicht eine Form, die breiter anerkannt wird. Aber ja, Dämmung ist nicht zwingend die beste Idee, sondern nur die der­zeitige Strategie, um die Treibhausgasemissionen zu ­beschränken. Wenn unsere Energie nur noch aus erneuerbaren Quellen käme, würde sich das Problem schon wieder ganz anders darstellen. Diese Strategie könnte sich in absehbarer Zeit auch ändern.

VAWD wird von Herstellern in geschlossenen Systemen angeboten. Im Vergleich zur freien Kombination von Materialien gibt es starke Einschränkungen. Welcher Gestaltungsspielraum bleibt dem Architekten?
Hild: Es handelt sich um komplizierte Gesamtsysteme mit Zulassungen, Restriktionen, Einbau­vorschriften. Nur wenn man alle Vorschriften erfüllt, sind sie zulassungskonform. Als Architekt muss man also viel über ihre Funktionsweise wissen, um überhaupt schöpferisch damit umgehen zu können. Essenziell ist die intensive Zusammenarbeit mit den Herstellern, wodurch sich immer wieder neue und unerwartete Möglichkeiten ergeben. Der Ge­staltungsspielraum könnte allerdings viel grösser sein, wenn die Industrie ebenfalls Interesse daran hätte. Noch scheint sie das nicht nötig zu haben. Mit einzelnen Herstellern haben wir zwar positive Erfahrungen gemacht, aber das ist nur ein winziges Segment. 

Wie sind Ihre Erfahrungen mit dem Alterungs­verhalten von Fassaden mit VAWD?
Hild: Die Behauptung, VAWD sei generell nach zehn Jahren kaputt, runtergefault oder vermoost, stimmt nicht. Wir haben bisher nur einen ernsthaften Schadensfall. Ursache ist dort aber nicht das System, sondern die schlechte Ausführung. Dem General­unternehmer wurde gekündigt, deshalb stand das Dämmmaterial etwa drei Monate unverspachtelt, ohne Gewebe und unverputzt da. Die Differenzen durch Schrumpfen liessen sich mit Gewebe und Putz offenbar nicht mehr ausgleichen. Zur Sanierung müsste man in diesem Fall die ganze Dämmung ersetzen. Die gleiche Fassade auf der Rückseite ist schadlos; da wurde sie korrekt ausgeführt.  

Welchen Mehraufwand bedeuten Ihre Fassaden planerisch, konstruktiv und finanziell? Müssen Sie viel Überzeugungsarbeit bei der Bauherrschaft leisten, um sie umsetzen zu können?
Hild: Bei allen Projekten mit VAWD ist die Entscheidung überwiegend aus Kostenüberlegungen gefallen. Dennoch kommen die Bauherrschaften mit gewissen Vorstellungen zu uns und wollen keine 08/15-Fassade. VAWD ist die billigste Fassadenmaterialität – selbstverständlich kosten unsere Varianten mehr, vielleicht etwa das Doppelte bezogen auf die reine VAWD-Fläche. Planerisch ist es natürlich ein Mehraufwand, auch auf der Baustelle hinsichtlich Montagezeiten.

Wie kamen Sie bei den Bauten an der Welfen- und an der Ismaningerstrasse konkret auf diese Reliefformen, die Schuppen, die Schichten?
Hild: Wir verwenden Formen, die im weitesten Sinn auf bekannte Putzreliefs rekurrieren. Durch die Überschuppung an der Welfen- oder durch die zwei Putzarten an der Ismaningerstrasse entstehen aber Reliefs, denen man bei genauerem Hinsehen ansieht, dass sie nach anderen Gesetzmässigkeiten zustande gekommen sind. Diesen Effekt des Mimikrys für den uninteressierten Betrachter und des Offenlegens der Machart für den interessierten Betrachter finden wir spannend. Wie kann ich etwas machen, das der nicht Eingeweihte auf eine Weise liest und der Eingeweihte auf eine andere? Wir suchen eine gewisse Breite von Rezeptionsmöglichkeiten. Die konkreten Formen sind mehr oder weniger frei entworfen – es gibt keine direkten Vorbilder.

Den geschichtet wirkenden Reliefs sieht man eine Analogie zu Kartonplatten von Entwurfsmodellen an. Aus wie vielen Dämmplatten bestehen jeweils die zusammenhängenden Schichten?
Hild: Wir haben die auskragenden Reliefs in Schichten gedacht, entworfen und konstruiert. Das hat gestalterische Gründe und ist nicht baukonstruktiv bedingt, normalerweise sind es Blöcke. Auch denkbar wäre, dass die Dämmstärke gleich bleibt und der Rohbau vorspringt, um den Vorsprung nach oben hin zu erreichen. Das Ergebnis wäre optisch identisch, aber viel aufwendiger und teurer im Bau. Die ursprüngliche Idee war, dass die Dämmung nach oben hin zunehmen muss, weil die Aussenwand dünner wird. Beim Altbau an der Ismaningerstrasse war das der Fall, beim Neubau an der Welfenstrasse aber nicht. Die zusammenhängenden Schichten wurden aus mehreren einzelnen Dämmplatten zusammengesetzt. 

Was war bei der Fassadensanierung an der Ismaningerstrasse anders als bei einem Neubau?
Hild: Es war ein nach 1945 purifiziertes Haus mit glatter Putzfassade, relativ öde. Das jetzige Fassadenbild hat nichts mit dem Bestand zu tun. Uns geht es in solchen Situationen weniger um das einzelne Haus als um die ganze Strasse. Wir wollen nicht erzählen, wie das Haus vorher aussah, sondern es in die Blockrandbebauung aus dem 19. Jahrhundert integrieren. Im Prinzip unterscheidet sich die Verwendung von VAWD bei Umbauten kaum von der bei Neubauten – nur dass es im Sanierungsbereich aufgrund von Gesetzeslage, Bauphysik, Konstruktion und Kosten noch weniger Alternativen gibt. 

VAWD werden massenhaft vor allem eingesetzt, weil sie billig sind. Ein Ausweg aus der architektonischen Einförmigkeit müsste also ebenfalls günstig sein, um reale Chancen auf eine breite Umsetzung zu haben.
Hild: Für den Preis von 80 Euro pro m2 Fassade lässt sich kein gestalterischer Anspruch erfüllen. Es ist eine grundsätzliche Frage, ob die Gesellschaft Wert auf eine gestalterische Qualität von Häusern legt oder ob sie glaubt, darauf verzichten zu können. Diese Entscheidung ist nicht an ein bestimmtes Material gebunden, sondern stellt sich bei jedem gleich. Auch Häuser ohne VAWD sind oft nicht gut gestaltet.

Sie haben einmal gesagt, Sie bedienten sich gern «am Giftschrank». An den kritischen Stellen, die keiner anpackt, läge am meisten Innovations­potenzial. Sind Sie dabei auf einem guten Weg?
Hild: Es hat sich tatsächlich als strategisch sinnvoll erwiesen, Themen zu bearbeiten, die alle anderen meiden. Das, womit sich nicht viele beschäftigt haben, lässt sich noch entwickeln. Diese Strategie ist so simpel wie erfolgreich. Ich habe mittlerweile den Eindruck, dass viele junge Architekten einen frischen und pragmatischen Zugang zur VAWD haben, mit weniger ideologischen Vorbehalten, auch weil sie angesichts ihrer Auftragslage gar keine andere Wahl haben. Das bringt die Sache voran. Unsere Arbeit bleibt aber ein sehr kleiner Teil der gesamten Bau­produktion und macht die Welt nicht besser.

Apropos junge Architekten: Beeinflussen all diese Fragen auch Ihre Lehre an der TU München?
Hild: Es braucht sehr viel Wissen und Erfahrung, um das Thema VAWD zu behandeln. Das kann ich nicht in sechs Wochen in die Studenten reinprügeln und dann hoffen, dass sie etwas anderes machen als wir. Davon verspreche ich mir keinen Lerneffekt. Die VAWD ist besonders heikel; sie erfährt Ablehnung von allen Seiten. Ich will die Studenten nicht in eine Diskussion verwickeln, der sie gar nicht gewachsen sein können. Da fangen wir erst mal mit ein paar bodenständigeren Sachen an. 

Andreas Hild hat an der TU München und an der ETH Zürich Architektur studiert. Er gründete 1992 mit Tillmann Kaltwasser das Münchner Architekturbüro, das er heute mit Dionys Ottl und Matthias Haber unter dem Namen Hild und K führt. Andreas Hild ist Professor für Entwerfen, Umbau und Denkmalpflege an der TU München und Mitglied des Baukollegiums der Stadt Zürich.

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