Mit Kel­le, Schwamm und Pin­sel

Am 9. Februar wird in Luzern der Schweizer Preis für Putz und Farbe vergeben. Wir zeigen acht Projekte, die uns besonders auffielen. Die Palette an Bauten reicht von der Stampflehmhütte bis zur städtischen Wohnsiedlung. Alle eint das Zusammenspiel von Architektur und Handwerk.


Urhütte aus Stampflehm

Für die Bergerie verwendete das Bauteam konsequent regionale Materialien und eigene Materialmischungen, bis hin zur Herstellung der Bindemittel und Pigmente. Dafür konnte es sich in der direkten Umgebung, die reich an Ressourcen ist, bedienen: ein Kalkmassiv mit viel Lehmvorkommen. Wie für eine Art Zukunftslabor nutzte das Team die Bauaufgabe, um mit den regionalen Mitteln und traditionellen Techniken zu einem zeitgenössischen, beständigen und kreislauffähigen Ergebnis zu gelangen.

Für den Grundputz waren zwei Aufträge im Kellenwurf nötig. Die erste Putzschicht diente als Haftputz. Um durchgängig eine natürliche Farbigkeit zu erhalten und zur Ergänzung des Sandes mit fehlenden Feinanteilen wurde der lokale Lehm ausgesiebt und beigefügt. Als Bindemittel für den Kalk­lehmputz dient eigens hergestellter, holzgebrannter Dolomitstückkalk. Bei der verwendeten Heissmörteltechnik wurde Stückkalk und Zuschlag direkt im Mischer gelöscht und der Mörtel noch warm verarbeitet. Das verwendete Holz stammt aus dem eigenen Wald, die wiederverwendeten Fenster erhielten einen Neuanstrich aus einer selbst hergestellten Kaseinfarbe und Pigmenten aus Jurakalk. Die Erscheinung des eigentlich simplen Refugiums für Schäfer und Tiere erhält mit der Überlagerung der natürlich aufgebauten Schichten eine zeitgenössische Komponente.

Bergerie, Vermes JU
Neubau 2015–2022
Kategorie Putzfassade / Farbgestaltung

 

Bauherrschaft: privat; Architektur: Delphine Schmid, Zürich; Ausführung / Handwerk: Fabricat Multifari, Chaflur

 

Auf einen Streich

Das äussere Erscheinungsbild des Neubaus ähnelt einer Scheune und fügt sich diskret in das Ensemble des Weilers ein. Umso überraschender ist sein Inneres: Die Räume öffnen sich zu einer monolithischen Raum­skulptur. Grosse, zusammenhängende Wandflächen erstrecken sich vom Erdgeschoss bis unter das Dach und sind komplett verputzt. Exakt ausgebildete Ecken und ­Kanten zeichnen eine feine Geometrie. Der Aufbau des Putzes wurde den unterschiedlichen Untergründen angepasst: Auf Backstein und Ortbeton an Wänden und Decken wurde mit Grundputz (Kalk/Zement) gearbeitet, an Dachschrägen und Sanitärvorwandsystemen liegt auf Gipsfaser- und Zementbauplatten eine Ausgleichsschicht auf Gipsbasis.

Durch die feine Struktur des Putzes und die unterschiedliche Pigmentierung ist es gelungen, eine roh anmutende Oberfläche mit handwerklicher Ausprägung zu erzielen. Aufgrund des ­materialbedingt zügigen Verarbeitens entstand eine «bewegte» Oberfläche, die den zeitlichen Ablauf des Putzauftrags abbildet. Die Putzoberflächen korrespondieren mit den roh belassenen Betonbodenplatten, die ihrer Gestaltung als Referenz dienten.

Wohnscheune, Reppischtal ZH
Neubau, 2021–2022
Kategorie Innenraumgestaltung

 

Bauherrschaft: privat; Architektur: BE Architektur Boris Egli, Rieden bei Baden; Ausführung / Gipserarbeiten: Mario Beer, Kloten; Industriefachpartner: Keimfarben, Zürich


Neuinterpretation der Fassadenteilung

Der Ersatzneubau zielt auf das Schaffen von Wohnungen mit reduzierter Fläche und verhältnismässig günstigen Mietzinsen. Unter diesen Vorgaben entstand ein auffallend schlüssiges ästhetisches Erscheinungsbild. Das prägnanteste Merkmal des Baus ist der differenzierte Umgang mit seiner ­Fassade, der die Gliederung des Baukörpers im klassischen Stil – Sockel, Mittelbereich und Abschluss – unterstreicht.

Für die Aussenhaut der Mauern aus monolithischen Dämmziegeln legte das Team einen mineralischen Dickputz und verschiedenartig strukturierte Oberflächen zugrunde. Die jeweilige Putztechnik leitete sich aus der spezifischen Lage und der Eigenschaft dieser Fassadenbereiche her. Beim Sockel kam ein grober Kellenwurf, bei der Mittelpartie ein fein abgeriebener Glattputz und beim oberen Abschluss ein senkrecht gerillter Kämmputz zum Einsatz.

Für alle drei Putzarten wurde Mörtel ohne chemische Zusatz­stoffe auf dem Bau angemischt. Die Bindemittel des Kellenwurfs sind aus Weisskalk und Portlandzement, die Zuschlagstoffe aus Kalksteinsand und Bimsstein. Bei den beiden feineren Putzen kommt als Bindemittel Zement und Weisskalk­hydrat zum Einsatz, die Zuschlagstoffe sind aus Gruben- und Kalk­stein­sand. Mit ihrer sorgfältigen Aus­führung liefern die Beteiligten den ­Beweis, dass ein Bau auch mit relativ einfachen Mitteln wesentlich auf­gewertet werden kann.

Wohnhaus Rautihalde, Zürich
Neubau, 2018–2020
Kategorie Putzfassade / Farbgestaltung

 

Bauherrschaft: Stiftung PWG, Zürich; Architektur: Fiederling Habersang Architekten, Zürich; Ausführung / Handwerk: Egli Gips- und Fassaden­systeme, Oberhasli


Atmosphärisch austarierte Wohnräume

Der ehemalige Wohnteil eines Vielzweckbauernhauses im alten Dorfkern von Seuzach wandelte sich im Zuge der Sanierung zu einer grosszügigen Familien­wohnung. Im anschliessenden Ökonomiebau finden innerhalb der denkmalgeschützten Riegelkonstruktion drei Wohnungen Platz. Zur Auskleidung der Räume wurden vor allem Lehm, Kalk und Holz verwendet, deren Einsatz zu stimmigen Wohnräumen führt. Die Wahl der aufgehellten Lehmputze in grünen, sandigen und erdigen Tönen ­entsprechen den Funktionen der einzelnen Räume. So erfahren sonnengeprägte Lichtstimmungen und Ober­flächen eine hohe Beachtung innerhalb des Farbkonzepts.

Vor Ort erstellte Eigenmischungen bauen auf Aushublehm auf, der zu Grundputzen abgemagert wurde. Der Lehmgrundputz entstammt einem Aushub in der Nähe, da beim Umbau des Bauernhauses nur wenig Erdmaterial anfiel. Neben dem Baulehm aus Seuzach, Stadel und Ellikon diente auch Ziegeleilehm aus Berg TG als regionales Bindemittel. Die Verwendung lokaler ­Materialien sowie das Bewusstsein für regionale ­Typologien und Bautraditionen prägten die Zusammenarbeit. Mit der rücksichtsvollen Ergänzung der innenräumlich vorhandenen Materialien gelang eine Neuinterpretation, die nicht nur baubiologisch vorbildlich, sondern auch identitätsstiftend ist.

Bauernhaus mit Scheune, Seuzach ZH
Umbau 2018–2020
Kategorie Innenraumgestaltung

 

Bauherrschaft: privat; Architektur / Planung: Arge Lehmbaubüro, Ossingen & Chloe Architektur; Ausführung / Lehm- und Kalkputze: Arge Hinak (Hibo Holz- und Lehmbau, Wildberg; natürlich bauen, Nussbaumen; Künzler Baubiologie Lehmbau, Winterthur); Ausführung / Lehmputz Kalkglätte: Michael Lio Lehmbau, Winterthur; Lehmbaubüro, Ossingen


Marmorsumpfkalk, Pigmente und Jute

Das zweigeschossige Einfamilienhaus von 1906 repräsentiert die ­bürgerlichen Wohnvorstellungen jener Zeit. Als Vertreter dieser häufig anzutreffenden Typologie ist es zwar exemplarisch, aber nicht unter Schutz gestellt. Der Umbau und die Sanierung zu einem Wohn- und Atelierhaus steht für eine vorbildhafte, subtile Instandsetzung und energetische Ertüchtigung mit grossem Respekt vor dem Bestand. Das Farb- und Materialkonzept ist aus dem Quartier sowie der Ent­stehungszeit der Villa entlehnt.

Über akribische Experimente und Vergleiche gelangte man zum gewünschten Körnungsgrad, Farbklang und der geeigneten Auftragtechnik. Zunächst entfernten die Beteiligten den bestehenden Deckputz und applizierten ein Dämmstoffsystem aus Wärmedämmputz und Aerogel-Hochleistungsdämmputz auf den bestehenden Grundputz – ein energetisch begründeter Ausreisser aus dem sonst traditionellen Materialkanon.

Zugefügte Pigmente mit den klangvollen Bezeichnungen Veroneser Grüne Erde, Burgunder Ockergelb, Caput Mortuum rötlich und Holzkohlemehle verleihen dem holzgebrannten Marmorsumpfkalk ein warmes Grau, das je nach Lichteinfall changiert. Eine ungewöhnliche Herausforderung lag auch im Arbeitsprozess: Während eine Truppe den Kalkputz mit der Kelle auftrug, verrieb ihn anschliessend eine zweite unter Zuhilfe­nahme eines Jutevlieses. Im Ergebnis bildet der Putz die Handschrift der Ausführenden ab.

Wohn- und Atelierhaus, Zürich-Riesbach
Umbau und Sanierung, 2019–2022
Kategorie Putzfassade / Farbgestaltung

 

Bauherrschaft: privat; Architektur: Edelaar Mosayebi Inderbitzin Architekten, Zürich; Ausführung / Handwerk: Dittlimaler, Uster


Ein samten grünes Kleid

Zwei mehrfach verspringende Baukörper ergänzen eine Genossenschaftssiedlung in der kleinkörnigen Umgebung am Fuss des Zürichbergs. Die entspannte Harmonie der Materialien und Farben trägt wesentlich dazu bei, eine wohnliche Stimmung zu erzeugen und das Ensemble in den Kontext des grünen Wohnquartiers einzuweben.

Dabei ist der samtweich erscheinende, dunkelgrün durchgefärbte mineralische Kratzputz
das prägende Kleid, das sich über das tragende Mauerwerk zu spannen scheint. Er hält die ausgewo­gene ­Komposition aus Kunststeinelementen, gestockten ­Ortbetonsockeln, natureloxierten Aluminiumfenstern und Sonnenstoren zusammen, bleibt aber nobler Hintergrund.

Typisch für handwerkliche Putzfassaden zeichnen sich die Gerüstläufe geschossweise leicht ab. Durch die steinmetzartige Bearbeitung aller mineralischen Oberflächen ergibt sich eine materielle Verwandtschaft von Putz, Kunststein und Ortbeton. Die Akzentuierung des Putzes, zusammen mit dem pompejanischen Rot der Sonnenblenden und dem goldenen Senfgelb der Stoffmarkisen prägen die Architektur und den Ort ­gleichermassen.

Wohnsiedlung Friedackerstrasse, Zürich-Oerlikon
Neubau, 2018–2022
Kategorie Putzfassade/Farbgestaltung

 

Bauherrschaft: Bagestra, Zürich; Architektur: Esch Sintzel Architekten, Zürich; Ausführung/Handwerk: Meier-Ehrensperger, Zürich; Farbgestaltung:
Burkhard Fata, Zürich


Gemeinsam und mit einfachen Mitteln

Im steilen Onsernonetal, im Dorf Mosogno di Sotto, steht die «Casetta», eine ehemalige Mühle. Der Umbau zum einfachen Wohnhaus entstand in Zusammenarbeit von lokalen Handwerkern, befreundeten Helfern und den Architektinnen selbst, die sich als ganzheitlich interessiertes Team engagierten.

Die «Casetta» ist eines von Tausenden einfacher Steingebäude, die keinen Schutzstatus geniessen und reihenweise verfallen. Dieses Projekt schafft in unprätentiöser und doch virtuoser Art die Grundlagen für den Fortbestand des Gebäudes – mit einem bescheidenen Nutzungsanspruch, mit Mut zur Farbe und handwerklich solidem Umgang mit Produkten auf Sumpfkalkbasis.

Die Projektverantwortlichen haben die Klaviatur traditioneller Putzmethoden geschickt genutzt, unaufdringlich, aber begleitet von ­einem klaren Gestaltungswillen. Die exemplarische Qualität dieses Projekts besteht in seiner Einfachheit, in seiner Stimmigkeit, in der Angemessenheit der ­Mittel und im äusserst schonenden Umgang mit historischer Substanz.

Mühle, Mosogno di Sotto, Valle Onsernone TI
Umbau, 2021
Kategorie Innenraumgestaltung

 

Bauherrschaft: privat; Architektur, Ausführung / Handwerk: Squadra, Zürich


Präzise Bestandsaufnahme als Basis

Der Bullingerhof im ehemaligen Arbeiterquartier Aus­sersihl ist Zürichs grösste Blockrandbebauung. Sowohl die Häuser als auch die Grünanlage befinden sich im Inventar der kunst- und kulturhistorischen Schutzobjekte der Stadt.

Die Instandstellung zeigt exemplarisch, wie die Nutzungsdauer denkmalgeschützter Bauten mit präzisen Eingriffen verlängert werden kann. Die Fassadensanierung war Teil einer ganzheitlichen Strategie, um die Qualität des urbanen Ensembles nachhaltig zu sichern und fortzuführen. Besonders hervorzuheben sind die sorgfältige Bestandsaufnahme, das differenzierte Konzept für die baulichen Massnahmen und die hohe Ausführungsqualität.

Der Verputz sollte möglichst erhalten und wo nötig originalgetreu rekonstruiert werden – für jede Fassade in einer anderen Mischung, weil an der Ausführung des ursprünglichen Baus verschiedene Unternehmen mit eigenen Mischungen mitgewirkt hatten. Für die Bestandsaufnahme wurden systematisch Proben entnommen und im Labor untersucht. Dies ergab eine detaillierte Dokumentation als Grundlage der Sanierungsarbeiten, ergänzt durch die Kartierung von Schäden wie Rissen oder Hohlstellen in entsprechenden Kategorien.

Für eine material­identische Reparatur der Hohlstellen wurde ein Vlies über den Rissen angebracht und ein punktgeschweisstes, rostfreies Armierungsgitter darüber befestigt, dann erfolgte der Putzaufbau mit Anwurf, Grundputz und Deckputz. Die Struktur des 90-jährigen Putzes zu erreichen, war nicht einfach: Während man damals den Mörtel aus Kies, Sand und Zement auf der Baustelle mischte, kam heute gebrauchsfertiger Werksmörtel zum Einsatz.

Die Analyse förderte auch Fehler der Vergangenheit ans Tageslicht: So gelangte bei einer Sanierung in den 1970er-Jahren Dispersionsfarbe auf den Mineralputz, dessen Entfernung bei den jetzigen Arbeiten zu aufwendig gewesen wäre. Der konstruktive Umgang mit dieser und anderen Herausforderungen zeugt von der engen Zusammenarbeit zwischen allen an der Sanierung Beteiligten.

Wohnbausiedlung Bullingerhof, Zürich
Sanierung 2018–2022
Kategorie Putzfassade/Farbgestaltung

 

Bauherrschaft: Stadt Zürich; Generalplanung: Gähler und Partner, Ennetbaden; Planung / Architektur: Pfister Schiess Tropeano & Partner Architekten, Zürich; Putzanalyse: BWS Labor, Winterthur; Farbanalyse: Fontana & Fontana, Werkstätten für Malerei. Rapperswil-Jona; Farbgestaltung: Pfister Schiess Tropeano & Partner Architekten in Zusammenarbeit mit Fontana & Fontana, Werkstätten für Malerei, Rapperswil-Jona; Ausführung / Handwerk / Farbgestaltung: wernli maler, Urdorf; Unterstützt durch: Karl Bubenhofer AG, Gossau; Sievert AG, Ober-Ohringen (Seuzach)

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