Pro­duk­ti­ve Bau­ten, ei­ni­ge auch schön

Auszeichnung Solarpreis 2018 der Solaragentur Schweiz

Die Solaragentur hat drei Dutzend Hochbauten mit integrierter Photovoltaikanlage prämiert. Zusammen erzeugen sie fast doppelt so viel Ökostrom wie der zweitgrösste Windpark der Schweiz. Aber können auch Energie produzierende Häuser die Umwelt verschandeln? Eine ernst gemeinte Stilkritik.

Publikationsdatum
23-10-2018
Revision
23-10-2018

Die Krux mit der Sonne ist: Im Prinzip bekommt man von ihr nie genug, nicht einmal in einem Prachtsjahr wie diesem. Dennoch kann ihr dauerhaftes Strahlen im Alltag blenden. Je tiefer die Sonne nämlich steht, desto öfter kneift man die auf den Computer gerichteten Augen zu. Darum Genuss hin oder her, mit einem entschuldigenden Blick in die Runde wird der Sonnenschutz jeweils schnell nach unten gedreht. Einen ähnlichen Zwiespalt provoziert die Solararchitektur: Man begrüsst wohl den wichtigen Beitrag an den Klimaschutz; immer findet sich aber ein Grund, warum das Photovoltaikhaus hier und jetzt eben stört.

Solarpaneele am Steildach oder noch verwegener an den Fassaden finden wenig Gefallen; in einigen Architektur- und Denkmalpflegekreisen stösst die solare Ästhetik auf kategorische Ablehnung. Eine Solarhaut trennt die Technik oft stärker von der Architektur, als dass sie sie eint.

Ästhetische Offensive oder unauffälliger Ausdruck

Aber wie geht man mit gestalterischen Ansprüchen um? Aktuelle Ansätze gehen ästhetisch in die Offensive und wollen nichts kaschieren. Beim silbernen Nadelstreifenanzug und bei lieblos auf- und angehängten Platten gibt es allerdings wenig zu beschönigen. Konträr dazu sucht man den unauffälligen Ausdruck, derzeit vor allem mit matten Oberflächen und einer Farbvielfalt, die sich an konventionellen Metall-, Glas- oder Eternitfassaden zu orientieren scheint. Dazwischen gibt es durchaus überraschende Varianten. Nur: Die Kombination von Photovoltaik und Baukultur sucht weiterhin nach dem einen grossen Wurf.

Eventuell hat die neueste Austragung des ältesten Solarpreises der Schweiz eine solche Entdeckung hervorgebracht? Seit fast drei Jahrzehnten kürt die nationale Solaragentur die besten Projekte. Schirmherr dieser Auswahl ist Lord Norman Foster; der englische Stararchitekt ist mit dem hiesigen Schaffen nicht nur im Engadin oder am Genfersee vertraut.

In Fosters Namen haben diesen Herbst nun drei Dutzend Fachjuroren, darunter sieben Architekten aus dem In- und Ausland, die produktivsten und architektonisch gelungensten Plusenergiebauten ausgewählt. 35 Projekte haben eine Auszeichnung erhalten, darunter Einfamilienhäuser, grosse Wohnbauten, Büro- und Gewerbegebäude sowie Infrastrukturanlagen. Was sie von den Vorgängern früherer Jahre positiv unterscheidet: ihre zunehmende Grösse und ein besserer Zuschnitt der Solaranzüge.

Solares Bauen ohne Kraftmeierei

Ein Vorzeigeprojekt in urbaner Umgebung mit positiver Ausstrahlung wird zwar vermisst; weiterhin werden die positiven Errungenschaften an der Energiebilanz fest gemacht. Und anstelle einer gestalterischen Integration werden viele Hochbauten zu Kraftwerken degradiert. Dennoch demonstriert eine auffallende Zahl von Gebäuden, wie solares Bauen ohne Kraftmeierei aussehen kann. Im besten Fall sind die Solarpaneele nämlich nicht nur ein Gewinn für die Umwelt, sondern gereichen auch der modernen Baukultur zur Zier. Die freudige Überraschung gelingt einer Solargeneration mit dezenten, aber schmuckvollen Gestaltungsprinzipien. Zuvorderst in dieser Reihe steht der Hauptgewinner, die riesige Montagehalle der Pilatus Flugzeugwerke in Stans.

Das 6000 m² grosse, leicht gebogene Solardach präsentiert sich in klassischem, glänzendem Schwarz. Die PV-Module sind auf schlanker werdende Zeilen verteilt, wobei diese Anordnung dem Unterhalt und der Zugänglichkeit geschuldet ist. Zu loben ist der gestalterische Nebeneffekt: Das Dach ist weiterhin als schützendes Bauteil erkennbar; die elektrotechnischen Elemente fügen sich in diesen Rahmen ein. Mit einem ebenso eleganten Saum tragen zwei weitere diplomierte Solarbauten (Einfamilienhaus Hünenberg und Bürohaus Ilanz) die PV-Intarsie auf ihrem Satteldach zur Schau.

Dünne, ganzflächige Abdeckung als Standard mit Kehrseite

Eine geglückte Synthese aus Form und Inhalt darf vor allem den prämierten Industrie- und Gewerbebauten attestiert werden: Über und unter dem Dach wird Wertschöpfung generiert und physische respektive massefreie Materie produziert. Dünne, ganzflächige Abdeckungen gehören bei diesen multifunktionalen Solardächern zum Standardesign; eine eher eintönige, monotone Wirkung ist die gestalterische Kehrseite davon. Dass es auch abwechslungsreicher geht, beweisen die Projektverfasser von Schulhäusern im Thurgau und bei Biel sowie einer erneuerten Uhrenfabrik bei Genf: Die PV-Module formen hier ein Sheddach oder kreieren eine anderweitig strukturierte Dachlandschaft.

Mehrere solche Integrationskonzepte hätten eine bessere Auszeichnung verdient als nur ein Diplom. Doch die Jurysatzung verlangt, dass der Hauptpreis exklusiv für Projekte mit mindestens 100 %-igem Eigenversorgungsgrad reserviert ist. An dieser Hürde sind selbst gelungene Werke von Architekten wie Bernard Tschumi oder huggenbergerfries gescheitert. Das Killerkriterium ist aber nicht der prominenten Namen wegen zu hinterfragen, sondern weil sich daraus ein grundsätzliches Handicap für die gegenseitige Abwägung zwischen Energieleistung und Architektur ergibt.

Regelkonform ausgewählt und mit Preisen belohnt werden jedoch weiterhin Bewerber, die als gestalterische Sorgenkinder zu bezeichnen sind. Gemeint ist die neueste Generation von Wohn- und Bürohäusern, die sich in solare Fassaden hüllen. Das Grosspeter-Hochhaus in Basel war letztes Jahr ein würdiger Preisträger in dieser Kategorie; seinen Nachfolgern gehen diese Qualitäten jedoch ab. Vergleichbar einer Petersburger Hängung werden Solarpaneele irgendwo und -wie auf Wände und Balkone verteilt. Das Gebäude dahinter ist ein Gerüst.

Keine Option gegen andere ausspielen

Anfreunden mag man sich einzig mit der halbtransparenten Solarhülle am Techno-Gebäude NEST an der Empa; ansonsten fehlt vielen PV-Fassadenprojekten auch ein städtebauliches Feingefühl. Hier würde sich mancher Freund der Energiewende wünschen, dass die Stromproduktion weit weg in die Berge, etwa mit grossen Windturbinen, abgeschoben werden kann. Doch bei der klimafreundlichen Energieerzeugung nun eine Option gegen andere auszuspielen wäre der falsche Weg. Denn es braucht alle Naturkräfte wie Sonne, Wind, Biomasse oder Geothermie, um die fossilen und nuklearen Energieträger ablösen zu können.

Wenn es gelingt, hierfür passende städtebauliche und ortsbildspezifische Stilmittel zu finden, steht dem an sich willkommenen Ausbau der dezentralen Energieversorgung wenig im Weg. Auch diese Krux löst sich hoffentlich eher früher als später auf.


Peter Steiger, Gewinner der Persönlichkeitsauszeichnung der Solaragentur

«Architekt Peter Steiger – 1928 in Zürich geboren – war in jungen Jahren einer der Verantwortlichen für den Bau des ersten Teilchenbeschleunigerlabors am CERN in Genf. Dieser Bau erforderte eine tiefe material- und energietechnische Diskussion, welche letztlich zur Gründung des Vereins «PLanung-ENergie-ARchitektur» (PLENAR) im Jahre 1973 führte. PLENAR widmete sich diversen Themen des energetisch-ökologischen Bauens in der Schweiz. 1987 bis 1991 wurde die erste prototypische Siedlung mit 66 Wohneinheiten nach PLENAR-Prinzipen in Oberwil BL realisiert. Neben effizientem Umgang mit Energie thematisierte Peter Steiger auch das solare Bauen. Mit seinem Buch: «Bauen mit dem Sonnen-Zeit-Mass» (1987) gelang ihm ein originelles Werk zur Nutzung der Sonnenenergie.»
Jurytext Solaragentur

Das Buch «Bauen mit dem Sonnen-Zeit-Mass» von Peter Steiger ist dieses Jahr neu aufgelegt und inhaltlich erweitert worden, Syntagma Verlag D-Freiburg 2018

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