Por­to – leuch­ten­de Far­ben durch Raum und Zeit 

Ein Reisebericht aus der Stadt am Douro

In der Altstadt von Porto spiegelt sich die grandiose Geschichte der einstigen Seefahrernation – auch wenn der Glanz mittlerweile ein wenig verblichen ist, bietet die Stadt eine überbordende Collage aus Stilen, Farben und Materialien.

Publikationsdatum
11-05-2017
Revision
01-06-2017

Einst gehörte Portugal die halbe Welt. An der Altstadt Portos, am Hang über dem Fluss Douro, der weiter vorn in den Atlantik fliesst, lässt sich dieser Reichtum bis heute ablesen – wenn der Glanz auch verblichen ist: Die Hausfassaden wirken mit den vergilbten Plakaten und den über Jahrzehnte immer wieder geflickten Kachelwänden wie ein Patchwork. Hinter rostigen Balkongeländern, aus Karyatiden und Regenrinnen der aus unersichtlichen Gründen leer stehenden und nachts geisterhaft wirkenden Häuserreihen wachsen Farne und gelbe Flechten. Manche Pflanzen haben sich sogar in den verlassenen Schaufenstern im Erdgeschoss angesiedelt. Man kann das traurig finden – ich ziehe jedoch eine Stadt wie Porto, die ihren Charakter bewahrt hat, einer fratzenhaft renovierten vor. Sichtbare Spuren des Alters hängen meiner Meinung nach mit der atmosphärischen Dichte eines Orts zusammen.

Überhaupt wirkt Porto wie eine überbordende Collage aus Stilen, Farben und Materialien. Die geschlossenen Strassenzüge werden in den oberen Stockwerken durch Brandmauern rhythmisiert, die mit farbig gestrichenem Wellblech oder verblichenen Eternitschuppen bezogen sind. Die Topografie des Hangs bestimmt die überraschende Anordnung der Bebauung: Dort, wo die Hügel an ihrem Fuss ineinander übergehen, stehen in seltsam verdrehter Ausrichtung zu einander romanische oder barocke Kirchen neben neoklassizistischen Geschäftshäusern und gradlinigen Metroeingängen.

Mindestens so bewegt wie die Architektur und ihre Zwischenräume ist die 2000-jährige Geschichte der Stadt, die die baulichen Elemente schmückt: An Kirchenportalen halten überdimensionale, blau leuchtende Kachelbilder, wie irisierende Projektionen aus einer anderen Welt, Szenen der Wunder von Märtyrern und Heiligen fest. Andere Bilder in Eingangshallen wie der des Bahnhofs São Bento zeigen Soldaten und Könige in Schlachten oder Entdecker, die über die Wellen des wilden Atlantiks ins Unbekannte zogen.

Hier, vor dem Bahnhof auf der Praça de Almeida Garrett, führt die von Alvaro Siza gestaltete unterirdische Metrostation ins moderne Porto. Wie andere Stationen ist sie respektvoll werbefrei gehalten. Ein paar Haltestellen weiter im Nordwesten befindet sich das Casa da Música von Rem Koolhaas – neben der Brücke von Gustave Eiffel am Douro das bekannteste Werk eines ausländischen Architekten in der Stadt. Wie ein Meteorit liegt der polygonale Bau auf dem flachen, kraterartigen Platz. Zwischen den öffentlichen, aluminiumverkleideten Erschliessungszonen befinden sich Räume, deren Verkleidung Reminiszenzen an Baumaterialien des alten Portos sind: Im Repräsentationsraum kombinierte Koolhaas historische portugiesische Kachelbilder mit niederländischen. Wir erfahren, dass das flämische Blau matter und dunkler ist als das portugiesische. Das Goldmuster der Verkleidung des grossen Konzertsaals bezieht sich auf die Golddekorationen, die an manchen Häusern in der Stadt die Fassaden zieren. Eindrücklich sind auch die enormen, gewellten Glasscheiben. Zweischichtig schirmen sie den Saal durch ein Vakuum akustisch gegen die Strasse ab.

Nicht weit weg, im Jardins do Palácio de Cristal, steht mitten im Parkgrün die Rosa Mota wie ein vor unbestimmter Zeit gelandetes und inzwischen verwunschenes Ufo. In dem Stahlbetonbau der 1950-Jahre des Architekten José Loureiro und des Ingenieurs A. dos Santos Soares findet gerade eine Berufsmesse für Jugendliche statt. Ein Stand ist der Architektur gewidmet. Ob sich die zukünftigen Architekten und Architektinnen eines Tages dem baulichen Zerfall ebenso hartnäckig entgegenstellen, wie wir das in der Schweiz tun? Oder ob sie den menschlichen Massstab, den Architekturschaffende üblicherweise auf die räumlichen Dimensionen reduzieren, auch dem Altern der Dinge zugestehen? Porto zeigt, dass dies durchaus einen Reiz hat. 

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