Hy­brid hin­ter Git­tern

Im Neubau des Technologieunternehmens Komax trifft Hightech der Maschinenindustrie auf architektonische Lowtech-Absichten. Entstanden ist eine eigenwillig gestaltete, vertikale Fabrik, die komplementäre Mittel in der Gebäudetechnik einsetzt.

Publikationsdatum
25-10-2021

Der Begriff des Lowtech-Gebäudes ist gegenwärtig omnipräsent, aber trotzdem nicht abschliessend definiert. Eingehend mit dem Thema befasst hat sich jedenfalls die Internationale Bodensee-Konferenz. Nach einer Studie der Universität Liechtenstein im Jahr 2014 ging sie in den vergangenen Jahren der Frage nach, wie viel Technik ein nachhaltiges Haus braucht.

In einer kürzlich erschienenen Veröffentlichung erklärt sie den Lowtech-Begriff am Beispiel eines Dosenöffners: Sowohl ein elektrischer als auch ein manuell betriebener Dosenöffner erledigt seine Aufgabe. Ein manuell betriebener Dosenöffner ist jedoch vergleichsweise günstiger, bedarf lediglich körperlicher Anstrengung und hält mutmasslich länger. Analogien finden sich laut der Publikation auch in ­heutigen Gebäuden mit vielen und komplex zu steuernden, technischen Komponenten und Systemen, die beim Bau und im Betrieb die Kosten erhöhen und elektrische Energie benötigen. Solche Komponenten und Systeme bedürfen überdies regelmässiger Wartung und eines mehrfachen Austauschs während des Lebenszyklus eines Gebäudes. Dem gegenüber stehen bauliche Lösungen wie beispielsweise klima- und standortoptimierte Gebäudeformen, natürliche Belüftung oder die Tageslichtnutzung.

Architektonischer Ansatz

Im Komax-Neubau versteht man Lowtech als ein auf die Nutzungsbedürfnisse abgestimmtes Konzept, das bewegliche oder elektrisch gesteuerte Komponenten der Gebäudetechnik auf ein notwendiges Mass beschränkt, verschiedene räumlich-architektonische Mittel einsetzt und zu einer höheren Energieeffizienz beiträgt. Im Fokus stehen dabei die klimatischen Themen natürliche Belüftung und Beleuchtung, sommerlicher Wärmeschutz und Nachtauskühlung. Bauliche Kernpunkte des Konzepts sind der Lichthof im Zentrum des Gebäudes, der vorgehängte Sonnenschutz und die massive Bauweise.

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Das Ergebnis dieses Leitgedankens ist augenfällig und komplementiert die konventionelle Gebäudetechnik bestens. Die im Glasdach über dem Atrium eingebauten Lüftungsfenster sorgen in Kombination mit den Fenstern in der Fassade und dem Lichthof situativ mittels natürlicher Kaminwirkung für Nachtauskühlung. Das Atrium dient jedoch nicht einzig der Luftabströmung – durch die rundum verglaste Fassade und trotz den dort vorgehängten Brises-Soleil gelangt viel Tageslicht ins Gebäudeinnere.

Die Sonnenschutzelemente haben eine Lamellenstruktur und sind dahingehend optimiert, dass sie möglichst viel Licht passieren lassen. Die thermischen Lasten werden durch eine Dach- und Fensterverglasung mit Wärmeschutzglas (Ug-Werte: 0.6 W/[m2K], g-Werte: 19 %–34 %) gleichzeitig minimiert. Für die Ausgestaltung des Brise-Soleil haben die Architekten den Sonnenverlauf über das Jahr analysiert und zwei verschiedene Sonnenschutzsysteme entworfen. An der Nordwest- und Südostseite befinden sich 2.7 m breite Laubengänge, die aussenseitig mit einem robusten Sonnenschutz aus 15 cm breiten Metalllamellen abschliessen. Auf der Nord­ost- und Südwestseite dagegen sind direkt an den Fenstern 60 cm tiefe Korbkon­struktionen aus Metall angehängt oder unmittelbar in den Fensteraussparungen Metalllamellen montiert.

Neben der doppelten Fassade und dem Atrium fällt besonders die verbaute Menge an Beton auf. Die 40 cm starken Betondecken bieten jedoch nicht nur dem nötigen Widerstand gegenüber den hohen Nutzlasten, sondern auch genügend Masse und Oberfläche, um den Baustoff passiv und aktiv als thermischen Speicher einzusetzen. Für Letzteres setzt man im Komax-Neubau auf eine thermische Bauteilaktivierung.

Hybride Grundversorgung

So viel zum baulichen Ansatz. Selbstverständlich kommt der Neubau trotz der ungesteuerten Komponenten nicht ohne Gebäudetechnik aus. Das zeigt sich ebenfalls ­äusserlich – beispielsweise an zwei Lüftungszent­ralen mit je mehreren Lüftungsanlagen auf dem Dach. Die gesteuerten Anlagen sorgen tagsüber aus Komfortgründen für Klimatisierung, während die natürliche Lüftung vorrangig zur Nachtauskühlung dient. Dies allerdings nur unter bestimmten Bedingungen: Sensoren im Dachaufbau überwachen definierte Witterungsparameter und bestimmen jeweils, ob die Deckel der Dachaufbauten über Nacht geöffnet werden können oder nicht. Im Brandfall sorgt zudem eine weitere Anlage für Entrauchung.

Zwar geht die Luftströmung dann denselben Weg durch die Fenster in der Fassade und die Dachklappen wie bei der Nachtauskühlung, jedoch unterstützt durch sechs Entrauchungsventilatoren. Zudem beherbergt die neue Produktionsstätte einzelne Räume mit spezifischen klimatischen Anforderungen. So etwa ein Lager mit feuchtigkeitssensiblen Kleinteilen oder ein Raum zum Test der hausintern hergestellten Produkte, der relativ kurzfristig auf­geheizt und wieder abgekühlt werden muss. Diese separate Steuerung ist ebenfalls nur durch den Einsatz zusätzlicher haustechnischer Anlagen möglich.

Dennoch liegt dem Bau ein gesamthaft ressourcen- und betriebskostenfreundliches Energiekonzept zugrunde, das auf auf zwei Hauptkomponenten aufbaut: Wärmepumpen/Kältemaschinen, die im Sommer für Abkühlung und im Winter für Wärme sorgen, und ein Nah-Fernwärmeanschluss an die benachbarte Migros-Betriebszentrale zur Spitzendeckung im Winter. Zudem betreibt Komax auf dem Dach des Neubaus eine eigene Photovoltaikanlage. Einsparungen aufgrund des umgesetzten Lowtech-Gedankens zeigen sich hauptsächlich im geringeren Energiebedarf im Betrieb und im nicht vorhandenen Bedarf für eine Steuerung des Sonnenschutzes.

Die ausführliche Version dieses Artikels ist erschienen in TEC21 33/2021 «Die vertikale Fabrik».

«Low-Tech-Gebäude – Prozess Planung Umsetzung». Abschlussbericht des Projekts «Low-Tech-Gebäude in der Bodenseeregion» der Internationalen Bodensee-Konferenz

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