Sa­nie­rung ei­ner Prä­zi­si­ons­ar­chi­tek­tur

Das SBB-Ausbildungszentrum Loewenberg von Fritz Haller verlangte vier Jahrzehnte nach seinem Bau nach einer umfassenden Instandsetzung. Die Eingriffe an diesem bedeutenden Vertreter des Schweizer Stahlbaus galten der Verbesserung von Sicherheit und Energiehaushalt. Sie wurden mit viel Respekt vor dem Bestand durchgeführt.

Publikationsdatum
12-02-2022

Das Centre Loe­wenberg bei Murten befindet sich auf einem ehemaligen Landgut nordöstlich der Stadt. Die Bauten – ein Restaurantpavillon, ein Werkstattgebäude und zwei Wohntürme –, die der Solothurner Architekt Fritz Haller 1980–1982 erstellt hatte, gruppieren sich lose im Park des historischen Gutsgebäudes. Die aktuelle In­standsetzung der Haller-Bauten war weniger deren Zustand geschuldet als vielmehr Mängeln bezüglich Sicherheit, Energieeffi­zienz, Bauphysik und Komfort.

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ASP Architekten aus Bern planten und führten die Arbeiten  mit grosser Umsicht von 2020 bis 2022 aus. Da der Gebäudekomplex seit 2016 unter Denkmalschutz steht, verlangte das Kantonale Amt für Kulturgüter des Kantons Freiburg den Beizug einer denkmalpflegerischen Expertengruppe, der auch der hier Schreibende angehörte. In der Folge fanden zahlreiche Besprechun­gen vor Ort statt, an denen Eigentümerin, Nutzerin, Architekten und Spezialisten zusammen mit der Expertengruppe Lösungsansätze diskutierten. Das Bewusstsein, beim Centre Loewenberg Verantwortung für eine besondere Architektur zu tragen, war bei Eigentümerin und Nutzerin vorhanden. Die Auffassung aber, es genüge, wenn nach der In­standsetzung alles ungefähr gleich aussehe wie zur Erstellungszeit, galt es zu korrigieren.

Baudenkmäler sollen ein möglichst unverfälschtes Zeugnis der Zeit ihrer Entstehung ablegen. Dabei hängt ihre Glaubwürdigkeit stark von ihrer Erscheinung im Äus­seren wie im Innern ab, vor allem aber von ihrer materiellen Substanz. Wie kein anderes Merkmal zeigt sie die Auffassungen, Bedingungen und Möglichkeiten der Entstehungszeit in bautechnischer, architektonischer und sozialer Hinsicht. Es ist daher unerlässlich, diese bauzeitlichen Elemente so weit wie möglich zu bewahren. Sind Verbesserungen unumgänglich, etwa im Bereich der energetischen Ertüchtigung oder der Sicherheit, so sollen sie möglichst im Sinn von Zufügungen und nicht durch Ersatz erreicht werden.

Bemühungen um Millimeter

Für die Fassaden war dennoch zunächst ein vollständiger Ersatz ­vorgesehen, der – nach heutigen energetischen Höchstforderungen konstruiert – aussen aufgesetzt werden sollte. Die Fassaden wären dadurch um 60 mm nach aussen gerückt, hätten aber von Weitem im Wesentlichen gleich ausgesehen. Die Diskussionen mit der Expertengruppe führten zu einer anderen Lösung: Für die Flachbauten – Schulungsgebäude, Restaurant und Werkstatt – blieben die thermisch nicht getrennten Fassadenprofile erhalten, ergänzt durch eine zusätzliche durchgehende Dämmschicht von 9 mm hinter den wiederverwendeten Abdeckprofilen. Dadurch bleibt ein wesentlicher Teil des Originals erhalten, die Konstruktion wird aber energetisch erheblich verbessert. An der Westseite des wenig beheizten Werkstattgebäudes ist die ursprüngliche Konstruktion ohne Änderungen und mitsamt der alten Verglasung als Beleg unverändert belassen.

Eine Veränderung von 9 mm erscheint zunächst unbedeutend. Die damit nach aussen gerückte Fassadenebene führte indes bei den charakteristischen, um 45° gestutzten Gebäudeecken zur Schwierigkeit, dass die von Haller fein austarierten, mit schwarzem Neopren hinterlegten Fugen der drei im Grundrissknick nebeneinander stehenden Abdeckprofile zu gross wurden. Nach mehreren Bemusterungen vor Ort entschied man, die Breite dieser Profile von 60 mm auf 65 mm zu vergrössern, um die Proportionen zu erhalten.

Knackpunkt Gläser

Ein besonderes Problem stellten die Gläser dar, deren Anteil am Wärmehaushalt ungleich bedeutender ist als derjenige der Fassadenprofile. Die von Haller verwendeten, leicht bronzefarbenen Isolierglasscheiben waren aus heutiger Sicht thermisch ungenügend und zudem teilweise undicht.1 Mit den bestehenden Profilen liess sich eine Dreifachverglasung nicht ausführen. Etliche Bemusterungen waren notwendig, bis sich ein Produkt fand, das eine ähnliche Farbe wie die originalen Gläser und keine unerwünschte Spiegelung aufweist und eine genügende Wärmedämmung gewährleistet.2 Der Glas­ersatz verbessert das Raum­klima und vermindert den Energieverbrauch erheblich.

Besondere Probleme boten die Hebeschiebefenster der Wohntürme. Sie bestanden aus einem festen Flügel, der sich für die Reinigung öffnen liess, und einem Flügel mit einem Hebeschiebemechanismus. Um Machart und Zustand beurteilen zu können, wurde ein Flügel demontiert und zerlegt. Die Stahlteile und die Hebeschiebemechanik waren in gutem Zustand. Allerdings hatte der leichte und mehrschichtige Konstruktionsaufbau des Chassis dazu geführt, dass die Formstabilität der beweglichen Flügel über die Jahre abgenommen hatte, diese wegen der Reibung zum festen Flügel schwer zu bedienen und undicht waren. In der Folge entwickelten Fassadenspezialist und Fassadenbauer zeichnerisch Varianten, die vom Herrichten der bestehenden Fenster bis zum vollständigen Neubau reichten. Die Abklärungen mündeten in den Bau zweier Musterfenster, denen eine Sanierung bzw. eine Rekonstruktion zugrunde lagen.

Um eine langfristige Lösung sicherzustellen, stimmte die Expertengruppe einer gemischten Variante zu: Die Flügel, die ursprünglich bloss zur Reinigung zu öffnen waren, wurden im gleichen Sinn aufgerüstet wie die Fenster der Flachbauten, während man die beweglichen Flügel, ausgerüstet mit den originalen Rollenwagen, neu erstellte.3 Die auf der Innenseite emaillierten Gläser der Brüstungen konnten nicht beibehalten werden, da die nicht feuerhemmende Wärmedämmung aufgeklebt und ohne Verletzung der Emailleschicht nicht zu entfernen war. Die Bürsten- und Labyrinth-Gummidich­tungen wurden rekonstruiert. Da die ursprünglich aufgeclipsten Abdeckprofile der Flügel später mit Doppelklebeband gesichert worden waren, konnten sie nicht ohne massive Verformungen demontiert werden und wurden ersetzt. Die neue Ausführung verbessert die Wärmedämmung erheblich und verhindert zudem einen Feuerübersprung zwischen den Stockwerken. Die übrigen Elemente der Aussenhaut wie die Sonnenblenden oder die Mechanik der Storen blieben erhalten.

Um die Wärmedämmung zu verbessern, war die vollständige ­Erneuerung der Flachdächer von grosser Bedeutung. Dabei verbaute man eine Dämmschicht von 18 cm. Eine frühere Sanierung hatte die Dachrandausbildung verunstaltet; bei der Neuausführung folgte man den erhaltenen Detailplänen. Insgesamt haben die Massnahmen an den Fassaden und die Verstärkung der Wärmedämmung der Dächer die Gebäudehülle wesentlich verbessert. Der Energiebedarf beträgt ­gegenüber dem Vorzustand noch knapp 40 %.

Alt und Neu im Innern

Im Schulungsgebäude blieb die Einteilung im Wesentlichen unverändert. Ein «Haller-Zimmer» blieb im Originalzustand; zusätzlich zur ursprünglichen Farbgebung und der Decke mit den Drallauslässen, die im ganzen Gebäude erhalten sind, sind hier die USM-Tische im Erstzustand, die seither gepolsterten Originalstühle und die Ausstattung wie etwa die grünen Sideboards vorhanden. Ein originaler Wasserspender steht im Korridor.

Die Inneneinrichtung hatte Fritz Haller entwickelt. Selbstverständlich setzte er bei den fest platzierten Einrichtungen wie Empfangstresen, Regale oder Korpusse auf die von ihm entwickelten USM-­Haller-Möbel. Die SBB-eigene USM-­Werkstatt kombinierte und spritzte sie neu, wobei das einstige lebhafte Grün den Vorstellungen der SBB nicht mehr entsprach und weisser Farbe weichen musste.

Im Restaurantgebäude waren wesentliche Teile der beweglichen Ausstattung im Lauf der Zeit verloren gegangen, darunter die Freischwinger von Marcel Breuer und die gepolsterten Sessel von Charles Eames in der Bar. Die noch vorhandenen Elemente wurden aufgefrischt. Die ursprünglich im Schulungs­gebäude verwendeten Stühle4 bekamen eine neue Polsterung und einen neuen Anstrich, die Tische wurden neu belegt und poliert. Die Ringleuchten erhielten LED-Leuchtmittel, die Fadenvorhänge behielt man bei.

Im Gegensatz zu den Flachbauten waren in den Wohntürmen eine Vielzahl von Wünschen der Betreiberin sowie neue Normen zu erfüllen, besonders beim Brandschutz: Es galt, die Personensicherheit in den Türmen mit den grossen Atrien und nur einer Treppe zu gewährleisten. Nun bildet jedes Zimmer einen eigenen Brandabschnitt. Dies führte zur Neukonzeption und Vergrösserung der zwischen den Atrien und Zimmern liegenden Installationsschächte. Lediglich die Zimmertüren mit ihren Stahlzargen blieben erhalten.

Schwierig zu lösen waren Rauchmeldung und Ent­rauchung der Atrien. Anhand von Mustern zeigte sich, dass die üb­liche Lösung mit einer Rauchab­saugung auf jedem Stockwerk und Rauchschürzen hinter den Geschosskanten den Raum stark beeinträchtigen würde. In enger Zusammenarbeit mit den Architekten ent­wickelte Gartenmann Engineering mit Simulationen im 3-D-Modell ein unübliches Konzept, in dem die Atrien als Nachströmungskanäle mit Lufteintritt von oben genutzt werden, der Rauch auf jedem Geschoss abgesaugt und über Dach ausgeblasen wird.

In den Wohntürmen genügten nach Ansicht der Betreiberin die Gästezimmer und deren Nasszellen den gestiegenen Ansprüchen der Gäste nicht mehr, da die Zimmer auch für Externe geöffnet werden sollen. Sie erhielten eine völlig neue Ausstattung.5 Gegenüber den Atrien, die weitgehend Aussehen und Substanz der frühen 1980er-Jahre bewahrt haben, wirken die Zimmer nun sehr verschieden, obwohl man versuchte, sie in der Materialisierung der ursprünglichen Gestaltung wieder anzunähern.

Die filigranen Stabgeländer der Atrien und der frei im Raum stehenden Treppen hatten eine Höhe von 96 cm. Die Baubehörde akzeptierte nach entsprechender Begründung die bestehende Ausbildung der Geländer mit horizontalen Stäben, verlangte aber ihre normgerechte Erhöhung. Die Lösung bestand im Ersatz des verkröpften Anschlussstücks zwischen Geländerpfosten und Handlauf durch ein verlängertes Element.

Dauerhafte Gebäudetechnik

Die Erneuerung der gebäudetechnischen Anlagen bot denkmalpflegerisch wenig Probleme, was nicht zuletzt auf die zur Erstellungszeit überaus sorgfältig geplanten Installationen und ihre offene Führung mit dem von Haller entwickelten digitalen Planungswerkzeug für technische Leitungssysteme «Armilla» – einer Verschränkung von Gebäuetechnik und Rohbau – das in Löwenberg erstmals zum Einsatz kam, zurückzuführen ist. Zwar wurden zahlreiche Leitungen ausgewechselt, das System blieb aber weitgehend unverändert.

Die Energiezentrale ist neu im Gebäude B untergebracht. Als Energieträger dient weiterhin das gereinigte Abwasser des ARA-Verbunds Murten, das durch zwei reversible Wasser- / Wasser-Wärmepumpen auf die gewünschte Temperatur transformiert wird. Im Wärmefall wird dem Wasser Energie mit einer Temperaturdifferenz von 4-5 Kelvin entzogen. Im Kühlfall wird die Abwärme gleichermassen an die ARA zurückbefördert. Separate Plattenwärmetauscher betreiben parallel das Hochtemperaturnetz.

Die Energie für die zusätzliche Kühlung im Hochsommer stammt aus der Photovoltaikanlage auf dem Dach des Schulungsgebäudes.i Auf den Wohntürmen sichern Monoblocks mit Verteilung auf dem Dach die Funktion der Lüftungs- und Klimakälte-Anlagen. Die Höhe der Aufbauten ist soweit reduziert, dass sie aus üblichen Blickwinkeln nicht wahrgenommen werden.

Gelungene Balance

Die abgeschlossene Sanierung des Ausbildungszentrums hat einmal mehr gezeigt, wie empfindlich hochpräzise konzipierte Bauten aus der Zwischen- oder der Nachkriegszeit selbst auf kleinste Veränderungen reagieren. Es war daher unerlässlich, den Bestand minutiös zu analysieren und wo immer möglich beizubehalten. In weiten Teilen ist das gelungen. Die Instandsetzung ermöglicht die Nutzung des Komplexes für die nächsten Generationen. Die heutigen Normen sind so weit erfüllt, bis ihre Umsetzung die Substanz oder die Erscheinung der Gebäude unverhältnismässig beschädigt hätte. Die Frische und Grosszügigkeit der Anlage sind ebenso erhalten geblieben wie die innovative Konzeption der Gebäudestrukturen und Fassaden. Unverändert sind auch die weiten, un­verstellten Räume im Innern der Bauten, zwischen ihnen und in der umgebenden Landschaft.

Anmerkungen


1 Es fand sich in der ganzen Schweiz keine Firma, die bereit gewesen wäre, die Gläser zu zerlegen und zu neuen Iso­liergläsern nach heutigem Standard zusammenzubauen (wie z. B. 2019 bei der Instandsetzung des Empire State Building oder wie in Deutschland unter dem Namen «Revetro»).

 

2 Verbaut wurde das Flachglas vetroSol Trio 62/29 P; U-Wert 1.1, g-Wert 29%, Lt 61%.

 

3 Für die Storen kam der noch erhältliche Originalstoff Serge Ferrari, Soltis Perform 92, Weiss 92-2044 zum Einsatz.

 

4 Hassenpflug Stuhl 1255 der Embru-Werke Rüti, mit schwarzer Lehne und Sitzfläche.

 

5 Der Vorschlag, für die beiden Zimmer, die noch vollständig mit den originalen Fenstern als Belegstücke versehen sind, die gut dokumentierte Originalausstattung nachzubauen, wurde leider nicht aufgenommen.

 

Am Bau Beteiligte

Bauherrschaft
Novavest Real Estate, Zürich


Nutzerschaft
Schweizerische Bundesbahnen SBB


Architektur
ASP Architekten, Bern


Energie, Bauphysik, Akustik, Brandschutz, Schadstoffberatung
Gartenmann Engineering, Bern


Beratung Fassade
Mebatech Ingenieurbüro für Metallbautechnik, Baden


Fassadenbauer
Aepli Metallbau, Gossau


HLKS-Planung
Grünig & Partner, Bern


Elektroplanung
Fux & Sarbach Engineering, Bern


Innenarchitektur
raumforum, Thun


Planungs- und Bauzeit
2017–2022

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