Tex­tu­ren in Weiss

Das Schulhaus Dufour in Biel steht auf mittelalterlichen Klostermauern. Nach über hundert Jahren erfolgte nun wieder eine Gesamtinstandsetzung. 3B Architekten aus Bern nahmen nicht nur die alten Gemäuder mit ins Jetzt, sondern auch einen Grossteil des Innenausbaus. Die teils jahrhundertealten Fundstücke laden ein zur Spurensuche durch das Haus.

Publikationsdatum
28-06-2023

Mittelalterliche Bauten sind nicht das Erste, was man gemeinhin mit der Architektur von Biel verbindet. Die Stadt am Jurasüdfuss ist bekannt für ihre Bauten aus der Solothurner Schule – Max Schlup, Franz Füeg und Fritz Haller sind deren prominente Exponenten. Nichtsdestotrotz hat auch Biel eine Altstadt. Sie liegt nordöstlich der von den meisten Nicht-Bielern als Altstadt bezeichneten Bieler Neustadt, am Hang des Juras.

Die heute geschleiften Stadtmauern reichten einst bis ins Gebiet der heutigen Neustadt, an der Nordostecke der spätmittelalterlichen Stadterweiterung entstand Mitte des 15. Jahrhunderts ein Johanniterkloster – die letzte Gründung des Ordens in der Schweiz. Nach dessen Aufgabe durch die Reformation rund hundert Jahre später beherbergte das Gebäude ein Spital; rund 300 Jahre später, nach dem Wiener Kongress, wurde es zum Gymnasium umgebaut. 1871 erhielt es vom Solothurner Architekten Alfred Zoschkke seine heutige, repräsentative Form, mit drei Geschossen, den Dreieckgiebeln auf Nord- und Südseite sowie dem Mittelrisalit zur Dufourstrasse.

Bereits 1862/63 kam ein Anbau für eine Mädchenschule an der westlichen Ecke hinzu, das Schulhaus Dufour-West (Architektur: Hans Rychner, Neuenburg). Das Ensemble aus Schulhaus West und Ost formt mit den benachbarten Bauten der Stadtbibliothek und weiteren Schulgebäuden einen Bildungscampus.

Ständiges Provisorium

Den fast 100 m lange Gebäudekomplex des Schulhauses bildet den stattlichen Auftakt zur Strassenanlage der Neustadt aus dem 19. Jahrhundert. 1907 wurde er letztmals grundlegend instandgesetzt, Teilsanierungen fanden 1982 und 2005 statt. Zu wenig, um die Substanz zu erhalten – die Fassaden bröckelten, der Osttrakt war schliesslich so stark beschädigt, dass herabfallende Steine von Simsen und Lisenen die Passantinnen und Passanten bedrohten. Die Stadt als Eigentümerin löste das Sicherheitsproblem passiv-pragmatisch und liess ein schützendes Gerüst über dem Trottoir aufstellen.

Doch aus der temporären Massnahme wurde ein Jahrzehnte dauerndes Provisorium, der halb eingerüstete Bau zu einem lokalen Schandfleck. 2019 war der Instandsetzungsbedarf des denkmalgeschützten Baus so offensichtlich, dass sich die in dieser Sache zerstrittene Bieler Exekutive zusammenraufte, und einen Projektierungskredit inklusive Architekturwettbewerb zur Sanierung der Liegenschaft bewilligte. 3B Architekten aus Bern konnten die Konkurrenz 2019 für sich entscheiden, im September 2020 hiessen auch die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger das Vorhaben gut

Skalpell statt Abrissbirne

Der Schwerpunkt der Planung lag dabei auf dem Osttrakt. Am Westteil wurde hauptsächlich die Fassade instandgesetzt, so dass das Dauergerüst endlich weichen konnte. Zusammen mit der Instandsetzung ging auch eine Nutzungsanpassung einher. Zusätzlich zu regulären Unterrichtsräumen der Primarschule beherbergt der Bau nun auch die grösste Tagesschule Biels mit einem Mittagstisch für bis zu 120 Mahlzeiten für die Schülerinnen und Schüler des Schulbezirks Zentrum. Zudem ist hier nun auch zentral das Zentrum für Pädagogik der umliegenden Schulen untergebracht, also Begabtenförderung, Logopädie und im Dachgeschoss die Räume für die Bewegungstherapien der Psychomotorik.

Die Architekten wählten für ihren Entwurf einen klassischen Weg: Analysieren, Aufräumen, Aufwerten. Die vorhandenen strukturellen Qualitäten des Baus schälten sie wieder hervor, ergänzt mit präzisen Anpassungen. Dabei orientierten sie sich in Absprache mit der Denkmalpflege an der Bauphase von 1871. «Unserer Meinung nach war das die stärkste architektonische Haltung, die am Bau abzulesen war», so Architekt Martin Gsteiger.

Geschichte sichtbar lassen

Der wichtigste Eingriff ist eine Reverenz an die Symmetrie: Analog zum bestehenden Treppenhaus auf der Ostseite des Schulhauses bauten die Architektinnen und Architekten ein weiteres Treppenhaus ein. Zusammen mit den Gauben auf der Hofseite kann so das Dachgeschoss effizient genutzt werden. Die sanitären Anlagen, die vorher an diesem Ort sowie am Ostende des Baus untergebracht waren, verlagerten sie in den Zwischentrakt des Gebäudeensembles. Die beiden neu durch Dachfenster und grosse Glasflächen in den Gängen mit Tageslicht versorgten Treppenhäuser sorgen nicht nur für die Erschliessung, sondern auch für die Entfluchtung.

«Wir wollten die Geschichte des Hauses spüren», sagt Martin Gsteiger. Daher liessen die Planerinnen und Planer die konstruktiven Materialien in den Gängen unter einem Schlemmputz erahnbar. Hier lässt sich Baugeschichte nicht nur ablesen, sondern sogar spüren: Die Zeit als Kloster bzw. Spital mit Zellen aus Bruchstein und Öffnungen für die holzbefeuerten Öfen im Erdgeschoss sind ebenso sicht- und ertastbar wie das Ziegelmauerwerk in den Obergeschossen und die jüngsten Eingriffe in Kalksandstein.

Bei den Klassenzimmern wurden hauptsächlich die Oberflächen aufgefrischt, die Parkettböden beispielsweise konnten erhalten werden. Neue Elemente wie Lavabos und Paneele für Akustik und Klimatisierung sind reversibel eingebaut – je nach Sichtweise eine Rückbesinnung auf althergebrachte Bautechniken oder eine zukunftsträchtige Anwendung von «Design for disassembly.» 

Umbau und Instandsetzung Dufourschulhaus, Biel-Bienne

 

Bauherrschaft
Direktion Bau, Energie und Umwelt, Stadt Biel-Bienne


Architektur, Generalplanung
3B Architekten, Bern


Bauleitung
Bauleitung GmbH, Biel-Bienne


Tragkonstruktion
WAM Planer und Ingenieure, Bern


Bauphysik, Akustik
Gartenmann Engineering, Bern


HLS-Planung
Matter + Ammann, Bern


Elektroplanung
Bering, Bern

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