Iden­ti­tät statt Ab­riss

Im ehemaligen Felix Platter-Spital in Basel aus den 1960er-Jahren wird ab Ende 2022 gewohnt. Der ursprünglich geplante Abriss konnte durch eine Umnutzung für die Genossenschaft wohnen & mehr abgewendet werden. Im Konzept des «Miteinanderhauses» der ARGE Müller Sigrist / Rapp Architekten bringt ein vielfältiger Wohnungsmix die unterschiedlichsten Gruppen unter einem Dach zusammen. 

Publikationsdatum
18-08-2022

Was tun mit Baudenkmälern, die in ihrer ursprünglichen Funktion nicht mehr genutzt werden können? Vor dieser ­Frage standen die Leitung des Felix ­Plat­ter-­Spitals als Eigentümerin des gleich­namigen Gebäudes in Basel und die kantonale Denkmalpflege Basel-Stadt. Der im Inventar schützenswerter Bauten eingetragene Riegelbau, von 1962 bis 1967 nach einem Entwurf der Architekten Fritz ­Rickenbacher und Walter Baumann erbaut (Direkt­auf­trag durch den Stadtbaumeister Julius Maurizio), entsprach trotz Sanierungsmassnahmen in den Jahren 1999 und 2011 nicht mehr den baulichen, betrieblichen und infrastrukturellen Anforderungen für ein Krankenhaus.

Was also tun? Da für die Leitung des Felix Platter-­Spitals die Kosten für bauliche Renovationen des Altbaus in keinem Verhältnis zu den Investitions- und Betriebskosten eines optimierten Neubaus standen, entschied man 2012, im Norden des Areals ein neues Geriatriespital zu errichten (vgl. «Felix Platter-­Spital: Weitblick bis ins Detail», TEC21 45/2019). Für den Bestand schien Abbruch die einzige Lösung – das Gebäude wurde aus dem Inventar schützenswerter Bauten entlassen.

Auffälliger Baukörper im Basler Stadtbild

Der Bau des alten Felix Platter-Spitals ist 105 m lang und 35 m hoch. Er zählt aufgrund seiner gestalterischen, typologischen und städtebaulichen Qualitäten zu den hervorragenden Bauten der Nachkriegsmoderne. Das Bettenhochhaus ist als Stahlbeton-Schottenbau ausgeführt und verfügt über neun Stockwerke und ein Attika­geschoss.

Im Sockelbereich ist der Riegelbau von grossflächigen Erdgeschossbauten umgeben, in denen früher vor allem Therapieräume und die Mensa untergebracht waren. In den Geschossen darüber waren infrastrukturelle und medizinische Bereiche wie Personalräume und Behandlungszimmer im Norden angesiedelt, wohin­gegen die Patientenzimmer gen Süden orientiert lagen.

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Das alte Felix Platter-Spital ist in der Stadt Basel besonders wegen seiner einprägsamen und sehr unterschiedlich gestalteten Fassaden bekannt. Bei der Umnutzung vom Spital zum Wohnhaus mussten dann auch ganz unterschiedliche Sanierungskonzepte angewendet werden.

Zwischen den beiden Raumebenen erstreckt sich ein langer Korridor. Im Attikageschoss befanden sich neben einer geräumigen Liegehalle die Technik- und Nebenräume. Auf der Terrasse des Attikageschosses rekelten sich die Patientinnen und Patienten unter dem weit auskragenden Betondach – fast wie in einem Sanatorium – auf Liegen in der Sonne, um zu genesen.

Insbesondere das einprägsame Äussere des Hauptbaus hat für das Quartier eine stark identitätsstiftende Funktion. Dies zeigte sich auch an der Reaktion der Bevölkerung, die mit den Abbruchplänen nicht einverstanden war – eine Umfrage des Stadtteilsekretariats Basel West Ende Juli 2015 zeigte, dass sich 60 Prozent der Befragten eine Umnutzung des alten Spitalbaus wünschten.

Auch der Bund Schweizer Architekten, Sektion Basel, hat sich für den Erhalt des Baudenkmals ausgesprochen, und der Heimatschutz Basel und der Freiwillige Basler Denkmalschutz rekurrierten gegen die Nicht-Unterschutzstellung des Spitals.

Als die Wohnbaugenossenschaft wohnen & mehr die Idee ins Spiel brachte, den Spitalbau zum Wohnbau umzunutzen, wendete sich das Blatt. Mithilfe einer Machbarkeitsstudie bzw. Strukturstudie (2014), eines Grobkonzepts zur Erdbebenertüchtigung und einer Untersuchung der Tragstruktur konnte die Erhaltungsfähigkeit des Gebäudes nachgewiesen werden, und es zeigte sich, dass eine deutliche Verbesserung der Energieeffizienz und des Erdbebenschutzes durch eine Ertüchtigung möglich wäre.

Zusammen mit der kantonalen Denkmalpflege erarbeitete die Genossenschaft einen Vergleich, der unter anderem eine Priorisierung der erhaltenswürdigen Elemente des Baus beinhaltet. Insbesondere bei der Aussenansicht des Gebäudes mit ihren beiden einprägsamen Fassaden sollte die Eingriffstiefe gering gehalten werden.

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Der Basler Grosse Rat genehmigte Ende Oktober 2016 die Umzonung und den Bebauungsplan, der den Erhalt des Gebäudes umfasst. Der Spitalhauptbau wurde mit einem «reduzierten Schutzumfang» ins Denkmalschutzverzeichnis eingetragen, was eine Umnutzung zu Wohnzwecken ermöglichte. Die das Bettenhochhaus umgebenden Bauten durften ersetzt werden. Dass auf dem insgesamt 35 000 m² umfassenden Areal des Westfelds Wohnungen entstehen sollten, ging bereits aus der regierungsrätlichen Arealstrategie von 2015 hervor. Rund 530 neue Wohnungen entstehen momentan auf dem gesamten Westfeld, davon rund 130 im alten Spital­gebäude, alle anderen in Neubauten.

Wohnen im Spital

Die im Juni 2015 gegründete Genossenschaft wohnen & mehr erhielt das gesamte Gelände des Westfelds inklusive des alten Felix Platter-Spitals im Baurecht von der Einwohnergemeinde Basel-Stadt. «Unser Ziel war es, mit dem Westfeld ein lebendiges Stück Stadt zu schaffen. Mit gemeinschaftlichem Wohnraum, Quartierfunktionen und verkehrsfreien Gassen und Plätzen. Und inmitten dieses neuen Zentrums für Basel West das umgenutzte Spitalgebäude als lebendiger, identitätsstiftender Baustein», sagt Andreas Courvoisier als Co-Initiant von wohnen & mehr. Im März 2016 stimmte der Regierungsrat dem zwischen den Rekurrenten, den Wohnbaugenossenschaften Nordwestschweiz und wohnen & mehr ausgehandelten Vergleich zu. Damit war der Weg frei für die Umnutzung.

Im September 2017 lancierte die Genossenschaft einen Studienauftrag im Dialog. Aus 31 Bewerbungen wählte das Beurteilungsgremium sechs Teams auf Basis der eingegebenen Referenzen, der fachlichen Qualifikationen und der Herangehensweise an die Aufgabe. Die Teams bestanden jeweils aus Fachpersonen aus den Bereichen Architektur, Baumanagement, Bauingenieurwesen und Nachhaltigkeit.

Ein besonderes Augenmerk lag dabei auf der horizontalen und vertikalen Erschliessung des Gebäudes, kombiniert mit dem Konzept zum Tragwerk und der Erdbebenertüchtigung. Die Wettbewerbsjury entschied sich für die Eingabe der ARGE Müller Sigrist / Rapp Architekten, die den Entwurf zusammen mit Dr. Lüchinger + Meyer Bauingenieure für die Tragwerksplanung und Dura­ble Planung und Beratung für Nachhaltigkeits- und Energiefragen entwickelt hatte.

Ein Miteinanderhaus

Im Mittelpunkt des Entwurfs steht das «Miteinanderhaus» – ein Konzept, das durch die neu gedachte innere Erschliessung sein Zentrum erhält. Dafür haben die Planenden die langen Korridore über kaskadenartige Treppen verbunden. Diese neue Route führt die Bewohnenden vom Erdgeschoss quer durch das Gebäude bis aufs Dach, dessen Westterrasse als halböffentlicher Raum allen Genossenschaftern zur Verfügung steht. Hier liegt auch einer der Gemeinschaftsräume mit Teeküche – nicht das gesamte Attikageschoss mit Dachterrasse ist für die Allgemeinheit zugänglich.

Im östlichen Bereich liegen Maisonettewohnungen, deren Mietpreise für genossenschaftliches Wohnen eher teuer erscheinen. Andreas Courvoisier erklärt, dass sie als neu gegründete Genossenschaft mit bisher keinem Immobilienportfolio eine Möglichkeit finden mussten, um die Umnutzung und damit ihr Startprojekt zu finanzieren und um die Wohnungen in den untersten drei Etagen für Personen mit kleinem Budget zu vergünstigen.

Auch einige der Balkone am Ost- und am West­ende des Riegelbaus gehören zum Konzept des Aus­tausches und der Begegnung zwischen den Bewohnenden und sind durch die neuen Treppen erreichbar. Für Eilige bieten die drei nördlich gelegenen Treppenhauskerne eine senkrechte Direktverbindung zwischen den Geschossen.

Dieses «Miteinanderkonzept» von Müller Sigrist erinnert an deren Bebauung der Genossenschaft Kalkbreite in Zürich (vgl. «Baukultur: Qualität und Kritik» und TEC21 26-27/2014). Ein signifikanter Unterschied zwischen den beiden Projekten liegt darin, dass es sich bei der Weiterentwicklung des «Miteinanderkonzepts» für das alte Felix Platter-­Spital um die Integration dieser Idee in ein Bestandsgebäude handelt.

Während beim Neubau der Kalkbreite die privaten und gemeinschaftlich genutzten Flächen optimal für das Konzept des «Miteinanderhauses» angelegt werden konnten, mussten die Planenden bei der Umnutzung auch mal einen Kompromiss ein­gehen. Insbesondere fällt dies bei der Zu­teilung der Aussenräume auf. Grenzt zum Beispiel eine kleine 3-­­Zimmer-­Wohnung an einen der Balkone am West- oder Ostende des Riegelbaus, verdoppelt sich die Grundfläche fast durch den dazugehörigen Aussenraum.

Die 130 Wohnungen reichen von 1-Zimmer-Budget- und Maisonettewohnungen über 12-Zimmer-Clusterwohnungen bis zu Joker- und Gästezimmern. Durch die zusätzliche Durchmischung aller Wohnformen auf den Geschossen ist fast jede der Wohnungen individuell zugeschnitten – im Innern herrscht somit das Gegenteil der Aussenansicht, deren grundlegendes Gestaltungsprinzip die Repetition ist.

Für ein belebtes Innenleben des Baus ist diese Durchmischung sinnvoll. So treffen auf den unterschiedlichen Ebenen mit Familien, Singles, WG, einem Co-Housing-Projekt des Vereins wohnen + Basel oder Nutzenden des Servicewohnens im Alter ganz unterschiedliche Lebensentwürfe und Altersklassen aufeinander. Wie sich bei der Kalkbreite schon zeigte, ergeben sich durch eine starke Durchmischung in Kombination mit einer agilen Genossenschaftsorganisation viele Synergien.

Die ausführliche Version dieses Artikels ist erschienen in TEC21 26/2022

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