Oh­ne Scheu­klap­pen und an ei­nem Strick

Die Architekten Gemeinschaft 4 aus Aarau und Luzern hat das denkmal­geschützte Pflegeheim Golatti in der Aarauer Altstadt instand gesetzt. Entstanden ist ein Ort zum Wohlfühlen, der zeigt, dass Lebensqualität nicht quantifizierbar ist.

Publikationsdatum
29-03-2022

Rollstuhlgängigkeit und einfacher Unterhalt vertragen sich laut vorherrschender Meinung nur schlecht mit den Anforderungen der Denkmalpflege –  umso weniger, wenn es sich wie beim kürzlich fertiggestellten Pflegeheim Golatti in Aarau um ein Konglomerat aus drei mittelalter­lichen Altstadthäusern und um ein Heim für Betagte handelt. Doch Vorurteile sind da, um widerlegt zu werden, und so präsentiert sich die im vergangenen Oktober bezogene Einrichtung heute mit einer selbstverständlichen, doch robusten Eleganz.

Standortvorteil Altstadt

Die drei miteinander verbundenen Gebäude an der Milchgasse im Osten der Altstadt blicken auf eine wechselvolle Geschichte zurück. Im 13. Jahrhundert erbaut, beherbergten sie zunächst ein Augustinerinnenkloster, nach der Reformation dann eine Lateinschule, wurden später zum Armen- und Altersasyl und dienten im 18. Jahrhundert dem
Fabrikanten Johann Rudolf Meyer-Vater als Wohn- und Standort seiner Seidenbandfabrik. Ab 1852 war hier schliesslich das städtische Altersheim untergebracht.

Diese für heutige Gegebenheiten eher ungewöhnliche Lage wurde durch die Stadt auch nicht infrage gestellt, als 2013 eine Instandsetzung anstand. Bewohnerinnen und Bewohner, oft selbst aus der Altstadt, können so in ihrem gewohnten Umfeld bleiben, auch wenn die Räumlichkeiten nicht dem sonst üblichen, aber standardisierten Komfort und den gewohnten Dimensionen entsprechen.  

Im Rahmen des aktuellen Umbaus galt es, alle 27 Zimmer mit Bädern auszustatten sowie Gebäudetechnik, Brandschutz und Erd­be­bensicherheit auf den neuesten Stand zu bringen. Die Architekten griffen dafür zu einer bewährten Methode: Sie räumten auf. Die gemeinschaftlich genutzten Räume wie ein öffentlicher Coiffeur oder das betreute Wohnen kamen ins Erdgeschoss, die Zimmer wurden nach Westen, zur Aussicht über die Schachenebene, angeordnet. Die freigespielten Fassaden auf der Altstadtseite erlauben nun den Blick über die Dächerlandschaft, was die Orientierung im verwinkelten Gebäude enorm er­leichtert. Gleichzeitig löst sich so die charakteristische Heimtypologie mit innenliegenden dunklen Fluren auf.

Auffällig und untypisch für ein Pflegeheim ist auch die hochwertige Materialisierung mit Naturbaustoffen. Zum Einsatz kamen Eichenböden in den Zimmern, die Fassaden sind ebenso wie die Wände der ­Flure mit einem Kalkputz versehen. Vor den einzelnen Zimmern ist er in einer leicht raueren Variante ausgeführt, quasi als Aussenfassade der jeweiligen Wohneinheit. In den Zimmern sorgt ein Lehmputz für eine schöne Optik und Haptik sowie ein angenehmes Innenraumklima: Zusammen mit einer Fensterfalz­­lüftung gelingt es damit, auf eine Lüftungsanlage zu verzichten. Die Farbgebung basiert auf einem Stadtspaziergang durch die vielfarbige Aarauer Altstadt und bot die Inspiration für die Innenraumgestaltung. Jedem Geschoss ist eine Farbe zugeordnet, jedes Zimmer ­wiederum individuell ausgeführt.

Gemeinsam gehts

Natürlich entspricht das Pflegeheim nicht in allen Punkten heute gängigen Standards. Und offensichtlich verlangte der Umbau auch den Behörden einiges ab.  Die Realisierung möglich machten zwei Faktoren: Zum einen war die historische ­Bausubstanz beim Umbau in den 1970er-­Jahren weitgehend verloren gegangen, was eine Entkernung begünstigte. Zum anderen bewiesen die beteiligten Institutionen viel Flexibilität bspw. im Hinblick auf Mindestgrössen – dies auch durch den Umstand, dass die heutige Nutzung auf 15 bis 20 Jahre festgelegt ist. Ob es dann in der Altstadt noch ein Pflegeheim in dieser Form braucht, wird sich zeigen. Die Trag­struktur mit durchgehenden Betondecken und Leichtbauwänden ist auf eine allfällige Umnutzung hin angelegt. So oder so: Es ist dem Gebäude und seinen Nutzern zu wünschen, dass künftige Umbauten mit ähnlich viel Umsicht und Feingefühl angegangen werden.

Am Bau Beteiligte

 

Bauherrschaft
Einwohnergemeinde Aarau, vertreten durch das Stadtbauamt

 

Architektur
Architekten Gemeinschaft 4, Aarau / Luzern

 

Bauleitung
Buser + Partner Architekten, Aarau

 

Tragkonstruktion
Wilhelm + Wahlen, Aarau


Elektroplanung, Brandschutz
HKG Engineering, Aarau


HLK-S-Planung
Raimann + Partner, Trimbach


Bauphysik
Grolimund + Partner, Aarau


Lichtplanung
Licht & Wohnen – Daniel Kuhn, Suhr


Farbkonzept
Silvia Hess Jossen, Kriens


Fachberatung altersgerechtes Bauen
von Arx Baumanagement, Aarau


Feng Shui
Roland Frutig, Lobsigen


Putze und Anstriche
Haga Naturbaustoffe, Rupperswil


Projektierung
2013 – 2018


Bauzeit
Januar 2020 – Oktober 2021


Baukosten
8.3 Mio. Franken

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