Glat­te Hül­len, ver­zwick­te Pro­ble­me

«Advanced Building Skins»-Konferenz

Die Vision, dass Häuser auch Energieproduzenten sind, setzt neue Rahmenbedingungen für die Fassadentechnik und -gestaltung. Dabei auch Spielräume zu finden war Teil der Diskussionen an der ABS-Konferenz.

Publikationsdatum
27-10-2016
Revision
28-10-2016

50 % der verbrauchten Energie gehen zulasten von Erstellung, Betrieb, Rückbau, Recycling und Entsorgung von Bauten. Mit diesem Statement eröffnete Moderator Andreas Hempel die zweitägige Konferenz «Advanced Building Skins» (ABS) und nahm so die anwesenden Berufsgruppen der Ingenieure und Architekten in die Verantwortung. Seit der ersten Konferenz im italienischen Brixen 2006 war das alljährliche Treffen stetig gewachsen. Dass zum elften Anlass im Berner Kursaal 700 Teilnehmer kamen, mag teils der zentraleren Lage und der wunderbaren Aussicht zu verdanken sein; vor allem aber war es der Beweis, dass technische und architektonische Herausforderungen im Zeitalter der nachhaltigen Architektur nur noch in Zusammenarbeit gelöst werden können. 

Die ABS-Konferenz 2016 stand ganz im Zeichen der Energiewende. Das Spektrum der über 200 Vorträge ­umfasste dynamische Simulationen von Solargewinnen, biometrische 3-D-gedruckte Fassadenmodule und hängende Gärten ebenso wie Sanierungen von Gebäudehüllen in diversen Klimaregionen. 

Die Gebäudehülle als Energieproduzent

Erneuerbare Energien standen im Fokus: Einige interessante Entwürfe von ins Gebäude integrierten Wind­anlagen standen zahlreichen Forschungs- und Industrieberichten zur Photovoltaik gegenüber. Die Gebäudehülle der Zukunft soll also nicht nur die Wärme im Haus be­halten, sie soll Energie produzieren. Die Themen erneuerbare Wärme und dezentrale Verteilsysteme (als Alternative zur Batteriespeicherung) wurden mehrfach angeschnitten.

Im Kursaalfoyer schien es, als ob die Photovoltaik bald das meistverbaute Fassadenmaterial werden müsse: Der grösste Teil der Aussteller aus dem In- und Ausland präsentierte PV-Paneele; diese waren interaktiv oder lichtdurchlässig, ­gebogen oder eingefärbt, für Fassaden, Brüstungen, Dacheinfassungen und Lamellensysteme. Hochschulen – prominent die HSLU mit dem von Textildesignern entwickelten ­Mosaik «Rota­tion» aus PV-Elementen – wie auch Hersteller versuchen, die bläulich schimmernden Paneele farbig zu bedrucken oder zu hinterlegen und breitere Kundenkreise zu erschliessen. Der Optimismus, dass Fassaden die Energieproduzenten der Zukunft sein können, geht mit verzwickten Problemen einher. 

Die Konferenz hat sich wohl auch deshalb so erfolgreich entwickelt, weil hier Architekten und Inge­nieure gemeinsam diskutieren. ­Ingenieur- und Architektenreferate wechselten sich ab, so auch im von Udo Dietrich (HafenCity Universität Hamburg) geleiteten Themenblock «Ganzheitliche Planung für nachhaltige Architektur»: Auf das eindeutige Forschungsresultat, dass kompakte Gebäudevolumen im Bau genauso wie im Betrieb in allen untersuchten Klimaregionen Kosten einsparen (Itai Danielski, Mid Sweden University), folgte ein Plädoyer für kontextbezogene Häuser an Beispielen aus drei Ländern (Sebastian El khouli, Bob Gysin + Partner BGP, Zürich).

Die Unterschiedlichkeit dieser Perspektiven regte in fast allen der 42 Themenblöcke zu einem engagierten und zuweilen kontroversen Austausch unter Experten an, der hoffentlich auch längerfristig zu einer besseren Verständigung zwischen den Disziplinen führt. 

Kompakte Körper versus Kontextbezug

Architektur nicht nur (sozusagen in Umkehrung des Kühlschranks) als isolierte Wärmebox mit minimaler Oberfläche, sondern als identitätsstiftenden Körper zu kommunizieren versuchten nicht alle. Viele Vertreter aus der Architektur jedoch leisteten wertvolle Beiträge an die grosse Herausforderung einer en­ergetisch optimierten und gleich­zeitig kulturell bedeutsamen ge­bauten Umwelt. 

Eine oft gehörte Forderung der Experten war die nach einfachen ­Werkzeugen für frühe Phasen der Planung. Zuweilen widerspricht das dem Anspruch auf Präzision oder der Suche nach dem schnellsten Ergebnis. Gute Lösungen allerdings, da waren sich die Experten einig, brauchen Variantenvergleiche in der Frühphase. Gleichzeitig forderten Redner aus verschiedenen Kontinenten ganzheitlichere Berechnungen, die über U-Werte hinaus den Gesamtenergieverbrauch von der Grau­energie – wozu Gianrico Settem­brini und Marvin King, HSLU, eine tiefgreifende Studie präsentierten – bis zur Mobilität betrachten (wobei die Schweiz mit den vorhandenen SIA-Merkblättern vorbildlich dasteht).

Ähnlich der Grafik für die Energieklassierung, wie sie für Kühlschränke, Leuchtmittel und GEAK bekannt sind, könnten weitere Indikatoren wie zum Beispiel die «Fabric energy efficiency ratio» (FEER), die Giovanni Zemella und Fabio ­Bortolotti von Ove Arup & Partners, London, vorstellten, die energetische Performance schon im frühen Planungsstadium anschaulich visualisieren. Über 80 % des ­jetzigen Gebäudebestands in Grossbritannien werde im Jahr 2050 noch stehen: Wenn Energieverbrauch und CO2-Ausstoss wirklich gesenkt werden sollen, betonten die Londoner Ingenieure, liege hier der grösste Handlungsbedarf. Werkzeuge für gestalterische Beweisführungen fehlen weitgehend. Indizes wie der FEER ermöglichen gleichzeitig ­Klarheit und Spielraum in der ­Zusammenarbeit von Architekten, Ingenieuren und Bauherrschaften.

Der Standard und das Spezifische

Energiesparen im Bestand war in vielen Themenblöcken und mit Beiträgen aus der ganzen Welt präsent: Es wurden Fassadensysteme, realisierte Projekte und Studien vorgestellt. Die Resultate erschliessen teilweise, weshalb die anvisierte Sanierungsrate von 2 % unter den gegebenen Bedingungen nur mit Kompromissen oder mit grossem finanziellen Aufwand zu erreichen ist.

Zwei Schweizer Untersuchungen erarbeiteten jeweils anhand von zehn Gebäuden ökologische und ökonomische Szenarien: In einer Gartenstadtsiedlung in Bern Weissenstein mit durchschnittlich 60 % Wärmeverlusten wurden verschiedene Sanierungsszenarien für die Gebäudehülle und -technik an zehn Gebäudetypen nach GEAK und SIA 380/1 wie auch in energetischen Simulationen analysiert (Claudio Menn, FHNW). In der Westschweiz wurde das das Bauen im Bestand zeitlich und geografisch weiter gefasst: Aus den letzten 120 Jahren wurden zehn typische Zeitzeugen bestimmt (Stefanie Schwab, ­Lionel Rinquet, HES-SO).

«Wie erreichen wir ener­getische Standards, ohne die Identität der Gebäude zu zerstören?», fragten die Forscher von «Rénovation énergétique, approche globale pour l’enveloppe du bâtiment» (eREN) und entwarfen für alle zehn Gebäudetypen Sanierungszenarien nach fünf Kriterien.

Das erste Ergebnis war, dass teils auch ohne systematische Aussendämmungen spätestens im zweiten Durchgang der Standard der massgebenden Norm SIA 380/1 erreicht wurde. Die Gründe für die zaghafte Umsetzung der energetischen Sanierungsziele hängen eher mit dem zweiten Ergebnis zusammen: 80 % der energetischen ­Wertvorgaben sind relativ einfach zu erreichen, für den letzten Schritt fallen zum Teil disproportionale Kosten an (vgl. Grafik zum Kostenvergleich). Teuer sei allerdings vor allem die Zusammenarbeit – und unbedingt nötig, schloss der Vortrag zu eREN.

Wie disziplinenübergreifende Dialoge organisiert und moderiert werden können, zeigte die gross angelegte Konferenz über gegenwärtige und zukünftige Gebäudehüllen auf. Für das Ziel Energie­wende gibt es auf jeden Fall noch Forschungsbedarf.

Weitere Informationen sowie die über 1000-seitige Konferenzdokumentation unter abs.green

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