Ein pul­sie­ren­des Haus

Die Architektur eines Gebäuderiesens

Die transparente Hülle, das geschickte Grundrisskonzept und die Vielfalt der eingesetzten Materialien machen das neue Triemli-Bettenhaus nicht nur hinsichtlich Nachhaltigkeit zum Vorbild. Trotz der Grösse gelingt es, bei der Spital­erneuerung einen menschlichen Massstab zu wahren.

Publikationsdatum
12-05-2016
Revision
03-03-2017

Nach über zehnjähriger Planungs- und Bauzeit ist das neue Bettenhaus am Stadtspital Triemli eröffnet worden. Auch die physischen Dimensionen des lang gezogenen, kubischen Baukörpers sind eindrücklich: Mit einer Höhe von 50 m bietet er Platz für 550 Betten. Jedes der sichtbaren 15 Geschosse ist 35 m breit und 100 m lang. Je nach Standpunkt scheint das kompakte Volumen, das quer zum bestehenden Hauptgebäude steht, förmlich aus diesem herauszuwachsen. Die Grösse der Baukörper und ihre Nähe zueinander schaffen eine räumliche Dichte, die im Vergleich zum menschlichen Massstab imposant und fast schon beängstigend wirkt. Im Innern jedoch ist davon nichts mehr zu spüren. Aeschlimann Hasler Partner Architekten aus Zürich gewannen Ende 2005 den zweistufigen Studien­auftrag für den Neubau des Bettenhauses und die Instandsetzung des Hauptgebäudes. Diese Erneuerungsmassnahmen sind Bestandteil einer strategischen Planung für die Spitalanlage Triemli von 1994, die 2003 und 2013 überarbeitet worden ist. Die nun abgeschlossene Erneuerung betrifft das Bettenhaus sowie die Energie- und Medienversorgung; die ursprünglich geplante Instandsetzung des Haupt­­gebäudes wird als vereinfachtes Instandhaltungsprojekt später fertiggestellt.

Zusammen mit dem Behandlungstrakt und dem Hauptgebäude lässt der Entwurf für das Bettenhaus auf dem weitläufigen Spitalareal ein Ensemble entstehen, das trotz der unterschiedlichen formalen Ausgestaltung und Tektonik der Volumen zu einer Einheit findet. Die einzelnen Bauten zeichnen sich zwar weiterhin als eigenständige Zeugen ihrer Zeit aus, doch gleichzeitig gewinnt das Ganze an Kraft und wird auch aus der Ferne als Einheit sicht- und greifbar. Mit der Konzentration der Gebäude konnten zudem die von Willi Neukom gestalteten Aussenräume weitgehend erhalten werden.

Lebendige Architektur

Für das architektonische Konzept des Hauses sind Aeschlimann Hasler Partner Architekten von den Bettenzimmern ausgegangen: Anders als im Spitalbau üblich werden sie durch raumhohe Fenster belichtet. Die davor liegende zweite Raumschicht sichert die gewünschte Privatsphäre. Gleichzeitig gelingt es ihr, dem massigen Baukörper eine leichte Struktur zu geben: Die brüstungshohen Gläser sind in verschiedenen Winkeln zur Vertikalen und Horizontalen angebracht. Ihre Oberflächen sind zudem unterschiedlich behandelt, was ein Spiel mit Farbe und Licht entstehen lässt. Je nach Wetterlage erscheinen die Gläser fast schwarz, dann wieder spiegeln sich die umgebenden Bäume oder der Himmel darin. Die Assoziationen an einen pulsierenden Organismus, die dabei entstehen, sind von den Architekten beabsichtigt; so sollen die Funktion des Gebäudes bildhaft repräsentiert werden. Gleichzeitig ist diese zweite, semitransparente Schicht Sonnen- und Wetterschutz und ermöglicht einen von den Zimmern unabhängigen Gebäudeunterhalt.

Die Abmessung gleicht derjenigen eines kompakten Quaders; sie erlaubt, gemäss Vorgabe im Architekturwettbewerb pro Geschoss zwei Pflegestationen anzuordnen. Jeweils zwei Schichten mit Bettenzimmern sind gegen Osten respektive Westen orientiert. In der Tiefe des Grundrisses liegen fünf Betonkerne, die Dienst- und andere Stationsräume respektive Aufzugsschächte aufnehmen können. Die Multi-Tower-Lifte sorgen dafür, dass die Bettenzentrale jeweils gebrauchte Spitalbetten entgegennehmen und neu bereitstellen kann. Die limitierte Geschosshöhe von 3.21 m spiegelt noch die ursprüngliche Absicht wider, das neue Bettenhaus an das bestehende Hauptgebäude anzudocken. Die Passerellen sind im Ursprungsentwurf eingeplant; die Realisierung dieses Annexbaus wurde aber aufgeschoben. Der bauliche Anschluss ist als Knacknuss im Neubauprojekt geblieben. Dass der Deckenbereich somit nur beschränkten Platz für die Gebäudetechnik bieten kann, erhöhte den Koordinationsbedarf: Zum einen mussten die hohen Sicherheitsanforderungen entlang der Flucht- und Rettungswege eingehalten werden, zum anderen galt es Reserven für Nachinstallationen und den flexiblen Umgang mit späteren Nutzungsänderungen einzuplanen.

Innere Ausblicke

Der Hauptzugang zum Bettenhaus befindet sich an der Westfassade und war ursprünglich als gemeinsame Eingangshalle mit dem bestehenden Hauptgebäude geplant. Hier und im Bereich des Personalrestaurants, das im natürlich belichteten ­Untergeschoss auf der Ostseite mit schönem Ausblick Richtung Stadt liegt, lehnt sich die Material- und Farbwahl an den bisherigen Eingangsbereich an: Weisse Natursteinplatten und ein rauer Parkettboden dominieren das Eintrittsbild. Der dabei entstehende Raumeindruck bildet einen Kontrast zu demjenigen in den Bettengeschossen. In den unterirdischen Etagen unter dem Personalrestaurant und der Küche sind die Warenanlieferung, das Zentrallager, die Wäscheaufbereitung sowie ein Teil der Gebäude- und Versorgungstechnik untergebracht (vgl. «Die Blut- und Nervenbahnen des Spitals»). Ebenfalls unterirdisch liegt die Energiezentrale, wovon einzig der Kamin seitlich zum Bettenhaus versetzt sichtbar ist. Der frei stehende Turm ist mit naturbelassenen Schiefertafeln ummantelt und erinnert an eine aufsteigende Rauchfahne. Materialisierung und Form nehmen gestalterische Rücksicht auf die bewohnte Umgebung.

Den westlichen Eingang zum Bettenhaus se­kundiert, ebenfalls ebenerdig, die Notfallstation mit direktem Zugang zu den Operationssälen im Behandlungstrakt. Die Haustechnik ist hingegen im Dachgeschoss untergebracht; das Dach selbst dient als Helikopterlandeplatz. Wichtige Aspekte für die innere Struktur des Hauses waren laut Architekten die einfache Orientierung im Innern und die visuelle Durchlässigkeit nach aussen. Die Treppenhäuser sind daher direkt an der Fassade und nicht in der Erschliessungsschicht platziert. Durch die grossen Fensterflächen fällt viel natürliches Licht. Rote Treppenläufe und in die Decken eingelassene Leuchtkörper belassen es bei einer schlichten und sorgfältigen gestalterischen Wirkung. Die Lage der Bettenzimmer an Ost- und Westfassade sowie der mittig angeordneten Gebäudekerne ergibt ein abwechslungsreiches Raumgefüge, wobei sich die dazwischen liegenden Korridore teilweise bis an die Glasfassade ziehen. So bieten sich Patienten, Gästen und dem Pflegepersonal immer wieder schöne Ausblicke ins Freie und auf die Stadt.

Nach Baubeginn wurde beschlossen, das Bettengeschoss I in eine Tagesklinik umzuwandeln. Damit wurde bewiesen, wie flexibel das ursprüngliche Grundrisskonzept ist. Auf diesem Geschoss, in der Kinderstation und den beiden obersten Etagen ergänzen mehrere Kunst-und-Bau-Interventionen den gastfreundlichen Raumeindruck.

Räumliche Transparenz

Insgesamt lebt die innere Struktur der Bettengeschosse von einer hohen räumlichen Transparenz, einer gezielten Tageslichtführung und einem sorg­fältigen Material- und Farbeinsatz. Den Architekten ging es darum, eine behagliche Raumsituation mit vielfältigen Eindrücken zu schaffen. Die Korridore erinnern denn auch eher an ein Hotel als an einen Spital­betrieb. Die Gebäudekerne sind in sorgfältig verarbeitetem Sichtbeton mit vertikaler Brettstruktur und stark abgerundeten Ecken ausgeführt, was Robustheit vermittelt. Kunstharzplatten in verschiedenen Holzfarbdekors verkleiden die Längswände der Korridore. Sie lassen sich einfach ersetzen und erleichtern so den Unterhalt.

Der Bodenbelag aus Li­noleum in gelblichen Farbtönen reagiert durch eine unterschiedliche Färbung auf die Bereiche, in die natürliches Licht einfällt. Ebenso wie die Deckenpaneele, die in den Querkorridoren Richtung und Farbe wechseln. Zusätzlich sind die Elemente in der Höhe zuein­ander versetzt angeordnet und verstärken so die räumliche Zonierung der langen Korridore. Insgesamt entsteht ein in sich stimmiger Raumeindruck in abgestuften Beige-, Braun- und Gelbtönen.

Zimmer mit Hotelcharakter

Auch bei der Gestaltung der Zimmer haben sich die Architekten von Hotelarchitektur leiten lassen: Durch ihre Raumproportionen und die Wahl der Materialien strahlen die Zimmer Behaglichkeit und Geborgenheit aus – das soll den Genesungsprozess unterstützen. Bis zum Boden reichende Fenster ermöglichen Patientinnen und Patienten eine gute Sicht auf die Stadt oder den Uetliberg. Die expo­nierte Lage des Triemli-Bettenhauses wird so zum Markenzeichen jedes einzelnen Zimmers. Eine überbreite Trägerschicht aus Sichtbeton im Bereich der Fassade zoniert den Raum und schafft Nischen, in denen ein Sitzplatz mit kleinem Tisch als Rückzugsort für Patienten dient. Bei den Oberflächen der ­Bettenzimmer dominieren ebenfalls warme Farbtöne. Laut Architekten war das speziell angefertigte Modell eines Bettenzimmers im Massstab 1:1 äusserst hilfreich, um gemeinsam mit den Beteiligten über Materialisierung, Unterhalt und andere Auswahl­aspekte entscheiden zu können.

Der Linoleumbelag des Bodens in warmem Gelb-Orange mit eingeschossenem Braun wird an der Wand hinter den Betten bis auf halbe Höhe hochgezogen und unterstützt so eine Geborgenheit vermittelnde Raumwirkung. Die mit hellem Naturlehm verputzte Decke fungiert als Kühl- und Heizdecke in einem. 2005 noch eine Pionierlösung im Bereich des nachhaltigen Bauens, ist dies mittlerweile Standard. Keramische Platten in dezentem Beige ergänzen das Inte­rieur. Möbel und Einbauten in den Bettenzimmern sind derweil im hellen Orange-Rot mit Perlmuttschimmer gehalten. Auf Spiegel im Zimmer wurde verzichtet, weil die Nasszellen bereits damit ausgerüstet sind. Die Lehmdecke besitzt ihrerseits eine räumliche Struktur. In den einzelnen Betten­zimmern vermitteln unterschiedliche Farben und Oberflächenqualitäten jeweils eine angenehme und differenzierende Stimmung.

Pionier für nachhaltiges Bauen

Neben den städtebaulichen und gestalterischen Ansprüchen an den Neubau des Bettenhauses ­standen 2004 auch Aspekte der Nachhaltigkeit im Vordergrund. Was zehn Jahre nach Planungsbeginn teilweise bereits als selbstverständlich erscheint, hatte damals Pioniercharakter. Denn die Ziele der 2000-Watt-Gesellschaft sind erst seit dem 30. November 2008 in der Gemeindeordnung der Stadt Zürich verankert. Für den Neubau wurde aber bereits 2004 – basierend auf dem Siegerkonzept aus dem vorangegangenen Studienauftrag «Gebäudetechnik, Energie, Nachhaltigkeit» – von der Vision der 2000-Watt-Gesellschaft gesprochen.

Als Anforderungen standen – neben Vorgaben zu den technischen Konzepten – Minergie-P als anzustrebender Standard und eine ökologische Materialisierung mit niedrigem Erstellungsenergiebedarf im Vordergrund. Laut Annick Lalive d’Epinay, Leiterin der Fachstelle für nachhaltiges Bauen, Amt für Hochbauten, gab es vereinzelte Aspekte, deren Potenzial im Vorfeld als zu positiv eingeschätzt wurde. So zeigte sich beispielsweise, dass sich der hohe Glasanteil in der Fassade auf die graue Energie ungünstig auswirkt; und die gemäss Passivhausstandard erwünschten Wärmegewinne sind für eine Spital­nutzung ungeeignet. Im Allge­meinen aber habe
es sich ausgezahlt, technische und energetische ­Belange frühzeitig zu berücksichtigen.

Rückblickend findet Lalive d’Epinay, die Zeit habe das Projekt zwar eingeholt, aber nicht überholt. Der 2004 formulierte Anspruch, etwas zu planen, das auch bei der Eröffnung 2016 noch Gültigkeit habe bzw. innovativ wirke, sei gelungen. Der Prozess, um an diesen Punkt zu kommen, habe ­ein­deutig Pio­niercharakter gehabt: Sowohl der Minergie-P-­Standard als auch die Nachweismethode für den Standardzusatz «Eco» wurden parallel zum ­Planungsprozess entwickelt und verfeinert, und Erkenntnisse aus dem Triemli-Neubau konnten in die Definition der inzwischen markttauglichen Gebäudestandards einfliessen.

Auch der rechnerische Nachweis der 2000-Watt-Zielerreichung war Neuland, denn die Methodik des Effizienzpfads Energie (Merkblatt SIA 2040) oder das Nachweisverfahren für 2000-Watt-Areale standen damals noch nicht zur Verfügung. Erfreulicherweise verliefen Umsetzung und Einhaltung der Ecobau-Kriterien problemlos. Zum einen, weil bei einem Spitalbau das allgemeine Interesse gross ist, in gesundheitlicher Hinsicht unbedenkliche Materialien einzusetzen. Zum anderen sei dies ein Verdienst der Bauleitung, die bezüglich der Umsetzungskontrolle auf der Baustelle absolut professionell vorgegangen und Thema und Aufwand sehr ernst genommen habe. Ein Leuchtturm des nachhaltigen Bauens ­wurde das Bettenhaus gemäss Lalive d’Epinay vor allem aber auch, weil die erneuerte Energieversorgung das gesamte Areal einbezieht. Insbesondere für die Bereitstellung der Betriebsenergie sind die fast vollständige Umstellung auf erneuerbare Energiequellen und eine weitgehende lokale Erzeugung essenziell.

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