Äs­the­ti­sche Ef­fi­zi­enz

Konstruktiver Ingenieurbau

Ein schlichter Stadtbaustein in der Strassenrandbebauung des denkmalgeschützten Sticke­reiquartiers von St. Gallen: Das neue Bürogebäude knüpft auf modernisierte Weise an die Bautradition vor Ort an – architektonisch und tragwerkspezifisch.

Publikationsdatum
06-09-2018
Revision
06-09-2018

Viele der Stickereibauten, die während der Blüte der St. Galler Textilindustrie um 1910 entstanden, enthalten hinter den Natursteinfassaden einen Stahlbeton-Skelettbau. Er gewährleistete eine flexible Nutzung und grosse Fassadenöffnungen, die viel Licht in die Innenräume lassen. An der Unterstrasse knüpft nun der ­Bürobau des Architektenteams ­Corinna Menn / Mark Ammann und der Tragwerksplaner Pedrazzini Guidotti in moderner Weise an diese strukturelle Tradition des Orts an.

Faltung schafft Ästhetik und Effizienz

Im ­Siegerprojekt des 2013 ausgelobten Wettbewerbs bedienen sich die Ingenieure des vorgespannten Betons, des Rahmen- und des Falttragwerks sowie eines Stahlträgers als Rückgrat im Attikageschoss. Dabei komponieren sie die Trag­syste­me so mit- und untereinander, dass ein Gebäude entsteht, das geschossweise flexibel nutzbar ist, ein effizientes Tragwerk enthält und grosszügige und behagliche Arbeitsräume bietet.

Diese Räume sind geprägt von gros­sen Fenstern und dem Faltwerk, das sich sichtbar in den Stahlbetondecken des 1. UG bis zum und mit dem 3. OG zeigt. Es besteht aus dünnen Platten aus Spannbeton – 15 cm im Mittelfeld und linear zunehmend bis auf 23 cm bei den ­Auflagern entlang der Fassade – und ist mit Rippen versteift, sodass jede Falte als druck- bzw. zugbelasteter Gurt funktioniert. Mit sechs Falten pro Decke spannt es ohne Zwischen­abstützung über die gesamte Ge­bäudebreite von rund 13 m. Auf der Innenschale der Längsfassade liegt es auf. Die Faltung gibt dem schlanken Tragwerk die notwendige Stei­fig­keit – wird doch mit ihr eine statische Höhe von 66 cm erreicht.

Rahmentragwerk im Rhythmus der Fassade

Die Konstruktion birgt die Vorteile einer Flachdecke, ist aber wesentlich leichter. Das ermöglicht schliesslich die grosszügigen Fenster in der Längsfassade, obwohl diese das Deckenauflager ist. Beide Längsfassa­den funktionieren als Rahmenkonstruktion mit vorgesetzter, selbst­tragender Backsteinfas­sade. Letztere ermöglicht mit ihren strukturellen Öffnungen Lichteinfall und Lastabtrag zugleich – die Riegel­ fangen die Deckenlasten ab und leiten sie über die Pfeiler in den Baugrund ab. Dabei nimmt die Pfeilerbreite geschossweise nach oben ab und widerspiegelt den Kräftefluss.

An den Enden des knapp 40 m langen Gebäudes sind die aussteifenden Kerne hochgezogen. Sie tragen einen dreifeldrigen Stahlträger im Attikageschoss. Zurückversetzt können die vertikalen Kräfte hier nicht direkt auf die Falt­decke des 3. OG gestellt werden; zu hoch wäre die statische Be­lastung. Der Last­abtrag im Attikageschoss erfolgt ­deshalb um 90° gedreht in Längsrichtung des Gebäudes zu den flankierenden ­Kernen. Die innere Wand ist Druckauflager, und die äussere übernimmt Zugkräfte. Das Abspannen der Stahl­­trägerenden entlastet das Mittelfeld, wodurch die Ingenieure die statische Höhe des Trägers trotz der grossen Spannweite von 31.8 m reduzieren konnten. Mit relativ wenig Material schaffen sie im gesamten Haus offene und flexibel nutz­bare Grossräume.

Eine ausführlichere Version dieses Artikels ist im dreisprachigen Buch «Schweizer Ingenieurbaukunst 2017/2018» erschienen..

Schweizer Ingenieurbaukunst 2017/2018


Clementine Hegner-van Rooden et al.: Schweizer Ingenieur­baukunst – L’art des ingénieurs suisses – Opere di ingegneria svizzera – 2017/2018.
espazium – Der Verlag für Baukultur, Zürich 2018, 128 S., 21 × 29.7 cm, Softcover; deutsch, französisch, italienisch; zahlreiche farbige Pläne und Abbildungen,
ISBN 978-3-9523583-8-2; Fr. 49.–

Am Bau Beteiligte
 

Bauherrschaft
Asga Pensionskasse St. Gallen
 

Architektur
Corinna Menn, Chur / Zürich (Federführung) in Arbeitsgemeinschaft mit Mark Ammann, Zürich
 

Generalunternehmung
Dima & Partner, Glarus
 

Tragwerksplanung
Ingegneri Pedrazzini Guidotti, Lugano (Federführung) in Arbeits­gemeinschaft mit Borgogno Eggenberger, St. Gallen (Bauausführung)
 

HLKS-Planung, Bauphysik
IEP Ingenieure, St. Gallen
 

Elektroplanung
Bühler + Scherler, St. Gallen
 

Montagebau Stahl
Ernst Fischer, Romanshorn
 

Heizungs- und Lüftungsanlagen
Hälg & Co. Gebäudetechnik, St. Gallen
 

Erdsonden
Hastag, St. Gallen
 

Baukosten
12.5 Mio. Fr.


Bauzeit
Oktober 2015 bis Juli 2017


Fertigstellung
August 2017

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