Kom­ple­xe Räu­me am Steil­hang

Terrassenhaussiedlungen reloaded

Durch ihre exponierte Lage treten Terrassenhaussiedlungen massiv in Erscheinung und prägen das Landschaftsbild. Wie die schweizerischen Pioniersiedlungen vorführen, birgt dieser Bautyp – entgegen seinem schlechten Ruf – grosses räumliches Potenzial. Das macht diese Typologie in der Diskussion zur Verdichtung interessant.

Publikationsdatum
31-08-2017
Revision
01-09-2017

Die Gemeinde Ennetbaden plant, in ihrer Bau- und Nutzungsordnungsrevision in der Zone W2S fortan keine Terrassenhäuser mehr zuzulassen: Anstelle von gestapelten Häusern sollen zukünftig «körnige», bis zu viergeschossige Wohnbauten mit einer maximalen Fläche von 22 m × 22 m erstellt werden. Das neue Gesetz will Punktbebauungen fördern und vor grossflächigen Terrassenhausüberbauungen schützen. Denn Letztere liessen die ursprüngliche Topografie bis zur Unkenntlichkeit verschwinden, und ihre am Hang in Erscheinung tretenden Bauelemente wie Stützmauern, Lifttürme, Garagenfronten etc. beeinträchtigten das Ortsbild.1

Es kann durchaus sinnvoll sein, gewisse Orte für flächendeckende Terrassenhausbebauungen zu «sperren». Bevor diese Idee jedoch zum allgemeinen Konsens führt, dass eine Abschaffung einer der jüngsten Wohn­bau­typologien die anstehenden urbanistischen Herausforderungen löst, lohnt es sich, diesen Bautyp nochmals genauer unter die Lupe zu nehmen. Am Beispiel ge­lungener Terrassenhaussiedlungen aus der Pionierzeit lassen sich diejenigen Aspekte herausschälen, die für das räumliche und damit auch gesellschaftliche Gelingen des Typs wesentlich sind. Solange diese intelligent entwickelt werden, weisen Terrassenhausbebauungen gerade im Rahmen der aktuellen Verdichtungsfragen grosses Potenzial auf.

Entstehung eines Typs

Die Idee des Terrassenhauses als Wohnbautypologie am Hang wurde in der Schweiz Ende der 1950er-Jahre, Anfang der 1960er-Jahre entwickelt. Anlass dazu war die Frage, wie topografisch schwierige Südwest-Steilhänge – an denen in der Schweiz kein Mangel herrscht – sinnfällig bebaut werden könnten. In der Idee der Terrassenhaussiedlungen sahen die Pioniere einen ressourcenschonenden, ökonomischen Beitrag gegen die Zersiedelung der Landschaft. Gleichzeitig sollte es eine moderne und urbane Wohnform sein, die von ihrem kollektiven Impuls getragen war: Anstelle von Einfamilienhäusern suchte man nach neuen gemeinschaftlichen Siedlungsformen, die einen einheitlichen Bauwillen voraussetzten.

Die neue Bauform sollte sich nach aussen als geschlossene Gruppe manifestieren und die Ablesbarkeit der einzelnen Einheiten dem ­Gesamteindruck unterordnen. Zeigten die seit den 1930er-Jahren in Europa vereinzelt auftretenden Terrassenhausprototypen noch einzelne oder mehrere ­ frei stehende, terrassierte Wohnzeilen2, rückte man nun mehrere Zeilen dicht zusammen: Das Experimentierfeld Teppich­terrassenhausbebauung war eröffnet und wurde breit diskutiert.3

Logik des Hangs

Die simple, elementare Idee eines Terrassenhauses ist eine Wohnbaustruktur, die dem natürlichen Gefälle eines Hangs stufenartig folgt4, indem die Geschosse gegenseitig so übereinandergeschoben werden, dass sich Terrassen bilden. Vertikale Neigung und horizontaler Verlauf des Hangs stellen die kontextuellen Komponenten für das Terrassenhaus dar; dessen Proportio­nen und Abwicklung stehen in direktem Zusammenhang zur Topografie. Bereits Terrassenbau-Urformen der Kulturlandschaft wahren aus zumeist ökonomischen und arbeitstechnischen Gründen sehr exakt den Verlauf des Geländeprofils und versuchen die Vorteile der Hanglage (Besonnung) zu nutzen. Geschickt entwickelte Terrassenhaussiedlungen bringen den Hang nicht zum Verschwinden, sondern thematisieren, ja über­steigern ihn vielmehr.

Wie es Jörn Utzon in seinem Aufsatz «Platforms and plateaus»5 1962 formuliert hat, kann die menschliche Bearbeitung oder Adaptierung des Orts in etwas resultieren, das sogar stärker ist als die Natur selber. Die direkte und komplexe Einwirkung der Topografie auf Schnitt- und Grundrisskonzeption erfordert aber vom Entwerfenden ein sehr hohes räumliches Vorstellungsvermögen und kombinatorisches Geschick. Systematische Untersuchungen zum Bautyp aus den Pionierjahren bilden wertvolle Arbeitsgrundlagen, um objektive Zusammenhänge zwischen Topografie und Baustruktur zu erkennen und das Bewusstsein um den tief greifenden Eingriff in die Landschaft zu stärken.6

Synthese aus Hochbau, Tiefbau und Pflanzungen

Das Bauwerk Teppichterrassenhaussiedlung besteht aus der engsten Verschränkung von Hoch- und Tiefbauelementen; das sinnfällige Untereinanderarbeiten von Hochbaute und Kunstbaute wirkt radikal auf deren räumliches Gelingen ein. Wesentlich ist dafür auch das geschickte Einbinden der Pflanzungen: Das Zusammenspiel von Pflanzung und Architektur – sowohl im privaten Terrassenbereich als auch in den öffentlichen Bereichen – prägt den Gesamtcharakter massgeblich und muss entwerferisch von Anfang an als integraler Bestandteil behandelt werden.

Eine wildromantische Atmosphäre – Anklänge an das Bild der Hängenden Gärten der Semiramis –, wie sie die Siedlung Mühlehalde in Brugg zeigt, ist von Anfang an sorgfältig kalkuliert: Die hohen, raumbestimmenden Gewächse und die wild überwucherten Dächer sind ohne die dafür notwendigen baulichen Vorrichtungen undenkbar: Bankbeete, Brüstungsbeete oder die Ausbildung der gesamten Terrassenfläche als Trog, gitterartige Elemente für Vertikalgrün etc. sind architektonische Grundelemente der Gesamtanlage. Die private Freiterrasse wird dabei als Garten interpretiert, der, auf einen intensiven Nutzungsbereich reduziert, ebenfalls den Gestaltungsideen der Gesamtanlage verpflichtet und proaktiv geplant ist.

Kollektiv und privat

Dem System Teppichterrassenhaussiedlung ist die Aktivierung des Raums zwischen den Baukörpern immanent: Dieser wird zu einem städtischen Raum, durch dessen Netz von Treppen und Gassen mehr als nur der Zugang zur Wohnung gefunden wird. Zwischenmenschliche Beziehungen etablieren sich in Gefügen, wo Berührungspunkte mit den Nachbarn gefördert werden und ein gewisses Mass an Abhängigkeiten bewusst geschaffen wird.

Bauliche Verdichtungsfragen sind nicht primär ökonomischer Natur. Die Antworten dazu müssen vielmehr auf der Grundidee aufbauen, dass das Kollektiv die Basis einer funktionierenden Gesellschaft bildet und dass dieses Kollektiv nur durch einen starken öffentlichen Raum mit Aufenthaltsqualitäten gestärkt werden kann. Teppichterrassenhaussiedlungen bieten dazu ideale Bedingungen, voraus­gesetzt, das Ensemble ist gross genug, um einen Quartiermassstab zu bilden. Die Pioniersiedlungen ­zeigen, wie sich Gemeinschaftsanlagen wie Platz­terrassen, Wohnstrassen, Hallen- und Aussenschwimmbäder, Spielplätze etc. architektonisch meisterhaft in die Gesamtkonzeption integrieren lassen (vgl. z. B. Brüggliacher, Oberrohrdorf).

Die Qualität einer Siedlung hängt wesentlich davon ab, inwiefern Zeilentypen so gruppiert werden können, dass übergeordnete, austarierte Raumfolgen und Raumgruppen entstehen. Ist dies in der Ebene oder am flachen Hang (vgl. z. B. Siedlung Halen) schon komplex, wird es zu einer echten intellektuellen Herausforderung, wenn es darum geht, derartige Strukturen für einen Steilhang zu entwerfen und diese mit den äusseren und inneren Erschliessungswegen, Fahr- und Fussgängerwegen sowie den mechanischen Fördereinrichtungen clever zu überlagern.

Gleichzeitig zeichnet sich eine funktionierende Siedlungsstruktur durch Bereiche aus, die absolut privat sind. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf dem Eingangsbereich und den Gartenterrassen. Während z. B. ein Vorgarten/Vorhof die ­Ankunft individualisieren kann, müssen bei den Terrassen architektonische Mittel für den Einsichtsschutz vor allem von oben – das Dach der tiefer liegenden ­Wohnung dient ja jeweils der darüber liegenden ­Wohnung als Terrasse – gefunden werden. Hier bieten sich vorkragende, bepflanzte Brüstungen oder Dach­vorsprünge an: sie lassen eine Art Loggiasituationfür die untere Wohnung entstehen, die das Gefühl von wirklicher Privatheit vermittelt – Glasbrüstungen können dies nicht leisten.

Körperlichkeit

Wie jede Form von Hangbebauung treten Terrassenhäuser durch ihre exponierten Lagen von weit her und dominant in Erscheinung. Ob ihnen ein Sinn für Gliederung, Rhythmus, Proportionen und Massstäblichkeit aneignet, ist deshalb in ihrer Körperlichkeit empfindlich wahrnehmbar. Der Ausdruck jeder Architektur hängt stark davon ab, inwieweit der Baukörper mit dem ihn umgebenden Aussenraum verknüpft ist: In welcher Art sich ein Bau sowohl vertikal als auch horizontal mit seinem Umraum verzahnt, ist für seine Körperlichkeit – seine optische Greifbarkeit – entscheidend.

Die aargauischen Pioniersiedlungen führen anschaulich vor, wie die am Hang aufsteigenden Volumen angenehm durch die feinräumliche Silhouettierung rhythmisiert werden: Nach aussen in Erscheinung ­tretende, überhöhte Wohnräume und Kamine dynamisieren die Blöcke – der Neigung des Terrains entgegengesetzt stossen die Baukörper mit aufbäumenden ­Gesten in die Vertikale vor. Zudem sind die Haustechnik­zentralen – u. a. aus funktionalen Überlegungen wie der Vermeidung von Immissionen bei den Terrassen – so angeordnet, dass sie einen pointierten oberen Abschluss der Wohnzeilen bilden: Die geschlossenen Baukörper sind optisches Gewicht und wirken wie eine Krönung des terrassierten Komplexes.

Schutz und Aussicht

Nebst der Variante, gekoppelte Blöcke horizontal zu versetzen, sind auch Staffelungen innerhalb des Blocks selber möglich. Die Terrasse läuft nicht über die ganze Länge des Gebäudes, sondern wird durch den vorspringenden Wohnzimmer-Baukörper abgefangen. Über Winkelgrundrisse lässt sich nicht nur die Plastizität der Baukörper steigern, sie sind auch loggia­artiges, schützendes Moment des privaten Aussenraums. Ihre Verklammerung ist die direkte Umsetzung des Ur­motivs von Deckung und Aussicht, Fern-Sehen und ­bergendem Gelände im Rücken: Das menschliche Bedürfnis, sich zu exponieren und geborgen zu sein, wird in eine Einstellung zusammengeführt.

In ihrer Widmung an Hans Ulrich Scherer schreiben die Herausgeber Lucius Burckhardt und Urs Beutler im Buch «Ter­rassenhäuser»: «Sie [die Art der Verankerung in der Landschaft, Red.] entwickelt sich aus der Spannung ­zwischen dem Berg, dem bergenden Grund, in den wir uns verkriechen können, und dem Blick in die freie Weite, symbolisiert durch die übermütige, im Leeren hängende Kanzel des Wohnraums. Scherer hatte ein feines Sensorium dafür, dass die ungeschützte Weite so peinlich sein kann wie die lastende Enge. So wies er jedem Raum ein Mass an Geborgenheit und Expo­nieren zu; und man spürt es an den Ausschnitten der Fenster, wie er das Wohngefühl mit den Kräften der Topographie zu steigern suchte.»7

Bezug zur Erde

Last, but not least sind es auch Materialfragen, die den Terrassenhaustyp heute meist zum Scheitern ­verurteilen. Die zeitgenössisch gängigen Billigkon­struktionen mit verputzter Aussenwärmedämmung oder auch hinterlüftete «Hüllenfassaden» sind fehl am Platz – an jeder Übergangsstelle zwischen Terrain und Bauwerk wird der Styropor und/oder die leichte Hülle schmerzlich entlarvt: Der Baukörper wird optisch labil, patiniert nicht und bleibt ohne Bezug zur Erde. Die kräftigen Beispiele aus der Pionierzeit zeigen alle Sichtbeton-, Natursteinmauerwerk oder Backsteinfassaden, also mineralische Materialien, die den Eindruck unter­stützen, die Bebauung wachse optisch aus dem Boden heraus, sei selber künstliche Natur.

Anmerkungen
1Aargauer Zeitung, 26. März 2017.
2 Alvar Aaltos Zeilenterrassenhaus aus der Siedlung Kauttua (1938–1940) gilt als Prototyp des Hangterrassenhauses.
3 Vgl. «Schöner Wohnen» 10/1966: Wie werden wir morgen leben? oder «werk» Oktober 1964, Terrassenhäuser.
4 In seinem Essay über Aaltos Terrassenhaus (sbz 1949/115/116) benennt Paul Bernoulli dieses sinnfälligerweise als «Treppenhaus».
5 Jörn Utzon, Platforms and Plateaus, Zodiac 10/1962.
6 Der Begriff des Körperlichen impliziert weder anthropomorphe Sympathie noch eine Welt weicher kontinuierlicher Übergänge. Körperlichkeit in einem architektonischen Sinn bedeutet vielmehr, dass ein Gebäude für das Auge greifbar wird und dass seine Masse genügend Kraft entwickeln kann, um den von aussen einwirkenden Kräften visuell zu widerstehen. Ein Gleichgewicht zwischen den Expansionskräften, die von innen kommen, und den Kompressionskräften von aussen, sorgt also dafür, dass eine Baugestalt Körperlichkeit entwickeln kann oder auch Straffheit und Elastizität. Diese alle sind allgemeine Eigenschaften, die wir vom menschlichen Körper her kennen.
7 Auszug aus: Lucius Burckhardt / Urs Beutler, Terrassenhäuser, werk-Buch 3 Verlag Werk, Winterthur 1969.


Auswahl an Literatur, die den Terrassenhaustyp systematisch zu erfassen sucht:

Derek Abbott/Kimball Pollit: Hill Housing – A Comparative Study, Granada, London 1980
Karlheinz Benkert, Terrassenhäuser am Hang. Grundlagen für Entwurf und Konstruktion, Deutsche Verlagsanstalt Stuttgart, Stuttgart 1974
Lucius Burckhardt/Urs Beutler: Terrrassenhäuser, werk-Buch 3, Winterthur 1969
Ot Hoffmann/Christoph Repenthin, Neue urbane Wohnformen. Gartenhofhäuser, Teppichsiedlungen, Terrassenhäuser, Ullstein Verlag, Berlin Frankfurt Wien 1966
L‘architecture d‘aujourd‘hui Nr. 121/1965
Walter Meyer-Bohe: Neue Wohnformen, Tübingen 1970
Österreichisches Institut für Bauforschung: Das Terrassenhaus, Eigenverlag österreichisches Institut für Bauforschung, Wien 1973
Christof Riccabona/Michael Wachberger: Terrassenhäuser, Callwey Verlag, München 1972

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