Der gu­te Ton in St. Gal­len

Akustische Optimierung der Ostschweizer Tonhalle

In der St. Galler Tonhalle verdarb die problematische Akustik bis 2009 manches Musikerlebnis. Seither verteilen Schalldiffraktoren an der Decke den Klangstrom und verschaffen allen im Saal ungetrübten Hörgenuss.

Data di pubblicazione
05-03-2014
Revision
18-10-2015

In der Blütezeit der St. Galler Stickereiindustrie um 1900 erstellte der Architekt Gottfried Julius Kunkler (1845–1923) im Auftrag eines privaten Trägervereins zwischen 1906 und 1909 die Tonhalle St. Gallen. Die Gebäudehülle im Stil eines französischen Gartenschlosses kaschiert eine damals hochmoderne Eisenbeton-Tragkonstruktion von Robert Maillart (1872–1940).

Trotz einigen Anpassungen und Erweiterungen ist die Bausubstanz, insbesondere die Tragkonstruktion, bis heute unverändert erhalten geblieben. Ihr heutiges äusseres und inneres Erscheinungsbild erhielt die Tonhalle bei der umfassenden Restaurierung und Modernisierung von 1990–1993, als auch ein Glas-Stahl-Anbau für ein Restaurant dazukam. 

Das Kreuz mit der Akustik

Klagen über die problematische Akustik zogen sich wie ein roter Faden durch die gesamte Geschichte der Tonhalle St. Gallen, und alle bisherigen Umbauten hatten nichts daran geändert. Das Hauptproblem war, vereinfacht gesehen, dass die Kuppel über der Bühne den Schall des Orchesters sehr ungleichmässig reflektierte und verteilte; das konnte auch zu extremer Fokussierung des Schalls im Bühnenbereich führen, sodass selbst gesundheitliche Schäden für die Musiker nicht auszuschliessen waren – während gleichzeitig die Musik im Saal schlecht wahrnehmbar war.

Nach einigen Voruntersuchungen beschloss schliesslich das Hochbauamt der Stadt St. Gallen als Bauherr eine grundlegende akustische Sanierung der Tonhalle im Bühnenbereich und schrieb im April 2009 einen entsprechenden Studienauftrag auf Einladung aus. Die eingeladenen fünf Architekturbüros wurden verpflichtet, für ihre Arbeit bereits im Projektstadium namhafte Akustiker beizuziehen. 

Ein Schalldiffraktor als Lösung

Das Beurteilungsgremium empfahl einstimmig das Projekt des Planungsteams Bosshard Vaquer Architekten in Zusammenarbeit mit dem spanischen Akustiker Higini Arau zur Weiterbearbeitung und Ausführung. Viele Akustiker äusserten aber Zweifel an der Wirksamkeit des von Arau vorgeschlagenen Schalldiffraktors, sodass die Ausführung des Projekts fraglich schien. 

Bisher war erst ein Schalldiffraktor nach Araus Vorstellungen realisiert worden: zwei Jahre zuvor in einem Probesaal des «Gran Teatre del Liceu» in Barcelona. Als Entscheidungshilfe reiste die Bauherrschaft nach Barcelona, um die Wirkung dieser Installation vor Ort zu begutachten. Mit dabei waren auch drei erfahrene Orchestermusiker mit ihren Instrumenten. 

Diese Reise war der Wendepunkt im Projektablauf: Nur wenige Minuten brauchten die drei Musikprofis zu spielen, und es wurde klar, dass Araus Konzept die Lösung war. Der Vergleich mit einem identischen Saal ohne Diffraktor bestätigte diesen Befund: Der Saal mit dem Diffraktor erscheint akustisch doppelt so gross. Dieser in St. Gallen dann tatsächlich auch eintretende Effekt beruht auf der Verdoppelung der Nachhallzeit – auch das Volumen der Tonhalle schien nach dem Einbau des Diffraktors verdoppelt. 

Vergoldete Platten gegen Schall

In der Folge entstand eine eindrückliche und doch luftig und filigran wirkende Konstruktion am gewölbten Himmel über der Bühne: eine schwebende, dezent strahlende goldene Wolke. Dabei wird die akustische und visuelle Wirkung mit einfachen Mitteln, ohne hochgezüchtete Hightechmaterialien erzielt: Als eigentliche Schalldiffraktoren fungieren 96 periodisch in einem orthogonalen Raster angeordnete, einzeln vertikal aufgehängte rechteckige Platten aus handelsüblichem Brettschichtholz. Ihre Funktion ist nicht die Dämpfung, sondern die Reflexion, Umlenkung und Verteilung des Schalls. Dass die Holzplatten rundum mit Blattgold beschichtet sind, hat ästhetische Gründe – die durchaus zu einem ansprechenden visuellen Raumeindruck geführt haben – und ist für die Akustik nicht relevant. 

Die goldenen Holzplatten werden jeweils in Vierergruppen von einer Mobile-artigen, aufgehängten Tragkonstruktion aus Flachstählen mit drei Ebenen gehalten. An der unteren Ebene sind auf Höhe der Diffusorplatten auch die neuen Leuchten angebracht. Das gesamte «Mobile» ist, auch mithilfe einiger Gewichte auf den Trägern, sorgfältig austariert und stablilisert. Die über zwei Tonnen wiegende Wolke ist mit drei Zugstäben an einem Fachwerkquerträger der ursprünglichen Dachkonstruktion aufgehängt. Einer der Fachwerkträger der Dachkonstruktion über der Bühne ist doppelt ausgeführt; im Zwischenraum dieses Doppelträgers wurde ursprünglich der schwere Vorhang aufgezogen. An diesem doppelten Träger ist der Diffraktor abgehängt. Die statische Überprüfung zeigte, dass seine Tragsicherheit dafür ausreicht. 

Flankierende Massnahmen

Die allgemein geschätzte Verbesserung der Raumakustik ist aber nicht ausschliesslich dem Einbau des Diffraktors zuzuschreiben. Flankierende Massnahmen tragen einiges zum Gesamtresultat bei, darunter vor allem der Umbau der Bühne, die jetzt generell niedriger ist. Bei baulichen Massnahmen in diesem Bereich musste auch beachtet werden, dass die Bühne auf einem Stahlbeton-Kuppelgewölbe steht, das wie die übrigen Tragkonstruktionen von Robert Maillart entworfen wurde und nicht verändert werden durfte. Unter diesem Gewölbe ist nach wie vor ein stimmungsvoller kleiner Saal eingerichtet, der separat oder als Erweiterung des Hauptsaals genutzt werden kann. 

Als weitere Massnahmen zur Optimierung der Konzertakustik sind die ursprünglich glatten Rück- und Seitenwände der Bühne mit Holzverkleidungen versehen worden, die dank ihrer unregelmässigen Geometrie als Diffusoren wirken und Flatterechos verhindern. Ebenfalls zum Zweck der Schallwellendiffusion erhielt die zuvor ungesicherte Empore hinter der Bühne eine massive, unregelmässig zusammengesetzte Holzbalustrade.

Der Diffraktor funktioniert wirklich

Der Aufwand für den Einbau des Diffraktors hat sich offenbar gelohnt: Endlich können die Musiker jetzt ungestört musizieren, hören, wie die anderen Orchestermitglieder spielen, und sie müssen ihr Gehör nicht mehr aufs Spiel setzen. Und für das Konzertpublikum im Saal klingt es einfach besser, an jedem Platz, bei jeder Musik. Oder, wie es Projektleiter Andreas Schneiter formuliert: «Eine Flöte beispielsweise klingt jetzt noch ‹flötiger›.» 

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