Ora et la­bo­ra – neu de­fi­niert

Bauprojekt Markus, Bern; Einstufiger Studienauftrag im selektiven Verfahren

Die Ideen des Studienauftrags zum Gelände der Markusgemeinde in Bern unterstützen einen nötig gewordenen Kultur- und Bauprozess. Mit ihrem Vertrauen in das denkmalgeschützte Ensemble, das sie eher befreien als bestücken, liefern Althaus Architekten + einen überzeugenden Ansatz.

Data di pubblicazione
09-02-2022

Die Kirchen verändern sich. Während ihre Funktion als Treffpunkt für Gläubige immer mehr in den Hintergrund tritt, wächst die Bedeutung der angegliederten sozialen Dienste. Das Programm wird vielfältiger und übernimmt eine wichtige Position zur Pflege der Kommunikation im Quartier. Damit die Angebote bei den Menschen ankommen, müssen sie im Stadtbild sichtbar sein.

Um diese Entwicklung zu steuern und hinsichtlich der inhaltlichen Anforderungen aus den Gemeinden und den baulichen Nachhaltigkeitszielen zu koordinieren, erarbeitete der Grosse Kirchenrat der evangelisch-reformierten Gesamtkirchgemeinde Bern eine Liegenschaftsstrategie 2025. Die Gesamtkirchgemeinde Bern umfasst zwölf einzelne Gemeinden, von denen einzelne Standorte fusionieren sollen. Auch ein konfessionsübergreifender Zusammenschluss zu einer ökumenischen Kirchengemeinde ist im Gespräch. Bereits jetzt tun sich die Gemeinden Johannes und Markus auf dem Gelände der Markusgemeinde zusammen. Um die denkmalgeschützte Anlage dafür tauglich zu machen, hat die Gemeinde einen Studienauftrag ausgeschrieben, aus dem das Büro Althaus Architekten + als Gewinner hervorging.

Das historische Ensemble aus schlichter Hallenkirche mit solitärem Turm, Pfarrhaus und Gemeindehaus liegt luftig gestreut in einem Park, umgeben von dichter Wohnbebauung. Der integrale Denkmalschutz, dem der Komplex unterliegt, erstreckt sich auch auf die Aussenanlagen. Bei «Nach­weis einer Notwendigkeit» sind hier aber Veränderungen möglich. Die Sanierung des Kindergartens und der Primarschule des benachbarten Schulgeländes ist bereits im Gang. Baulich galt es, die Zuordnung der Raumnutzungen neu zu sortieren, zu überlagern und vorsichtig zu ergänzen, ohne dabei den baukulturellen Wert des Ensembles zu schmälern.

Bau- und Kulturprozess

Bei der Prüfung der eingereichten Arbeiten spielte neben üblichen Aspekten wie Ertüchtigung und Anpassung der Gebäude auch die Erfüllung der Bauaufgabe «aus kirchlicher Sicht» eine Rolle. Es galt, die symbolische Wirkungskraft des Kirchengebäudes, das mit seiner Weite für eine übergeordnete Dimension steht, zu stärken. Bei den Interventionen soll die Auflösung der Grenzen zwischen religiösen und anderen Begegnungen, denen der Ort künftig Platz bieten soll, zum Ausdruck kommen.

Eine Schwierigkeit der Studie lag darin, dass der angestrebte «Kulturprozess» nur sehr diffus als eine Offenheit der Nutzungen umschrieben ist. Formuliert waren lediglich ein Wunsch nach Minderung der Schwellenangst sowie nach einem Angebot von zweckfreien Räumen ohne Konsum- oder Schaffenszwang. Mit einer beispielhaften Auffächerung von Varianten sollen die Entwürfe zur Präzisierung der Zukunftsvisionen beitragen.

Die Kirche als Bühne

Das Team um 3B Architekten setzt auf die Idee, die Besucher über eine Rampe zum Gemeindehaus zu lenken, von wo der Weg unter den bestehenden und ergänzten Laubengängen zur Kirche und zum Pfarr­haus führt. Die so geschaffene neue Erschliessung verändert die Gewichtung der Gebäude untereinander. Die zusammengedachte Gestalt von Architektur und Grünraum, die den ursprünglichen Entwurfsgedanken prägt, verliert an Bedeutung, und der selbstverständliche Wechsel zwischen innen und aussen wird geschmälert. Das wäre sowohl im Sinn des Denkmalschutzes als auch in Bezug auf die gewünschte Entgrenzung der Nutzungen ein schwieriger Ansatz.

Das prominent von der Kreuzung aus sichtbare Gemeindehaus ist als Büro vorgesehen, während das Bistro im Bereich hinter der Kirche angesiedelt wird. Auch diese Idee unterstützt die Öffnung der Kirche ins Quartier nicht. Um den Kirchenraum selbst möglichst neutral zu halten, wird er ausgeräumt und mit zwei Podesten versehen. Darüber spannt sich eine Struktur aus Stahlträgern, die jedwede Technik aufnehmen kann, zugleich aber wenig zu einer angenehmen Atmosphäre beiträgt. Der Gedanke, die Gebäude möglichst schonend zu behandeln und sowohl innen als auch aussen mit zugefügten Elementen einzufassen, ist grundsätzlich inter­essant, vermag aber in dieser Form nicht zu überzeugen.

Aufforderung zur Teilhabe

Auch dadarchitekten verlegen die Hauptanlaufstelle ins Gemeindehaus. Hier ist die Struktur zur Betreuung der Veranstaltungen in der Kirche verankert. Die Verteilung der Büroräume, die sich bis ins Untergeschoss erstrecken, soll eine Bewegung der Mitarbeitenden innerhalb und zwischen den Gebäuden provozieren und damit ihre Präsenz sichtbar machen. Das Gelände wird Richtung Kirche bis zum Pfarrhaus privater. Vom Seitenschiff der Kirche führt eine Reihe neuer Türen zum südlicheren Geländeteil. Der Jugendraum in der ehemaligen Sakristei, einem Verbindungsbau zwischen Kirche und Pfarrhaus, kann ein geschützter Ort für seelsorgerische Gespräche sein, durch die Öffnung zur Tellstrasse aber auch ins Quartier wirken. Schön ist die Betonung des hinteren Freiraums, der die angrenzenden Gebäude von Schule und Kindergarten integriert und ein Gegengewicht zum Platz vor der Kirche bildet. Das Planungsteam setzt auf eine Vielzahl einzelner Elemente im Innen- und Aussenraum in Form von Bänken, Brunnen oder Bars. Die damit möglichen Nutzungen möchte es im partizipativen Prozess mit den Bürgerinnen und Bürgern erproben und umsetzen. Ab­gesehen von einer Möblierung, die bereits da ist, bevor klar ist, ob sie gebraucht wird, dürfte es eine Herausforderung sein, die gemeinschaftlichen Prozesse so zu begleiten, dass der Schutz des Ensembles weiter Berücksichtigung ­findet.

Zwei neue Zentren

Der Arbeit von Stefan Roggo und Christoph Widmer Architekten ist eine fundierte Einschätzung des Bestands vorangestellt. Die daraus resultierende respektvolle Herangehensweise beschränkt sich auf wenige, gezielte Eingriffe. Das Gemeindehaus öffnet sich dem Publikum mit grosszügigen Räumen. Ein Bürobereich im Kopf des Gebäudes stört den Bewegungsfluss der Besuchenden nicht. Der Kirchenraum wird etwas entschlackt und durch wenige niedrige Möbel geordnet. Sein schwierig zu bespielender, weil abschüssiger Boden bleibt erhalten, nicht zuletzt wegen seiner stimmigen Gestaltung. Für Veranstaltungen lässt sich eine textile mobile Bühne aufstellen, die das dominante christliche Altarbild in den Hintergrund rückt – ein Problem, zu dem auch die anderen Studien keine befriedigende Lösung anbieten. Insgesamt zeigt der schonende und kluge Umgang mit dem Bestand, ergänzt durch einen heiteren Holzpavillon im südlichen Garten, eine schlüssige Haltung.

Die grosse Geste

Der Hinweis auf die bereits im Bestand geplante Mitbenutzung des Geländes durch die angrenzende Schule und den Kindergarten zeigt, dass das Team um Vécsey Schmidt Architekten den Eingriff sorgsam angeht. Der Bestand bleibt weitgehend unangetastet. Der Clou dieses Entwurfs ist ein mächtiger, vielseitig nutzbarer Holzkubus, der in das Kirchenschiff eingestellt wird und auch von der Empore aus zugänglich ist. Dafür muss der schöne Boden nivelliert werden – ein Wermutstropfen – und das Bestandsmobiliar ins Lager wandern. Das kompakte Element nimmt Bezug auf die Einbauten des Bestands und hebt die Filigranität des Betonbaus hervor. Zugleich grenzt es das Bistro im Eingangsbereich unter der Empore von der Halle ab, die dennoch gross genug erscheint.

Der Kubus ist innen und aussen begehbar, nimmt aber zum Beispiel auch Lagerräume auf. Seine abgestufte Seite zum Alter hin eignet sich als zusätzliche Sitzfläche für Darbietungen und trägt dem kleineren Kreis an Teilnehmenden bei Gottesdiensten Rechnung. Er funktioniert aber auch selbst als Bühne oder Kanzel. Indem der Entwurf gegenüber dem Bestand rücksichtsvoll und durch die Setzungen gleichzeitig identitätsstiftend wirkt, stellt er einen bemerkenswerten Ansatz dar, dessen Umsetzung Entschlossenheit eingefordert hätte. In früheren Arbeiten der Planenden finden sich herausragende Beispiele, in denen dies gelungen ist.

Freiraum als Basis

Das Gewinnerteam um Althaus Architekten + geht im Hinblick auf Radikalität noch einen Schritt weiter: Es vertraut darauf, dass die Qualitäten der Bauten auch im leeren Raum zum Tragen kommen und der inhaltlichen Öffnung einen festen Rahmen bieten. Die Planenden fügen dem gros­sen Kirchenschiff keine Einbauten hinzu, sondern entfernen die Bankreihen vollständig. Die Überdeckung des Bodens mit einer horizontalen Fläche stellt die Jury zu Recht infrage. Ansonsten wird die sakrale Atmosphäre des Raums nicht verdeckt, sondern steht für Umdeutungen im Rahmen neuer Nutzungen zur Disposition. Möbel zur Abgrenzung kleinerer Räume sind lediglich im Seitenschiff und im Foyer vorgesehen. Das Altarbild wird um einen Baum ergänzt, den schon die Er­bauer dort vorgesehen hatten. Ob dieser als symbolische Verbindung zu einer allgemein lebensbejahenden Botschaft ausreicht, muss sich zeigen.

Das Gemeindehaus erfährt einen stärkeren Umbau zugunsten fliessender Räume für das Bistro, das sich zu drei Seiten öffnet. Die dadurch entstehende multifunktionale Nutzbarkeit der Flächen im Erdgeschoss rechtfertigt jedoch den Aufwand. Südlich der Kirche schlägt das Planerteam den Rückbau des Verbindungsbaus zum Pfarrhaus vor, um Platz für eine überdachte Zulieferung zu schaffen. Zur Tellstrasse hin wird das Pfarrhaus, das als Büro dient, um einen Anbau für den Jugendraum mit Bandkeller ergänzt. Diese Umdeutung des Baukörpers verleiht dem Bereich zur Schulanlage eine neue Orientierung, die mit dem Anschluss zur Tellstrasse noch gestärkt wird. Das ganze Aussenraumkonzept von Ort AG für Landschaftsarchitektur sieht wenig Änderungen vor. Auch hier gilt das Prinzip «weniger ist mehr». Die Eingriffe konzentrieren sich auf eine bessere Vernetzung der Wege. Nach innen hin unterstreichen sie die Bedeutung der Eingangsbereiche, nach aussen die Öffnung zur Umgebung.

Die Jury lässt sich mutig auf den Entwurf ein, der für eine zurückhaltende Gestaltung der Ge­bäude und der Landschaft steht. Ordnende Eingriffe zugunsten klar gefasster, polyvalenter Freiräume sind seine grosse Qualität, die aber auch nach einer engmaschigen Kuratierung der zukünftigen Veranstaltungen verlangt. Eine Reihe von denkbaren Szenarien belegen die Interpretationsspielräume des Geländes. Die Stelle eines innovativen Pastors oder einer Pastorin ist bereits ausgeschrieben.

Jurybericht und Pläne auf competitions.espazium.ch

Empfehlung zur Weiterbearbeitung

Althaus Architekten +, Bern; Ort AG für ­Landschaftsarchitektur, Zürich; Epro Engineering, Gümligen

Weitere Teilnehmende

3B Architekten, Bern; Weber + Brönnimann, Bern; Enerplan, Ostermundigen

dadarchitekten, Bern; Hänggibasler Landschaftsarchitektur, Bern; Eicher + Pauli, Bern

Stefan Roggo und Christoph Widmer Architekten, Zürich; Peter Vogt Landschaftsarchitektur, Vaduz; Meierhans + Partner, Schwarzenbach; Raumanzug, Zürich

Vécsey Schmidt Architekten, Basel; Westpol Landschaftsarchitektur, Basel; Eicher + Pauli Liestal, Liestal

FachJury

Fritz Schär, Architekt, Bern; Sandra Grossenbacher, Architektin, Fachstelle für Denkmalpflege Stadt Bern; Marco Ryter, Architekt, Kirchgemeinderatspräsident Johannes, Bern; Elisabeth Boesch, Architektin, Zürich; Toni Weber, Landschaftsarchitekt (Ersatz), Solothurn

SachJury

Patrick Vogel, Architekt/Raumplaner, Bauherrenvertretung, Bern; Susanne Aeberhard, Buchhalterin, Vizepräsidentin Kirchgemeinderat, Bern; Markus Eugen Marbach, Fürsprecher, Mitglied Kleiner Kirchenrat ev.-ref. Gesamtkirchgemeinde Bern; Sonja Gerber, Pfarrerin (Ersatz), Vertreterin reformiertes Pfarrteam Johannes und Markus, Bern; Mario Marti, Rechtsanwalt (Ersatz), Mitglied Kleiner Kirchenrat ev.-ref. Gesamtkirchgemeinde Bern

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