Ex­tre­ma­larm aus dem Wet­ter­stu­dio

Das Halbdutzend ist voll: Der Weltklimarat präsentiert seinen sechsten Sachstandsbericht und erklärt die Extremwetter in Europa und Amerika für keine meteorologischen Zufälle. Die Gewalt der regionalen Sintfluten und Hitzewellen dürfte sogar zunehmen, sagen die neuesten Klimamodelle voraus.

Data di pubblicazione
10-08-2021

Das Drehbuch scheint geschrieben, was die Entwicklung des Klimawandels und dessen wissenschaftliche Aufarbeitung betrifft. Im November findet die nächste Weltklimakonferenz in Glasgow statt. Und damit die Politikerinnen und Politiker aus 216 Ländern ein gemeinsames Verständnis finden, wie das Weltklima zu schützen ist, präsentiert der Sachverständigenrat der Vereinten Nationen drei Monate vorher den neuesten Zustandsbericht.

Extreme Wetterereignisse wie Starkregen und Hitzewellen nehmen zu, sagt der Weltklimarat IPCC nun. Neben der Häufigkeit sei auch mit stärkeren Intensitäten zu rechnen, betonen die Autoren der jüngsten Weltklimaanalyse. Was auch als Kommentar zu den Alarmmeldungen dieses Sommers über Überschwemmungen und Waldbrände in Mittel- und Südeuropa zu verstehen ist. «Einige der jüngsten Hitzewellen sind auf menschliche Einflüsse zurückzuführen», bestätigt Sonia Seneviratne, Umweltphysikerin und Professorin an der ETH Zürich, als koordinierende IPCC-Leitautorin mit Themenfokus «Änderungen in Wetter- und Klimaextremen».

Der sechste Sachstandsbericht ist seit dieser Woche öffentlich. 234 Expertinnen und Experten aus 66 Ländern – darunter fünf Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der Schweiz – arbeiten darin das konsolidierte Wissen zum Klimawandel auf. Der Bericht aktualisiert insbesondere ein Resümee vor acht Jahren, wobei «viele Aussagen dank neuer Daten und besserer Prognosemodelle jetzt als gesichert zu betrachten sind», wurde an der Pressekonferenz betont.

50 % mehr CO2

Was inzwischen ebenfalls Gewissheit ist: Die Treibhausgase nehmen zu, und die Temperaturen steigen. In der letzten Berichtsperiode hat sich die durchschnittliche Konzentration von CO2 in der Atmosphäre um fast 5 % erhöht, diejenige von Methan ist 3.5 % und von Lachgas (N2O) um 2.5 % höher als 2013. «Der Bericht zeigt, dass sich inzwischen fast 50 % mehr Kohlendioxid in der Atmosphäre anreichert als zu Beginn der Industrialisierung», sagt Gian-Kasper Plattner von der Eidgenössischen Forschungsanstalt WSL und weiterer Leitautor des IPCC-Berichts.

Die globale Oberflächentemperatur stieg bis 2020 um durchschnittlich 1.1 °C im Vergleich zur vorindustriellen Zeit Mitte des 19. Jahrhunderts. Gemäss dem Klimaabkommen von Paris möchte die Weltgemeinschaft die Erwärmung allerdings bei 1.5 °C stoppen. Auch die Schweiz hat das Abkommen ratifiziert. Nach Ablehnung des CO2-Gesetzes diesen Sommer durch das Stimmvolk wird der Bundesrat jedoch ein alternatives Umsetzungskonzept vorschlagen müssen.

«Limite kaum noch erreichbar»

Ungutes verkündet inzwischen auch die Forschungs-Community: «Die 1.5 °C-Limite ist kaum noch erreichbar», warnt sie in der Medienmitteilung. Nur wenn der Kohlendioxidausstoss unmittelbar und stark sinke, bleibe das Ziel in Sichtweite. Die weltweiten Emissionen bis 2050 auf Netto-Null zu reduzieren bringt allerdings keine absolute Gewissheit. Die Wahrscheinlichkeit, dass die globale Erwärmung unter 1.6 °C beschränkt werden könne, betrage so 50 %. Bei 66 % liege die Wahrscheinlichkeit, dass sie unter 2 °C bleibt», ergänzt Erich Fischer, seinerseits ETH-Forscher und IPCC-Leitautor.

Auch so ist in den meisten Regionen dieses Planeten mit häufigeren und intensiveren Starkniederschlägen und Hitzewellen zu rechnen. «Das Ausmass wird ein bisher unbekanntes Niveau erreichen», so Fischer. «Zudem sind diejenigen Veränderungen im Klima- und Wettersystem, die wir heute schon feststellen, für Hunderte bis Tausende von Jahren unumkehrbar», ergänzt WSL-Forscher Plattner.

Weiter wie bisher ist eine noch schwerer vorstellbare Option: Das pessimistischste Emissionsszenario im IPCC-Bericht prognostiziert einen Anstieg der globalen Durchschnittstemperaturen ab 4.5 °C bis 5.7 °C. Dabei gelte: Jedes zusätzliche halbe Grad Celsius kurbelt die ökologischen Auswirkungen des Klimaeffekts an. Die Wetterextreme verursachen Dürren. Das Schmelzen der Arktis und des Permafrosts wird ebenso ungehindert fortgesetzt wie der Anstieg des Meeresspiegels.

Schweiz besonders betroffen

Was aber für das Binnenland Schweiz von besonderer Tragweite ist: Neben dem Gletscherschwund ist mit einer überdurchschnittlichen Zunahme der Temperaturen zu rechnen. Hierzu betont der IPCC-Bericht, dass sich Landmassen grundsätzlich stärker erwärmen und die erwarteten Wetterextreme regional stärker auftreten können. Für die einheimische Landwirtschaft werden sich die Standortbedingungen deutlich verschlechtern, sind die IPCC-Autoren aus der Schweiz überzeugt.

Die Wissenschaftler äussern sich auch zur Genauigkeit ihrer Prognosen: Natürliche Schwankungen können die Folgen des menschengemachten Treibhausgaseffekts nur mehr kurzfristig überlagern. «Die regionalen Auswirkungen auf Klima und Wetter können sich um ein bis zwei Jahrzehnte verschieben. Längerfristig werden die natürlichen Schwankungen die laufende Erwärmung aber nicht kompensieren», zieht Extremwetterforscher Fischer ein düsteres Fazit. Der Klimawandel schreibt am Drehbuch der Wetterprognosen künftig mit, was die Aussichten für die nächsten Generationen beträchtlich trübt.

Die Hauptaussagen des Berichts im Überblick.

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