Wie stark dre­ht sich der Wind?

Ersatz Genossenschaftssiedlung Goldacker, Zürich

Mit einem beschaulichen Streudorf will die Zürcher Baugenossenschaft Sonnengarten den Hang am Uetliberg verdichten. An einer Diskussion des Architekturforums Zürich wurde ihr vorgeworfen, ihr ­Siegerentwurf lasse es an urbaner und nachhaltiger Logik vermissen.

Data di pubblicazione
19-02-2020

Eine Wettbewerbsjury tagt in der Regel geheim, und ihr Urteil wird oft kommentarlos kommuniziert. Nur in Ausnahmefällen und unter dem Siegel der Verschwiegenheit sind Zuschauer bei einer Jurierung willkommen. Noch seltener müssen sich Juroren offener Kritik aussetzen. Eben dazu lud das Architekturforum Zürich Ende 2019 ein. Im Nachgang zum Projektwettbewerb «Stadtstück Triemli» in Zürich Albisrieden, den die Baugenossenschaft Sonnengarten gemeinsam mit dem Amt für Hochbauten der Stadt Zürich durchführte, nahm der Juryvorsitzende Jeremy Hoskyn Stellung zum Entscheid vor einem rege mitdiskutierenden Fachpublikum.

Das von Hoskyn vertretene Gremium aus 13 Fach- und Sachjuroren wählte unter 75 Eingaben aus, wie ein knapp zwei Hektar grosses Gelände am Fuss des Uetlibergs, in Sichtweite des Triemlispitals, zu transformieren und zu verdichten sei. Das Wohnangebot soll auf etwa 150 Einheiten verdoppelt und der angebotene Mix für Singles, Paare, Familien und Wohngemeinschaften verbessert werden.

Die Jury entschied sich für eine wenig kompakte Zersiedlungsform: 27 uniforme Punkthäuser mit Satteldach sollen mehrere abgetreppte Wohnzeilen des Zürcher Modernisten Karl Egender ersetzen. Das Siegerprojekt «Villy» verteilt neun Gruppen à drei Häuser über das ­gesamte Areal. Ein ausgelagertes Treppenhaus in Form einer Laubengangkonstruktion verbindet jedes Dreierpack und fasst einen gemeinsamen Innenhof. Die Häuser selbst sind klassisch bis eng geschnitten und vier bis fünf Etagen hoch, mit je einer Wohnung pro Geschoss.

Wie viel soziale Kontrolle?

Das Preisgericht gab sich «von der dichten und abwechslungsreichen, städtischen und wohnlichen Struktur» überzeugt. Zudem sei der «Gründerhaus-Typ» ein passender Vermittler für die gegensätzliche Nachbarschaft: im Osten ein modern-wuchtiger Blockrand, mit dem dieselbe Genossenschaft die Standorterneuerung vor wenigen Jahren begann, und im Westen die rund 60-jährige Pioniersiedlung mit Hangzeilen, die im Inventar der geschützten Ortsbilder der Schweiz verzeichnet sind.

Am Architekturforum war viel Kritik und einige Irritation über das Siegerprojekt zu vernehmen. Der Hauptvorwurf: Die Ersatzsiedlung entspreche einem ländlich-dörflichen Muster und ignoriere die bereits begonnene urbane Quartier­entwicklung. Die Häusergruppen kapselten sich zudem von der städtischen Umgebung ab und begünstigten ein Leben mit zu viel privater Kontrolle, so weitere Voten. Die Befürworter lobten dagegen den überschaubaren Massstab und befanden die lockere Streuform als dem Stadtrand angemessen. Dass die pastellfarbene Ästhetik des Entwurfs Bestand haben wird, glaubt jedoch selbst die Jury nicht. Sie empfahl die Weiterbearbeitung der Hausfassaden im Abschlussbericht.

An der Aussprache wurde vieles angerissen, ohne vertieft werden zu können. Dies war weniger den anwesenden Jury- und Genossenschaftsvertretern zuzuschreiben als dem unklaren Kritik­format. (Die eben­falls anwesenden Wettbewerbs­sieger schwiegen den ganzen Abend.) Unklar blieb zum Beispiel, um wie viel höher der soziale Charakter in diesem Auswahlverfahren gewichtet wurde als sonst ausschlaggebende Qualitäten hinsichtlich Städtebau und Architektur.

Grossformatiges «Unikat»

Der offene Projektwettbewerb wurde rege genutzt; doch die Ausgangslage richtig zu interpretieren schien vielen Teilnehmern nicht ganz einfach. Zum einen brachte die Genossenschaft selbst ein ungeordnetes Sammelsurium aus zeitgemässen bis wenig ausgereiften Nutzungs- und Alltagswünschen vor, basierend auf einer Partizipationsrunde mit den Betroffenen. Zum anderen wurde im Vorfeld kommuniziert, dass ein grossformatiger Ersatz unerwünscht war. Der vor acht Jahren realisierte Blockrand direkt nebenan soll ein «Unikat» bleiben, obwohl ihn die Bewohner schätzen. Hat sich der Wind für die Stadterneuerung also in Richtung kleinere Volumen und rurale Bauformen gedreht? So lautete die in der Diskussionsrunde mehrfach geäusserte Sorge.

Eine weitere Überraschung des Juryurteils war, wie knapp die Relevanz des Standortklimas im Vorfeld angesprochen wurde. Im Auswahlverfahren ergab sich daraus hingegen faktisch ein Killerkriterium: Weil die Vorprüfung der ausgewählten Zweitrundenentwürfe detaillierte Wind- und Temperaturprognosen beinhaltete, wurden alle Vorschläge aussortiert, die die kühlenden Hangwinde hätten stoppen können. Dadurch schieden auch all jene Entwürfe vorzeitig aus, die den Lärm der benachbarten Einfallstrasse etwa mit quer gestellten Riegelbauten abzuschirmen versuchten. Die Konsequenz daraus: Das Problem ist ungelöst; der Wettbewerbssieger wäre derzeit nur mit Ausnahmebewilligung realisierbar.

Erweiterung nicht erreicht

Die Aussprache im Architekturforum deckte weitere Unklarheiten des zweistufigen Auswahlprozederes auf. In der ersten Wertungsrunde wurden diejenigen zehn Eingaben ausgewählt, die das beste städtebauliche Muster entwarfen. Der Raum dafür war aber nicht nur das zu bebauende Areal, sondern auch zwei benachbarte Baufelder. Die Abschlussrunde konzentrierte die Entwurfsaufgabe dagegen wieder nur auf das eigentliche Baufeld und verlangte dafür nun die architektonischen Feinarbeit.

Jurypräsident Hoskyn erkannte zwar an, dass der Zusatzaufwand höher ausfiel als geschätzt. Allerdings blieb der Nutzen offensichtlich unter den Erwartungen: Keines der rangierten Projekte wurde für die städtebauliche Weiterbearbeitung auf den beiden übrigen Baufeldern ausgewählt.

Wie geht es nun weiter? Ein neuerlicher Projektwettbewerb ist wahrscheinlich; die Jury gab – als Synthese des jetzigen Auswahlverfahrens – sogar ein paar Empfehlungen mit auf den Weg. Zur Fortsetzung der Siedlungserneuerung sei eine Bebauung erwünscht, die die vertikale Sichtachse am Hang frei hält.

Testplanung ignoriert?

Die Kritik am Juryurteil trifft auf einen wirklich wunden Punkt: Die Idee dieser Synthese ist alles andere als neu, sondern war schon das Ergebnis der städtebaulichen Testplanung, die das Stadtbaudepartement zur Wettbewerbsvorbereitung ursprünglich durchführte, auch zur Abklärung denkmalschützerischer Aspekte. Warum das Siegerprojekt nun davon abweichen darf, erschliesst sich nicht: Weder dessen Streuform noch seine Hausgruppen fügen sich wegweisend oder zwingend in das abschüssige Gelände. Ebenso indifferent verhält sich die Haustypologie mit gestapelten Eingeschosswohnungen zum aktuellen Stand des nachhaltigen Bauens: Die hohe Fassadenabwicklung kostet mehr Ressourcen als ein kompakter Baukörper. Und ebenso wenig scheinen die Wohnhäuser, die weder in die Höhe noch in die Breite erweiterbar sind, einem ­flexiblen Nutzungsanspruch zu genügen. Damit erhöht sich das Risiko, dass ein solches Entwurfskonzept dereinst dasselbe kurzlebige Schicksal erleiden wird wie seine kurz vor dem Abbruch stehenden 60-jährigen Vorgängerbauten.

Hätte es bessere Entwürfe zur Auswahl gehabt? Die Jury meint nein; dies im durchaus nachvollziehbaren Bewusstsein, es nie allen recht machen zu können. Doch bei diesem Wettbewerb wurde offensichtlich ­unterschätzt, dass ein derart aus der urbanen Reihe tanzender Entscheid um einiges ausführlicher erklärt werden muss.

Weitere Visualisierungen und Pläne zu diesem Wettbewerb finden sich auf competitions.espazium.ch

Auszeichnungen

1. Rang / 1. Preis: «Villy»
ARGE StudioBoA & Amadeo Linke, Zürich; Gersbach Landschaftsarchitektur, Zürich; Schnetzer Puskas Ingenieure, Zürich; Raumanzug, Zürich; Pirmin Jung Schweiz, Thun; Righetti Partner Group, Zürich

2. Rang / 2. Preis: «Aniene»
Doppler Muhl Architekten, Erlenbach; MOFA urban landscape studio, Zürich; Dr. Lüchinger + Meyer Bauingenieure, Zürich; BWS Bauphysik, Winterthur; Sustainable Systems Solutions, Dübendorf

3. Rang / 3. Preis: «Like a Rolling Stone»
Pessina Architekten mit Stefano Murialdo, Architekt, Zürich; Rosenmayr Landschaftsarchitektur, Zürich; Amstein + Walthert, Zürich

4. Rang / 4. Preis: «Goldstück»
Roman Hutter Architektur, Luzern; BNP Landschaftsarchitekten, Zürich; Bless Hess, Luzern

Sachjury

Peter Seidler, Präsident Baugenossenschaft Sonnengarten (BGS); Georges Tobler, Geschäftsleitung BGS; Ueli Degen, Vorstand BGS; Thomas Heim, BGS; Sarah Küng, BGS; Christian Tobler, Präsident Quartierverein Albisrieden

Fachjury

Jeremy Hoskyn, (Vorsitz), Amt für Hochbauten Zürich; Cornelia Taiana, Amt für Städtebau Zürich; Ariane Widmer Pham, Architektin / Urbanistin, Lausanne; Ivana Vukoja, Architektin, Zürich; Meinrad Morger, Architekt, Basel; Urs Primas, Architekt, Zürich; Robin Winogrond, Landschaftsarchitektin / Urbanistin, Zürich

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