Spi­tal­ma­schi­ne oder Ge­sun­dung­shaus?

Gesamtleistungs­wettbewerb Neubau Kantonsspital Aarau

Das Kantonsspital Aarau platzt aus allen Nähten. Ein Neubau mit 500 Betten soll Abläufe vereinfachen und die Unterhaltskosten senken. Das Projekt «Dreiklang» ist funktional und gliedert das neue Gebäude mit Sockel und Bettenhaus in die Umgebung ein.

Data di pubblicazione
05-09-2019

In den letzten zehn Jahren ist sowohl die Zahl der stationären Aufenthalte wie auch die der ambulanten Behandlungen signifikant gestiegen. Mitgewachsen ist auch die Zahl der Mitarbeitenden, die sich seit 2004 um 50 % erhöht hat. Von den bestehenden 46 Bauten auf dem Areal des Kantonsspitals Aarau sollen 30 abgebrochen werden und die Kliniken und Institute in einem zentralen Neubau zusammengeführt werden. Ziel des Neubaus ist die Optimierung der Prozesse durch kurze Wege, durch die Nutzung von Synergien sowie durch Automati­sierung und Digitalisierung. Die Personenbewegungen ­sollen entflochten, ambulante und stationäre Prozesse klar getrennt werden. Das neue Gebäude soll flexi­bel sein und im Unterhalt weniger kosten. Angestrebt werden 500 Betten mit Gebäudekosten von 500 Mio. Franken. Mit der Verdichtung der verschiedenen Nutzungen auf dem Areal wächst die Grün­fläche um ein Viertel.

Um Lösungsansätze für diese anspruchsvolle Aufgabe zu finden, hat die Auftraggeberin einen zweistufigen Gesamtleistungswettbewerb im selektiven Verfahren durchgeführt. Von den elf Bewerbern hat das Preisgericht sechs Teams für den Wettbewerb selektioniert. Unter der Federführung einer General- bzw. Totalunternehmung erarbeiteten Architekturbüros und Spitalplaner ihre Beiträge. In der zweiten Stufe wurde das Teilnehmerfeld auf drei Teams reduziert und die Anonymität aufgehoben. Dies steht im Widerspruch zur Ordnung für Wettbewerbe des SIA, die keine Mischung von anonymen und nicht anonymen Verfahren zulässt.

In einem aufwendigen Prozess mit vier Workshops und vier Fragerunden hat das Preisgericht die drei verbliebenen Projekte auf Herz und Nieren geprüft und immer wieder überarbeiten lassen. Als Beurteilungskriterien wurden der Vergleichspreis und die Qualität der Lösung mit je 45 %, Projektorganisation/Qualitätsmanagement sowie das Realisierungskonzept mit je 5 % gewichtet. In der zweiten Stufe hat sich das Projekt durchgesetzt, das von Anfang an die beste DNA hatte. Die beiden übrigen Beiträge mussten offenbar ihr Konzept tiefgreifend anpassen und konnten auch nach der Beantwortung von über 500 Fragen die funktionalen Mängel und die Defizite in den betrieblichen Abläufen nur teilweise beheben. Offen bleibt daher, ob es zum aufwendigen zweistufigen Mischverfahren nicht auch schlankere Alternativen in Einklang mit den entsprechenden Ordnungen des SIA gegeben hätte.

Ambulatorien, Funktionsbereiche und Bettenhaus

Das Preisgericht empfiehlt «Dreiklang» des Teams ARGE Marti /BAM, Burckhardt + Partner und Wörner Traxler Richter zur Weiterbearbeitung. Das Projekt setzt sich aus Ambulatorien und Funktionsbereichen, die in einem ausladenden Sockel untergebracht sind, und einem hohen Bettentrakt zusammen. Mit 45 m ist es das höchste Gebäude der drei verbliebenen Projekte. Der viergeschossige Sockel nimmt Bezug auf die Umgebung, der darüber liegende Bettentrakt tritt zurück und reiht sich in die im Westen angedachten Hochhäuser im Torfeld Süd und im Torfeld Nord ein.

Die Fassade des Sockels etab­liert mit filigranen Stützen eine Monumentalordnung, die die vier Geschosse auf der ganzen Höhe verbindet. Gegen Westen zum Park weitet sich die Fassade mit einer gene­rösen Geste zu einem Portikus aus. Dort liegt auch der Haupteingang, über den man in einen viergeschossigen, innen liegenden Boulevard gelangt. Dieser verbindet den Haupt­eingang im Westen mit der Notaufnahme im Osten und separiert die Ambulatorien von den Funktionsbereichen. Lichthöfe und Lufträume gliedern den langen Boulevard und schaffen attraktive Aussenbezüge. Die Sichtbezüge von den Empfangsbereichen zu den Ambulatorien ­erleichtern die Orientierung. Im Erdgeschoss befinden sich die hochfrequentierten Bereiche der Inneren Medizin, der Notaufnahme und der Radiologie. Im ersten Obergeschoss sind die operativen Disziplinen, im zweiten Obergeschoss die weiteren interventionellen1 und konservativen Funktionen mit der Intensiv­pflege und im dritten Obergeschoss ist der Mutter-Kind-Bereich untergebracht. Dachterrassen als Er­weiterung der Lichthöfe schaffen willkommene Aussenräume für den Mutter-Kind-Bereich. Das Bettenhaus ist um einen grosszügigen Innenhof organisiert, der es erlaubt, die Patientenzimmer auch gegen innen zu orientieren. Die dreibündige Anlage mit Nebenräumen in der Mittelzone ist effizient und garantiert kurze Wege. Auf jedem Geschoss sind zwei Bettenstationen untergebracht. Alle Patientenzimmer sind mit 21 m² so dimensioniert, dass ein zweites Patientenbett platziert werden kann und dass Rooming-in mit einem Standardbett möglich ist.

Zwei markante Scheiben

Das Projekt des Teams Allreal, David Chipperfield Architects und IBG ­besteht aus zwei langen, parallel zueinander gesetzten achtgeschos­sigen Volumen. Die 180 und 160 m langen und 35 m hohen Scheiben bilden eine Barriere im Stadtgefüge. Im Westen öffnet sich ein gross­zügiger Grünraum, während auf der Rückseite ein eher unwirtlicher Erschlies­sungsbereich übrig bleibt. Der Beitrag stellt den Menschen in den ­Mittelpunkt und will «der Heilung Raum geben». Die Räume sollen über viel Tageslicht, gute Luft, eine hohe Behaglichkeit und eine gute Orientierung verfügen. Gleichzeitig soll der Betrieb effizient und wirtschaftlich sein. Leider weist die ­innere Organisation verschiedene Mängel auf. So sind die Ambulatorien auf verschiedenen Geschossen angeordnet, stationäre und ambulante Bereiche nicht sauber getrennt, einzelne Wege zu lang, einzelne Kreuzungspunkte ungünstig und hintereinandergeschaltete Kliniken schwer auffindbar. Das Raumprogramm ist nicht erfüllt. Einige ­Räume sind deutlich zu klein.

Zentrum der Anlage ist die doppelgeschossige Eingangshalle. Sie ist sowohl vom Vorplatz wie auch von der Notaufnahme her erschlossen. Die Bettenstationen erstrecken sich über fünf Geschosse und sind in der Mitte über zwei Querriegel miteinander verbunden. Diese Anlage führt zu langen Wegen und beeinträchtigt die stationsübergreifende Versorgung und Betreuung. Die einzelnen Trakte sind dreibündig organisiert, sie sind flexibel und erweiterbar. Die meisten Zimmer haben Ausblick auf die Landschaft und eine Loggia als geschützten ­Aussenraum. Sie sind gut proportioniert, lassen aber keine Möblierung mit einem zweiten Spitalbett oder ein Rooming-in zu. Auch hatte das Preisgericht bezüglich der Nutzung der Loggien schwerwiegende Bedenken, was den Schutz suizidgefährdeter Personen oder die Durchsetzung des Rauchverbots anbelangt.

Dominanter Solitär

Der Beitrag des Teams Implenia, Schneider + Schneider und IBG Aarau / HWP hat den kleinsten Fuss­abdruck und ist klar gegliedert. Über einem viergeschossigen Sockel schwebt der dreigeschossige Bettentrakt, der um ein Geschoss vom ­Sockel abgesetzt ist. Acht unterschiedlich tiefe Lichthöfe in West-Ost-Richtung und eine quer dazu verlaufende «Magistrale» im zweiten und dritten Obergeschoss strukturieren den Sockel. Die Bettenstationen sind um zwei grosse Lichthöfe organisiert. Die mehrheitlich zweibündige Anlage mit unterschiedlichen Zimmergrössen und uneinheitlichen Dispositionen der Stationen ist betrieblich nicht ideal. Der Wechsel des Rasters des Tragwerks im vierten Obergeschoss macht zwar Sinn, ist aber aufwendig. Das rundum achtstöckige Spital mit einer ­Gebäudehöhe von 34 m tritt trotz kleinem Fussabdruck sehr wuchtig und dominant auf.

Spitalmaschine

Im Spitalbau sind Funktionalität und optimale Betriebsabläufe es­senziell. Dazu gehören eine flexible Raum­aufteilung, kurze Wege, die Entflechtung der Personenströme sowie eine klare Trennung von ambulantem und stationärem Bereich. Gleichzeitig muss ein Spital ein Ambiente bieten, das den Heilungsprozess unterstützt und in dem sich Patienten wohlfühlen. Das Projekt «Dreiklang» vereint beide Voraussetzungen. Das neue Spital funktioniert sehr gut und ist effizient im Betrieb. Gleichzeitig schafft es eine attraktive Umgebung für Patienten und Mitarbeitende. Die klare Gliederung in Ambulatorien, Funktionsbereiche und Bettenhaus ist übersichtlich. Mit dem vier­geschossigen Sockel und dem zurückspringenden Bettenhaus gelingt die Einbettung in die bestehende Umgebung.

Anmerkungen
1 Die interventionelle Radiologie befasst sich mit bildgesteuerten Eingriffen. Mithilfe von Röntgen- oder Ultraschallgeräten steuert der interventionelle Radiologe millimeterdicke Instrumente (z. B. Katheter, Ballons, Fasszangen, Führungsdrähte) via Blutgefässe oder andere Leitstrukturen im Körper zum Ort der Erkrankung, um sie lokal zu behandeln. Diese Instrumente werden durch eine Hauteinstichstelle über einem Gefäss (z. B. Leiste) oder über dem zu behandelnden Organ (z. B. Niere) eingebracht (www.radiologie.usz.ch/fachwissen/interventionelle-radiologie/Seiten/default.aspx).

 

Weitere Pläne und Bilder finden Sie in der Rubrik Wettbewerbe.

Auszeichnungen

1. Rang / 1. Preis: «Dreiklang»
ARGE Marti / BAM, Bern; Burckhardt + Partner, Basel; Wörner Traxler Richter, Frankfurt
2. Rang / 2. Preis: «Fünftausendeins»
Allreal, Zürich; David Chipperfield Architects, Berlin; Itten + Brechbühl, Zürich; Lead Consultants, Zürich
3. Rang / 3. Preis: «Merlin»
Implenia, Dietlikon; Schneider + Schneider, Aarau; IBG Aarau / HWP, Stuttgart

FachJury

Fritz Schumacher, Architekt, Stadtplaner (Vorsitz); Roland Bautz, Ingenieur, Gesundheitsökonom; Prof. Hannelore Deubzer, Architektin; Jan Hlavica, Architekt, Stadtbaumeister Aarau; Yassir Osman, Architekt; Bruno Stoll, Architekt; Yves Stump, Architekt; Robin Winogrond, Landschafts­architekt

SachJury

Sergio Baumann, Leiter Betrieb/ Mitglied der Geschäftsleitung; Regula Jenzer-Bürcher, Verwaltungsrätin/ Vorsitzende Immo-Ausschuss KSA; Dr. med. Robert Rhiner, MPH CEO KSA; Nicole Sehringer, Leiterin Projekte und Prozesse KSA; Roland Tschudi, Verwaltungsrat KSA

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