«Am­mann mus­ste für sei­ne er­ste Brüc­ke käm­p­fen»

Die Konstruktionspläne der meisten Brücken, die die Skyline von ­Manhattan prägen, stammen vom Schweizer Ingenieur Othmar Ammann, der jung nach Amerika auswanderte. Filmregisseur Martin Witz hat ihn in ­«Gateways to New York» porträtiert.

Data di pubblicazione
08-04-2019

SIA: Herzliche Gratulation, Herr Witz! Sie haben den «Prix du public» der Solothurner Filmtage gewonnen. Hat Sie das überrascht?
Martin Witz: Ja, sehr! Ein Publikumspreis ist für uns Macher ein wertvoller Preis, weil er Ausdruck der Akzeptanz eines Films ist. Er wird zu einem grossen Teil über Emotionen gewonnen. Das ist bei Dokumentarfilmen zwar nicht unmöglich, aber selten.

Sie sind bei Recherchen für ein anderes Projekt auf Othmar Ammann gestossen. Was hat Sie an ihm fasziniert?
Ich bin einfach über die Figur gestolpert, natürlich wegen der grossen Brücken und weil er ein Schweizer war. Das Interesse hat laufend zugenommen, als ich begonnen habe zu recherchieren. Das Entdecken dieser beruflichen Laufbahn, dieser Konsequenz und Kapazität – handwerklich und als Ingenieur –, das hat mich zunehmend umgehauen. Wie er mit seinen Fähigkeiten sehr oft zur richtigen Zeit am richtigen Ort war. Wie er mit seinem Leben buchstäblich die ganze Moderne abbildet. Als er nach New York kam, gab es ja noch Rösslitrams, Rossbollen und dreckige Strassen. Als er 1965 starb, hatte er gerade die grösste Autobrücke der Welt gebaut, die Verrazzano-Narrows Bridge, doppelstöckig, zwölfspurig.

Ammann wirkt im Film sehr distanziert, zeigt wenig Gefühle. Haben Sie das bei den Recherchen zum Film auch so empfunden?
Es hat mehrere Herausforderungen beim Bauen dieses Films gegeben. Erstens, dass Othmar Ammann als Hauptfigur nicht mehr lebt. Zweitens ist er praktisch nie gefilmt worden. Und drittens: Wenn man etwas von ihm als Person aus den Recherchen herausfiltern konnte, kam eigentlich immer zum Ausdruck, dass er ein sehr korrekter, fast schon spröder Mann war. Das grosse Glück war, als ich entdeckte, dass der grosse Ammann-Nachlass an der ETH Zürich liegt. Unglaublich sorgfältig aufgearbeitet. In dem Nachlass habe ich hunderte von privaten und geschäftlichen Briefen entdeckt. Projektbeschriebe, Zeitungsartikel, Reden – der Mann musste kämpfen, insbesondere für seine erste Brücke, die George Washington Bridge. Dass in diesem Nachlass so viele tolle Original­texte vorhanden sind, hat diesen Film möglich gemacht und uns am Schneidetisch eigentlich gerettet. Ich sass sehr lang im Archiv und habe mir alles, was potenziell interessant war, rausgeschrieben und thematisch abgelegt. Und immer wenn wir bei der Konstruktion des Films an einem Punkt waren, wo wir dachten, hier wäre es gut, wenn der Chef reden würde, schaute ich nach, was ich – oder eben Ammann – zu diesem Thema notierte.

Es gibt zwei, drei Szenen, in denen Sie ihn von seiner verletzlichen Seite zeigen. So schrieb er seiner daheim gebliebenen Frau Lilly, nur dank ihrer Liebe sei es ihm möglich, so leicht und mutig durch die Welt zu wandern. Er hatte für das Projekt der George Washington Bridge seine Stelle im Ingenieurbüro bei Gustav Linden­thal gekündigt und somit kein Einkommen – obwohl er eine Familie ernähren musste. Steckt also tatsächlich hinter jedem erfolg­reichen Mann eine starke Frau?
Es klingt wie ein Klischee, war aber im Fall des Ehepaars Ammann schon so. Seine Frau war für ihn als Stärkung und als emotionale und intellektuelle Versicherung wichtig.

Sie haben in Ihrem Film einen Gegenpart zu Ammanns sachlicher Art mit den beiden Skywalkern Alex Mayo und Paul Deer. Sie sind amerikanische Ureinwohner, Mohawks, die zum Stamm der Irokesen gehören. Wie haben Sie die beiden aufgespürt?
Ich hatte das Bedürfnis, dieser dominierenden Ingenieurs­figur, die das Ganze denkt und führt, Arbeiter gegenüberzustellen, die seine Brücken gebaut haben.

Die beiden sind im hohen Alter noch äusserst spitzbübisch …
Ja. Und sie schenken dem Film diesen Arbeiterstolz und diese Leidenschaft. Ich bin auf die Suche nach Kanada gegangen, ohne zu wissen, ob ich noch jemanden aufstöbern würde, der auf einer der Ammann-Brücken gearbeitet hat. Plötzlich habe ich doch zwei gefunden. Den ersten nach langem Herumfragen, den zweiten eher per Zufall. Das Glück war, dass beide sehr charmante alte Herren sind und beide gern und sehr gut erzählen.

Ammann war bekannt für seine einfachen und schlanken Kon­struktionen. Ammann wörtlich: «Eine Hängebrücke ist ja nichts anderes als ein Wäscheseil, das man über zwei Pfosten legt, links und rechts befestigt und dann die Wäsche – also in diesem Fall die Fahrbahn – darunter hängt.» War er Ihrer Meinung nach Ästhet oder Pragmatiker?
Die Frage ist ein bisschen grösser als ich. Othmar Ammann ist ja als ästhetischer, der Effizienz, der Schlankheit und der Eleganz verpflichteter Ingenieur berühmt geworden. Wenn ich nun dieses Spannungsfeld zwischen konstruktiver Entwicklungsarbeit und den ästhetischen Kriterien in ein Verhältnis zu bringen versuche – und das ist ein Kernpunkt zu seinem Verständnis –, bin ich als Nicht-Ingenieur hoffnungslos überfordert. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, wie der frühe Ammann zu einem Teil der architektonischen Moderne wurde – fast unabsichtlich: Die Tatsache, dass die George Wa­shington Bridge heute so aussieht, nämlich unverkleidet, reduziert auf die Stahlkonstruktion, war ein Resultat der Wirtschaftskrise. Ein Sparentscheid. Und in dem Moment, als Le Corbusier öffentlich verkündete, das sei nicht nur die schönste Brücke der Welt, sondern auch das modernste und eleganteste Gebäude von ganz Manhattan, hatte Ammann freie Bahn, in seiner Art und Weise Brücken zu entwickeln.

Während Sie mit dem Film beschäftigt waren, ist die Morandi-­Brücke in Genua ein­gestürzt (vgl. TEC21 7–8/2019). Hat Sie das besonders erschüttert?
Das war selbstverständlich ein erschreckender Moment. Es hat aber auch meinen Respekt für Ammann grösser gemacht. Weil man als Laie das Gefühl hat – und ich hoffe, das bleibt auch in den nächsten hundert Jahren noch so –, dass seine Brücken einfach halten. Sie sind in den heiklen Positionen so gebaut, dass die Inspektoren und die Leute vom Unterhalt permanent drankommen und eingreifen können. Es gibt keine unsichtbare Korrosion, keine in Beton verhüllten wesentlichen Stellen. Alles ist zugänglich. Und so sagt man, dass diese Brücken theoretisch ein unendlich langes Leben haben. Vorausgesetzt, sie werden sorgfältig gewartet.

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