«Wir ver­ste­hen je­de ar­chi­tek­to­ni­sche Hand­lung als ku­ra­to­ri­schen Akt»

Mit seinem radikal naiven, grafischen Stil hat das junge portugiesische Architekturbüro fala internationale Bekanntheit erlangt. Seine Werke, die nun nach und nach umgesetzt werden, folgen einer klaren Strategie und zeigen eine stark an der Ästhetik der Collage orientierte Architektur, die sich dem Betrachter wechselweise als verblüffende Naivität oder traumhafte Poesie auftut.

Data di pubblicazione
26-10-2017
Revision
01-11-2017

espazium.ch: Die Bilder Ihres Architekturbüros haben sich in den sozialen Medien wie ein Lauffeuer verbreitet und Sie in kürzester Zeit bekannt gemacht. Es folgten Einladungen zu Gemeinschaftsausstellungen – etwa im Pavillon de l’Arsenal in Paris oder an der Chicago Architecture Biennial – oder zu prestigeträchtigen akademischen Veranstaltungen wie an der AA School in London. Auch Ihre Website kommt ohne Text aus und gleicht mit ihrem quadratischen Format stark einem Instagram-Account. Ist das Bild der Schlüssel zu Ihrem Erfolg?
Das nicht, aber es stimmt, das Bild spielt für uns bei der Produktion von Architektur eine zentrale Rolle. Wir sehen alle unsere Produktionen, egal ob Collagen im Vorprojekt, Fotos der fertigen Umsetzungen, Pläne, Schnitte und sogar Texte, als autonome Bilder, die alle auf derselben Ebene stehen und das gleiche Interesse verdienen. Wir verstehen jede architektonische Handlung als kuratorischen Akt. Unsere Website ist ein Werkzeug zur Reflexion, unser eigenes Online-Museum, das Tag und Nacht gratis zugänglich ist.

espazium.ch: In der Schweiz überbieten sich die Architekturbüros mit herausragenden digitalen Visualisierungen oder Fotos von akribisch genauen Modellen. Ihre Collagen hingegen sind schlicht und «naiv», sie zielen nicht auf Realismus ab und folgen damit einem eher internationalen Trend. Ist das eine Low-Cost-Strategie oder ein emanzipatorischer Akt?
Wenn nötig, fertigen wir auch digitale Visualisierungen oder Modelle an, sie stehen aber nicht im Zentrum unseres Prozesses. Das Streben nach Fotorealismus in der bildlichen Darstellung von Architektur scheint uns im besten Fall amüsant zu sein – und im schlechtesten eine Anbiederung an den Immobilienmarkt. Der Erfolg eines Projekts lässt sich ja vielleicht auch an den fantastischen Elementen messen, um die es die Realität bereichert. Mit den naiven Bildern versuchen wir, genau diese Veränderung zu erreichen. Eine Collage enthält nur das, was man bewusst hinzufügt. Sie hält einen Moment fest, in dem nur die räumlichen und architektonischen Vorstellungen zur Diskussion stehen, die uns gerade wichtig sind. Der Rest wird ausgeblendet, ohne dass das Bild dadurch inkohärent wird. Die Collage ist also gleichzeitig ein Bild, das für sich allein betrachtet werden kann, und ein strategisches Werkzeug für die Projektentwicklung.

espazium.ch: Selbst die Grundrisse, die Sie planen, scheinen ikonenhaft. Sie haben eine unverkennbare grafische Qualität, wirken wie Gemälde und nutzen eine redundante, leicht zu erschliessende Formensprache mit Kreisbogen, Treppen, Dreiecken usw. Sind sie eher auf eine Veröffentlichung oder auf die Nutzung ausgelegt?
Das schliesst an die vorhergehende Frage an. Ein Grundriss hat immer beide Dimensionen, und wir lehnen es ab, einer davon Priorität einzuräumen. Sobald eine davon die Oberhand gewinnt, geht das unserer Meinung nach auf Kosten des Projekts. Man lebt in einem quadratischen Raum anders als in einem rechteckigen, eine gebogene Wand hat nicht die gleiche Präsenz wie eine gerade. Gleichzeitig ist keine dieser Optionen an sich gut oder schlecht. Sie alle können mittelmässige oder qualitativ hochwertige Räume bilden. Ein Grundriss ist in jeder Hinsicht eine Zerlegung des Ganzen.

espazium.ch: Es ist erstaunlich, wie ähnlich die minimalistischen, nüchternen Fotos Ihrer umgesetzten Projekte den ursprünglichen Collagen sind. Wie übersetzen Sie das eine ins andere, und welche Erkenntnisse ziehen Sie daraus?
Die Bilder, die Sie ansprechen, sind Fotos von Objekten, die für kurze Zeit gemietet werden, also Projekte, deren Bauherren nicht die Nutzer im eigentlichen Sinn sind. Bei diesen Projekten haben wir häufig Gelegenheit, die Räume zu möblieren und so die Grenzen der Fiktion und der Rolle der Collage auszuloten. Wenn wir hingegen ein Projekt für Bauherren verwirklichen, die das Objekt langfristig nutzen, unterscheiden sich die Fotos der fertigen Räume deutlicher von den Darstellungen vor der Umsetzung. In diesem Fall läuft der Prozess nach etwas anderen Spielregeln, ist aber nicht weniger lehrreich für uns.

espazium.ch: Das Athener Büro Point Supreme sprach in einem Interview mit TRACÉS darüber, wie seine Architektur den Kontext der griechischen Wirtschaftskrise widerspiegelt. Wie stark sind Ihre Projekte in Lissabon und in Porto, wo fala seinen Sitz hat, verwurzelt?
Die grossen Städte Portugals erholen sich dank des Tourismus von der Krise. Dadurch sind die charakteristischen urbanen Strukturen der Stadtzentren plötzlich wieder attraktiv geworden. So stehen wir oft vor der Aufgabe, verlassene Gebäude wieder zum Leben zu erwecken, ohne die Fassade zu verändern. Die sich wiederholenden Programme, die extrem knappen Budgets und die grosse Ähnlichkeit der Bauten sind eine permanente Herausforderung, die unsere Architektur zwangsläufig prägt. Im Idealfall stehen unsere Projekte in diesem Kontext und funktionieren gleichzeitig unabhängig davon. Sie sollen eher Fragen aufwerfen als Antworten liefern.

espazium.ch: Welche Architekten haben Ihre Arbeit am stärksten beeinflusst?
Das sind wahrscheinlich Ito, Märkli, Shinohara, Asplund, Siza – wobei Sizas und in geringerem Masse auch Souto de Mouras Werke die portugiesische Architekturszene etwas paralysiert haben. In der Schweiz zum Beispiel hat in den letzten Jahrzehnten kein Architekt eine so eindeutige Schule begründet. Deshalb sind die exotischeren Einflüsse in unseren Augen kostbarer und stimulierender.

espazium.ch: In Portugal ist die wirtschaftliche Situation für Architekten schwierig. Viele sind deshalb ins Ausland abgewandert. Was hat Sie nach Aufenthalten in Japan und der Schweiz dazu bewegt, in Portugal ein Büro zu gründen, und wie läuft es für Sie?
Ein Grund war vielleicht, dass wir in Portugal einen grösseren Beitrag leisten können als in der Schweiz. Vielleicht schwimmen wir auch einfach gerne gegen den Strom. Sicher haben wir hier durch die vielen «ausgewanderten» Architekten einen grösseren Spielraum. Und die wirtschaftliche Situation scheint besser zu werden. Zurzeit sind wir mit rund einem Dutzend unterschiedlich grosser Projekte in der Umsetzung, was für ein Büro unserer Grösser gerade noch machbar ist.

espazium.ch: In Porto und Lissabon herrscht seit einigen Jahren ein Bauboom, von dem Sie profitieren konnten. Doch können Sie dem Druck auch noch Stand halten, wenn die portugiesische Immobilienblase platzt?
Keine Ahnung. Unser Beruf besteht darin, mit sich wandelnden Einschränkungen umzugehen. Wirtschaftsprognosen sind für uns uninteressant, aber ein grosser Teil des Booms hängt vom Tourismus ab, und wir denken, dass der Mensch des 21. Jahrhunderts seinem Wesen nach ein Reisender ist, ein Tourist oder ein Migrant, Flüchtling, Expat usw. Das stellt uns vor echte architektonische Fragen, die uns wichtiger sind als der finanzielle Aspekt.

Das Interview führte Marc Frochaux mit Filipe Magalhães, Ana Luisa Soares und Ahmed Belkhodja, leitende Architekten beim Atelier fala.

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