Im Oli­ve­n­hain

Casa Morcote

Am Lago Lugano haben Wespi de Meuron Romeo Architekten ein Wohnhaus in vornehmer Zurückhaltung gebaut. In der Materialität und der Topografie haben sie sich an den örtlichen Olivenhainen orientiert.

Data di pubblicazione
22-04-2016
Revision
22-04-2016

Morcote ist ein historischer Ort im Tessin. Hier, am Hang des Monte Arbostora mit Blick über den Lago Lugano, haben Wespi de Meuron Romeo Architekten ein Wohnhaus realisiert. Mit Form und Materialität ihrer Ausführung stellen die Architekten eine Ausnahme innerhalb der Tessiner Architekturszene dar. Diese steckt inhaltlich in der Krise und ­ist in ­jeder Hinsicht auf der Suche nach einer neuen Identität.

Die drei ­Architekten jedoch verstehen es, ­sich auf die wesentlichen Grundlagen ihrer Profession zurückzubesin­nen. Die Befriedigung der Bedürfnisse, die konsequente Verwendung er­neuerbarer Materialien und ihr ­Bekenntnis zum städtebaulichen Kontext bilden die Basis für eine bauliche Strategie, die sich über die Jahre immer mehr konkretisiert hat.

Charakter des Orts

Begonnen hat alles in den Jahren 1998 bis 2002 mit dem Umbau dreier kleiner Häuser in Caviano (Kreis Gambarogno). Das Projekt stellt gewissermassen das «Gesellenstück» des Teams um Markus Wespi und Jérôme de Meuron dar, dem sich Luca Romeo 2012 angeschlossen hat.

Bei den Planungen zur Umnutzung dreier ehemals landwirtschaftlich genutzter Gebäude zu einem Einfamilienwohnhaus ist es Wespi und de Meuron gelungen, den spezifischen Charakter des Orts, seine Geschichte und Geografie aufzugreifen und zu interpretieren. 

Im Werk der Architekten geht jede Änderung der Form mit einer Änderung dessen einher, was die Form erst notwendig macht; und nur in dieser Notwendigkeit erkennen sie ihre gesellschaftliche Aufgabe. Die genaue Kenntnis der verwendeten Materialien erinnert dabei an den Bezug zum jeweiligen Umfeld, der auch bei den Arbeiten von Gion Caminada in Vrin oder Armando Ruinelli in Soglio sichtbar wird.

Dennoch gibt es einen entscheidenden Unterschied: Während Caminada und Ruinelli vorrangig in historisch gewachsenen Dörfern bauen, räumlich isoliert und weit entfernt von den rasanten baulichen Entwicklungen in den Tälern, arbei­ten Wespi, de Meuron und Romeo ­in einem urbanen Kontext, in dem ­sie sich gegen immer aggressivere Bauinvestoren behaupten müssen. 

Das kürzlich fertiggestellte Einfamilienhaus in Morcote ist das letzte in einer Reihe von mehreren kleinen Wohnhäusern. In der Auf­einanderfolge der verschiedenen Bauten zeigt sich ein deutlicher Reifungsprozess. Jedes Projekt greift die Erfahrungen aus dem vorherigen Bau auf und überführt diese in eine höhere Qualität.

Der Standort am Luganer See, nur wenig oberhalb ­des Dorfs Morcote gelegen, ist geprägt durch Villen aus der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts sowie qualitativ schlechte Neubauten, die auf fast obszöne ­Art den Reichtum ihrer Eigentümer zur Schau stellen.

Das Gefälle des Grundstücks wurde gerade so weit begradigt, dass eine kleine ebene Fläche entstanden ist, auf der das Wohnhaus steht. Das Haus ist aber nicht auf den ersten Blick als solches zu erkennen. Zwei Mauern aus Granitblöcken und eine dritte, leicht nach hinten versetzte kalkverputzte Mauer, das Fehlen ­von Fenstern und eines Dachs suggerieren stattdessen den Anblick von Mauern, die einen Olivenhain umgeben.

Eine ähnliche Gliederung von Baukörpern hatten die Architekten erstmals 2005 bei ihrem Haus in Brione oberhalb von Minusio entwickelt; der Entwurf zeigt ein Volumen aus in der Erde verwurzelten Steinen, die wirken, als hätten sie immer schon dort gelegen, und die damit eine grosse Stille von poetischer Intensität erzeugen.

Dabei handelt es sich aber nicht einfach nur um ein Haus ohne Fenster, sondern fast um bewohnbar gemachte Erdarbeiten. Ähnlich wie bei von Bauern errichteten Mauern verläuft der Bau parallel und nicht senkrecht zum Hang.

Er zeigt damit eine ebenso antike wie radikal neue Haltung, die im Widerspruch zur herkömmlichen, von der Architektur der Romantik etablierten und durch die moderne Architektur übernommenen Auffassung steht und nach der eine gute Aussicht nur durch eine senkrechte ­Stellung des Gebäudes zum Hang erreicht wird.

Gesamtkonzept

Die Strategie der Architekten bringt auch jene Kritiker in Verlegenheit, die eine scharfe Trennung zwischen Sanierung und Neubau ziehen und beide unterschiedlich bewerten. In den Entwürfen von Wespi, de Meuron und Romeo ist beides untrennbar miteinander verwoben.

Und das nicht, weil sie einen nostalgischen Ansatz hätten – die von ihnen entworfenen Häuser sind technologisch und energetisch auf dem neuesten Stand –, sondern weil sich ihr Konzept von Nachhaltigkeit auf die Landschaft als Ganze erstreckt; ­so, wie William Morris es formuliert hat: «Architektur ist die Gesamtheit der Veränderungen, die mit Blick ­auf die menschlichen Bedürfnisse auf der Erdoberfläche vorgenom­men werden»; ein Konzept, das die Umgestaltung des Bodens ebenso umfasst wie die Umgestaltung eines Gebäudes.

Da die örtlichen Bauvorschriften Flachdächer verbieten, sind die Granitvolumen unterschiedlich hoch und weisen wie erwähnt keinerlei seitliche Öffnungen auf. Tageslicht gelangt stattdessen über kleine Innenhöfe mit Öffnungen in den Grasdächern in die Schlafzimmer.

Die Räume sind als Ruheorte konzipiert, in denen die Bewohner sich entspannen können; als Gegenpol zur Gefühlsintensität des Seeblicks. Die einzige grosse Öffnung ist eine durchgehende Glasfassade im Wohnzimmer, die sich allerdings nicht in Richtung Tal orientiert, sondern sich stattdessen an einer der Seitenfassaden befindet.

Ausgehend vom dem Wunsch der Bauherren nach einer grossen überdachten ­Terrasse in Richtung See haben die Architekten eine Fensterfront vorgesehen, die im Sommer im Mauerwerk verschwindet. Durch die offene Seitenfront des grossen Raums haben die Bewohner einen weiten Ausblick in der Diagonalen, und ­das Auge schweift über den See in Richtung des italienischen Dorfs Ponte Tresa.

Mit dem Fehlen von Fenstern zielen die Architekten nicht ­auf eine Abstrahierung des häuslichen Wohnens ab, sondern sie wollen ­vor allem eine echte Stille erreichen – eine Eigenschaft, die modernen ­Häusern häufig fehlt, und die Wespi, de Meuron und Romeo wieder aufgreifen, um gemeinsam mit einer gestalterischen Zurückhaltung ein neues, zeitgenössisches Verhältnis zur Natur zu erreichen.

Auf diese Weise entsteht eine Stille, die sich selbstbewusst dem Lärm einer Architektur entgegenstellt, die sich der Landschaft aufzwingt und dabei vorrangig als Statussymbol fungiert. 

Deutlich sichtbar werden so die paradoxen Auswirkungen der hohen Dichte und des lauthalsen Wettstreits der Einfamilienhäuser an den Ufern der Tessiner Seen, die alle um den besten Seeblick ringen. Denn die Zerstörung der Umwelt hat den ursprünglichen Grund für diesen abwegigen Wettstreit an einigen Orten längst ad absurdum geführt. Das Haus in Morcote verweigert sich dieser fatalen Strategie und zeigt stattdessen einen anderen, respektvollen Umgang mit der Landschaft.

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