Hong Kong: Das Denk­mal Tai Kwun öff­net seine Tore

Das Police Headquarter, die Central Magistracy und das Victoria-Gefängnis bilden eine Einheit auf Hong Kong Island. Herzog & de Meuron ergänzten die heute unter Denkmalschutz stehende Anlage mit zwei präzise ­eingefügten Baukörpern zu einem Kunst- und Kommerzzentrum.

Date de publication
18-09-2019

Am 25. Januar 1841 landete die britische Flotte am Possession Point der damals kaum besiedelten Insel Hong Kong – und hisste tags darauf den Union Jack. Damit begann eine 150-jährige Geschichte der Kolonialherrschaft, die mit dem Hand­over an China am 1. Juli 1997 endete.

Vom Possession Point, der sich aufgrund von Landaufschüttungen im Victoria Harbour inzwischen einige hundert Meter landeinwärts befindet, sind es 800 m zum Baukomplex Tai Kwun. Tai Kwun, das heisst auf Kantonesisch «Grosse Wache» und war der Spitzname für die Polizeistation, die die Kolonialregierung noch im Jahr 1841 etwas oberhalb der ersten Ansiedlung errichtete.

Hongkong wuchs und mit ihm auch Tai Kwun, das drei unterschiedliche Verwaltungseinheiten umfasste: das Police Headquarter, die Central Magistracy mit dem Gerichtshof und das Victoria Prison. Der Gesamtkomplex, der um das Jahr 1930 herum seinen mehr oder minder finalen Ausbauzustand erreicht hatte, misst insgesamt 14 500 m2 und spannt sich zwischen der Hollywood Road im Norden, der Arbuthnot Road im Osten, der Chancery Lane im Süden und der Old Bailey Street im Westen auf.

Nach dem Zweiten Weltkrieg bezog die Polizei ein neues Hauptquartier; der Komplex verlor an Bedeutung, blieb aber als Polizeigebäude und Gefängnisstandort in Verwendung. Definitiv geschlossen wurde das Victoria Prison erst 2006 – elf Jahre, nachdem der Gesamtkomplex mit seinen historischen Bauten unter Denkmalschutz gestellt worden war. Die Umnutzung und Revitalisierung des Ensembles übertrug die Regierung 2008 offiziell dem Hong Kong Jockey Club, der in einem britischen Gentlemen’s Club zur Organisation von Pferderennen wurzelt.

Seit 1974 betreibt der Club auch aus­serhalb seines Kerngeschäfts Wettbüros und ist als Non-Profit-Organisation wichtigster Förderer für kulturelle Einrichtungen in Hongkong. Seit 2006 arbeiteten Herzog & de Meuron gemeinsam mit dem lokalen Partner Rocco Design an der Umnutzung des Areals; hinzu kam das Büro Purcell aus London, das die Restaurierung der historischen Substanz übernahm.

Eine Insel im Zeitgeschehen

Das Projekt begann mit städtebaulichen Überlegungen. Tai Kwun, das war während der Jahrzehnte seines Bestehens für die meisten Bewohnerinnen und Bewohner Hongkongs Terra incognita: eine kleine verbotene Stadt, die man lediglich als Polizei- oder Justizvollzugsbeamter oder als Gefängnisinsasse erlebte. Ein Geviert, umgeben von repräsentativen Fassaden und hohen Mauern. Mithin: ein Zeichen für Recht und Ordnung, ein Monument der Macht. Alte Fotos zeigen die Lage des Komplexes oberhalb der Siedlung – mit freiem Blick über den Hafen.

Diese Situation hat sich vollständig geändert. Hongkong ist in die Höhe gewachsen und hat Tai Kwun gleichsam optisch geschluckt. Was einst die Stadt beherrschte, ist jetzt von Hochhäusern umzingelt. Wer sich in Hongkong nicht gut auskennt, mag überrascht sein, wenn er unvermittelt an der Hollywood Road auf die monumentale Nordfront des Polizeihauptquartiers stösst. Die Fassade aus dem Jahr 1919 bedürfte eines Platzes, um ihre Wirkung zu entfalten – doch die Bebauung gegenüber rückt ihr so nah, dass man den historischen Bau nur in Facetten wahrnimmt.

Im Innern des Komplexes hingegen haben Eigentumsverhältnisse, Nutzung und schliesslich der Denkmalschutz dazu beigetragen, dass das Areal vom Entwicklungsdruck verschont blieb. In der zweiten Hälfte des 20. und zu Beginn des 21. Jahrhunderts, während Hongkong sukzessive zu einer Hochhausmetropole wurde, änderte sich hier mehr oder minder nichts, sodass die gewachsenen Raumfolgen und Bauten von Tai Kwun weiterbestanden.

Die Baustruktur ist funktional gegliedert: im Norden das Central Police Office und im Osten die Central Magistracy an der Arbuthnot Road. Im Innern des Komplexes umfassen die Gebäude eine zentrale Frei­fläche, den Parade Ground. Dessen südlichen Abschluss bildet der Barrack Block, ein mit Loggien und Arkaden versehendes Gebäude aus dem Jahr 1864 (und damit das älteste Bauwerk von Tai Kwun), das später um ein Geschoss aufgestockt wurde.

Der Barrack Block bildet die Schnittstelle zum südlich sich anschliessenden Gefängnisareal, das aus einer Reihe verschiedener Zellenbauten besteht und von einer hohen Mauer umgeben ist. Seinen Abschluss bildet der Prison Yard, der einstige Gefängnishof, der direkt an die Mauer zur Chancery Lane stösst und aufgrund der Hangsituation etwa 20 m höher liegt als der Parade Ground.

Herzog & de Meuron erkannten das Potenzial der beiden Höfe in einer der höchstverdichteten Städte der Welt. So entstand die Idee, Kai Twun öffentlich zugänglich zu machen und die Freiflächen in ihren Dimensionen zu belassen. Sie wurden lediglich mit einem geriffelten Pflaster, das sich durch den gesamten Komplex zieht, und mit einigem Mobiliar versehen. Die mächtigen Bäume blieben erhalten und spenden den im tropisch-heissen Klima Hongkongs unverzichtbaren Schatten.

Projektionen der Geschichte

Das Umnutzungskonzept basiert auf drei Säulen: Gastronomie und Detailhandel, Geschichte des Orts, Kunst. Restaurants und kleine Boutiquen haben insbesondere in den Gebäuden um den Parade Ground Platz gefunden, so dem Police Headquarters Block und dem Barrack Block, die als symmetrische Kompositionen den Platz längsseitig rahmen. Die Raumstruktur der denkmalgeschützten Bauten war für die neue Nutzung relativ leicht adaptierbar. Zudem ist die «Main Heritage Gallery» im Erdgeschoss des Barrack Block untergebracht. Daneben finden sich verstreut über die einzelnen Bauten kleine Ausstellungen, die die Funktion des jeweiligen Gebäudes oder weitere Einzelaspekte thematisieren.

Die ausführliche Version dieses Artikels ist erschienen in TEC21 38/2019 «Hongkong zwischen Moderne und Vergangenheit».

Tai Kwun, Hongkong Island
 

Architektur / Design Consultant
Herzog & de Meuron, Basel

Ausführende Architekten
Rocco Design, Architects, Hongkong

Statik
Arup, Hongkong, China

Renovation Altbauten
Purcell, London

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