Note 4 oder bes­ser für Wett­be­werbs­pro­jekte

Gebäudelabel SNBS

Gemeinsam mit privaten und öffentlichen ­Immobilienträgerschaften hat der Bund ein neues Nachhaltigkeitszertifikat am Markt eingeführt. BSA-Vertreter Raphael Frei erläutert, wie damit auch die Baukultur verbessert werden kann.

Date de publication
20-10-2016
Revision
21-10-2016

TEC21: Herr Frei, der Standard Nachhaltiges Bauen Schweiz SNBS ist offiziell lanciert. Die vormalige Pilotversion (vgl. TEC21 19/2014) wurde deutlich abgespeckt: Statt 87 sind nur noch 45 Indikatoren zu prüfen. Wie viele bewerten die Architektur und Baukultur im engeren und weiteren Sinn?
Raphael Frei: Das Kriterium 102.1 «Architektur und Städtebau» ist an sich der einzige Indi­kator im Zertifizierungsverfahren, der direkt auf die baukulturelle Qualität fokussiert und die Ortsanalyse mit einer baukulturellen Zielsetzung ergänzt. Weitere für die Architektur relevante Aspekte wie Materialisierung, Grundrissqualität oder Bezug zum Aussenraum sind aber auf Bewertungs­indikatoren aufgeteilt, bei denen es zusätzlich funktionale, ökonomische oder ökologische Anliegen zu prüfen gilt. Anfänglich hatte ich tatsächlich Bedenken, die Bau­kultur in der SNBS-Beurteilung werde relativ knapp abgehandelt.

TEC21: Haben Sie sich für eine stärkere Berücksichtigung eingesetzt?
Raphael Frei: Als Vertreter vom Bund Schweizer Architekten BSA habe ich in der Fachkommission eine Anpassung der Indikatoren verlangt, mit denen die baukulturelle Qualität überprüfbar gemacht werden soll. Unter anderem wurde der Aspekt «Fairness und Auftragsbedingungen» zusätzlich integriert, vergleichbar dem Kriterium, das im Verein Beob­achter für Wettbewerbe und Ausschreibungen BWA Beachtung findet. Dabei geht es um eine faire Honorierung in der Planung. Nur so lassen sich die für eine nach­haltige Architektur erforderlichen hohen Qualitäten erzeugen. Mit dem Gesamtpaket, wie die Bau­kultur in der SNBS-Bewertung erfasst wird, bin ich vor allem deswegen einverstanden, weil jeder einzelne Indikator mit einer genügenden Note zu erfüllen ist. Es sind weder Kompromisse noch Kompensationen erlaubt.

TEC21: Wie sieht der Prüfungsmodus für die baukulturellen Qualitäten konkret aus?
Raphael Frei: Ein unabhängiger Wett­bewerb, nach den SIA-Vorgaben durchgeführt, wird als Garant für gute Qualität in der Architektur anerkannt. Die Qualitätssicherung im SNBS-Zertifikat lehnt sich deshalb diesem Verfahren an. So wie Minergie wichtige Vorarbeiten zur Bewertung der Energieaspekte liefert, stellt das Wettbewerbsins­trument eine bewährte, intelligente Basis für die Zertifizierung dar.

TEC21: Wird ein Wettbewerbsverfahren als Minimalanforderung verlangt?
Raphael Frei: Nicht zwingend, obwohl ich das anfänglich gefordert habe. Aber die internen Diskussionen ergaben, dass ein Wettbewerbszwang den Kreis interessierter Bauherrschaften zu sehr eingeschränkt hätte. SNBS-Projekte, die aus einem SIA-Wettbewerb stammen, erreichen jedoch sicher die Note vier, aber nicht zwingend eine Note sechs. Die baukulturelle Qualität des Projekts wird durch das Auswahlverfahren zwar nachgewiesen. Dennoch findet eine nochmalige Bewertung durch den SNBS-Prüfer statt.

TEC21: Worauf stützt sich die Beurteilung der Projekte, wenn kein Wett­bewerb durchgeführt worden ist?
Raphael Frei: Das Kriterium 102.1 be­inhaltet sechs Grössen, die sehr stark von den Vorgaben für ein SIA-Wettbewerbsverfahren geprägt sind (vgl. Kasten unten). Diese Aspekte sind nicht wissenschaftlich messbar, sondern beruhen auf weichen, qualitativen Beurteilungen. Daher werden diese Projekte von einer unabhängigen Minijury überprüft. Fachleute wie Architekten, Landschaftsarchitekten und Städteplaner führen vergleichbar dem Wettbewerbsverfahren eine Beurteilung nach identischen Kriterien durch. Die Jury formuliert einen Bericht, der für Bauherr und Planer zugänglich ist.

TEC21: Was passiert bei negativem Urteil?
Raphael Frei: Es gibt eine ungenügende Note: Ohne Nachbesserung kann das Zertifikat nicht erteilt werden. Darum findet die erste Prüfrunde bereits in der Phase der Vorstudie statt. So erhält der Auftraggeber die Chance für Verbesserungen. Eventuell lassen sich sogar neue Architekturentwürfe ausarbeiten. Erst nach Abschluss der Realisierung erfolgt die Schlussbeurteilung. Dann kontrolliert das Fachgremium alle Bereiche, ob die wichtigen Anliegen des Wettbewerbsentwurfs umgesetzt wurden.

TEC21: Nicht alle Studienaufträge werden so ausgeführt wie anfänglich ausgelobt …
Raphael Frei: Die bereits in einer frühen Phase vorgeprüften Projekte müssen nicht eins zu eins umgesetzt werden. Bauen ist ein Prozess und immer mit Änderungen verbunden. Wenn aber sämtliche Anpassungen während des Zertifizierungsverfahrens dokumentiert werden, sind sie für das Fachgremium nachvollziehbar. Sie lassen sich hinsichtlich der Qualitätseinbussen beurteilen.

TEC21: Zur Minimalanforderung an die Baukultur: Wie schön müssen SNBS-Hochbauten sein?
Raphael Frei: Für die Note vier beim Kriterium 102.1 wird eine Qualität verlangt, die auch für Aussenstehende als überdurchschnittliche Baukultur erkennbar ist. Die seriöse, unabhängige Beurteilung durch die SNBS-Jury soll die Qualität in den betrachteten Bereichen verbessern. Die Messlatte ist auch in der Baukultur hoch. Absehbar ist deshalb, dass einige Projekte, die zertifiziert werden sollen, nachbessern müssen. Meiner Meinung nach wird der Beurteilungsprozess dazu führen, dass das Wettbewerbsverfahren als Mittel zur Qualitätsförderung gestärkt wird. Gleichzeitig sind dieselbe Bandbreite und Grosszügigkeit bei der subjektiven Wahrnehmung erlaubt wie in normalen Wettbewerben: Die Projekte müssen nicht allen gefallen.

TEC21: Was trägt das Zertifikat zur Verbesserung der nachhaltigen Bauqualität bei?
Raphael Frei: Bauherrschaft und Planungsteam konnten immer schon gemeinsam ein gutes Projekt realisieren und hervorragende Qualitäten abliefern. Der Standard kann nun durch das Informationsgeflecht der drei Nachhaltigkeitsbereiche navigieren und insofern den state-of-the-art beim Bauen abbilden. Die Auseinandersetzung mit Komplexität ist beim Bauen bereits Alltag. Deshalb hilft der Standard, nicht nur höhere Qualitäten zu erbringen, sondern auch diese Prozesse besser zu strukturieren. Ein Nebeneffekt ist, dass Auftraggeber ihre Ziele ganzheitlich formulieren und einzelne Bereiche nachvollziehbar priorisieren können. Der Standard wird intern somit zum wichtigen Kommunikationsinstrument. Zudem schafft die Aussensicht der Prüfexperten einen klaren Mehrwert für das Projekt.

TEC21: Es ist das formulierte Ziel der Zertifikatsorganisation, eine grosse Breitenwirkung zu erreichen und möglichst viele Projekte zu gewinnen. Besteht nicht das Risiko, Kompromisse in der Qualitätsbeurteilung einzugehen.
Raphael Frei: Den Beteiligten ist bewusst, dass zertifizierte Projekte hochstehend sein müssen. Zudem werden die Bauherren genug ehrgeizig sein, um eine möglichst hohe Bewertung anzustreben.

TEC21: Waren Sie die einzige Fachperson, die bei der Erarbeitung des Zertifizierungsverfahrens beteiligt war?
Raphael Frei: Zu Beginn war ich als BSA-Vertreter der einzige Hüter der Baukultur, der an den Kommissionssitzungen mit Vertretern aus dem Energie- und Immobilienbereich teilgenommen hat. Auf meine Anregung stiess aber Peter C. Jakob, Bauart Architekten und Präsident der Kommission zur Überarbeitung der Empfehlung SIA 112/1, hinzu. Sein fachlicher Input bezog sich auf dieses Merkblatt, das die Nachhaltigkeitsthematik beim Bauen sehr umfassend und sehr gut strukturiert. Daher ist es richtig, dass das Arbeits­instrument, ebenso wie Module aus dem Minergie-Label, in das Zertifizierungsverfahren inte­griert worden sind.

TEC21: Wie beurteilen Sie den Gebäudestandard aus der Sicht eines praktizierenden Architekten?
Raphael Frei: Ich muss gestehen, in unserem Büro waren wir nie erpicht, Gebäude zu erstellen, die mit dem Abarbeiten von bisweilen erzwungenen Rezepten verbunden sind. Deshalb liegt uns der prozesshafte Ansatz des SNBS näher. Er ist wirkungsorientiert, weniger auf das musterschülerhafte Erfüllen von Einzelmassnahmen fokussiert und entspricht eher der Arbeitsweise von uns Architekten. Diesbezüglich ist die aktuelle Version gegenüber der Pilotfassung besser geworden. Insbesondere bei den subjektiven, weichen Faktoren wie der Baukultur werden angemessene Ziele angestrebt, ohne den Umsetzungsweg dahin zu stark vorzugeben.

TEC21: Wie geht es nach der Lancierung weiter?
Raphael Frei: Die Fachkommission sammelt das Feedback aus den ersten Projekten und will diese für eine Release-Version nutzen. Viele Bereiche aus dem umfassenden Nachhaltigkeitsspektrum können aktuell weder operationalisierbar noch in eine handhabbare Masse geformt werden. Daher sind thematische Nachbesserungen und inhaltliche Erweiterungen absehbar. Der Standard soll zudem der fortschreitenden Fragmentierung von Einzelthemen entgegenwirken, in dem es die einzelnen Systembestandteile in der Beur­teilung zueinander in Beziehung setzt. Und genau dafür braucht es uns Architekten: Als Entwurfs­spezialisten und Generalisten sind wir es seit jeher gewohnt, Bau­technologie zu integrieren und in Baukultur umzuwandeln!


SNBS 2.0

Der Standard Nachhaltiges Bauen Schweiz ist ein Gebäudelabel, das diesen September erstmals in der Marktversion SNBS 2.0 verliehen worden ist. Der Zertifizierungsmodus erfasst die Bereiche Ökonomie, Ökologie und Gesellschaft anhand von 45 Kriterien und einem klassischen Benotungssystem 1 bis 6.

Das SNBS-Label wird in Silber, Gold und Platin verliehen, an mittelgrosse und grosse Gebäude mit Wohn-, Büro- oder Gewerbenutzung. Offizieller Träger ist das Netzwerk Nachhaltiges Bauen Schweiz mit Mitgliedern aus der privaten und institutionellen Immobilien- und Bauwirtschaft; ebenso sind Bundesämter und öffentliche Bauherrschaften vertreten. Den Marktauftritt in allen drei Landesteilen organisiert ein Konsortium aus Beratungsfirmen im Mandat des Bundesamts für Energie.

www.snbs-cert.ch

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