Feins­chliff der Roh­form

Der Entwurf

Im Sommer 2017 wird die grösste Bogenbrücke der Schweiz dem Strassenverkehr übergeben. Die Tragwerksplaner von Leonhardt Andrä und Partner erläutern ihre Suche nach statischer Effizienz und die Wechselwirkungen zwischen Topografie und Bauwerk.

Date de publication
28-07-2016
Revision
22-06-2017

Die Taminaschlucht trennt die Dörfer Pfäfers und Valens über eine Länge von ca. 7 km. Die beiden Seiten des Tamina­tals sind von je einer Strasse erschlossen, die beide von Bad Ragaz ausgehen. Von dort aus gewinnen sie in den bewaldeten, steilen Hängen zunächst mit mehreren Kehren an Höhe.

Die Valenserstrasse ist in einem schlechten baulichen Zustand. Sie führt durch ein aktives Rutschgebiet und genügt aufgrund der damit verbundenen geologischen Risiken nicht mehr den heutigen An­forderungen. Untersuchungen der Gemeinden Pfäfers und Valens ergaben, dass eine Talquerung im Vergleich zu periodischen Instandsetzungen der Valenserstrasse die sicherere und wirtschaftlichere Lösung darstellt.

Ziel des 2007 ausgeschriebenen Entwurfswettbewerbs des Kantons St. Gallen war es nun, eine talquerende Brücke umzusetzen (das Wettbewerbsverfahren ist in TEC21 25/2008 ausführlich thematisiert). Mit einem asymmetrischen Bogen über die Taminaschlucht trägt der Siegerentwurf von Leonhardt, Andrä und Partner nach Ansicht der Jury den örtlichen Gegebenheiten und der sensiblen Landschaft Rechnung.

Die Projektierung der Taminabrücke begann 2008 mit der Ausarbeitung des Entwurfsprojekts. 2012 wurden die Ausschreibungsunterlagen in Zusammenarbeit mit dem Ingenieurbüro dsp Ingenieure & Planer erstellt. Nach der Vergabe an die Arbeitsgemeinschaft Tamina­brücke konnte die Bautätigkeit beginnen, die bis Ende 2016 andauern wird.

Stahlbetonbogen mit aufgeständertem Spannbetonüberbau

Das Tragsystem des Bauwerks besteht im Wesentlichen aus dem Bogentragwerk und einem über die Ständer monolithisch verbundenen Überbau als Durchlauf­träger (vgl. Pläne und technische Begriffe). Der Überbau weist eine Länge von 417 m auf. Einschliesslich der Widerlager ergibt sich für das Bauwerk ein Gesamtlänge von 472.60 m. Für die zu überführende Hauptverkehrsstrasse ist eine Fahrbahnbreite von 9.50 m eingehalten. Bogenständer und Kämpferpfeiler sind so angeordnet, dass die Stützweiten des Überbaus zwischen 45 m und 60 m variieren. Im Scheitelbereich verschmelzen Überbau und Bogen auf etwa 57 m Länge miteinander.

Dank dem grosszügigen, asymmetrischen Bogen befinden sich beide Kämpfer kurz vor den Talflanken, die auf beiden Seiten ab unterschiedlichen Höhen steil abfallen. Zudem sind die unverwitterten Fels­formationen an diesen Stellen bestens geeignet, die Kräfte aus dem Bogentragwerk aufzunehmen. Vor allem die Herstellung des Kämpfers auf ­Seite Valens wurde bereits in den frühen Projektierungsphasen als grosse Herausforderung erkannt. Deshalb beschloss man, die Streckenführung leicht anzupassen und die Gradiente auf der Seite Valens zu schwenken, um so das Kämpferfundament in einem flacheren, leichter zugänglichen Bereich anordnen zu können.

Mittels Erkundungsbohrungen, die zu Inklinometer-Messstellen ausgebaut wurden, konnten allfällige Hangkriechbewegungen beobachtet werden, allerdings liessen sich keine Anzeichen rezenter Verschiebungen nachweisen.

Steifigkeit und Gewicht optimal austariert

Der Stahlbetonbogen hat eine Stützweite von 259.36 m und ist an den bewehrt ausgeführten Kämpferfundamenten flach fundiert und in den Baugrund eingespannt. Infolge der Einspannung erhält der Bogen an dieser Stelle seine grösste Bauhöhe auf Seite Pfäfers mit 4.00 m und auf Seite Valens mit 3.20 m, während sie zum Bogenscheitel hin auf 2.00 m abnimmt.

Die Breite des Bogens variiert zwischen 9.00 m bzw. 7.00 m an den Kämpfern und 5.00 m im Scheitelbereich. Im Kämpferbereich ist der Bogen mit einem Hohlquerschnitt konzipiert, um Gewicht zu sparen. Im Scheitel wurde aufgrund der geringeren Bauhöhe ein massiver Querschnitt gewählt. Die Dicke der oberen und unteren Platten des Hohlquerschnitts beträgt maximal 1.00 m und nimmt gegen den Scheitel kontinuierlich bis 0.50 m ab. Die Stegbreite beträgt konstant 0.90 m und ergab sich aus den Abmessungen der Haltekabelverankerungen im Bauzustand.

Radiale Ständer und akzentuierter Endrahmen

Um die Stützweite der Vorlandbrücken zu verkürzen, stehen die Kämpferpfeiler nicht lotrecht auf, sondern senkrecht zur Bogenachse. Ihre Neigung nähert sich jener der Talflanken an und begünstigt so die Einpassung der Brücke ins Tal. Sie bilden zusammen mit dem ­Überbau eine biegesteife Rahmenkonstruktion, um die gros­sen Endfelder wirtschaftlich realisieren zu können.

Im Querschnitt betrachtet sind die Kämpferpfeiler mit einem Anzug zu den Kämpfern hin versehen und verbreitern sich auf der Seite Valens von 5.00 m auf 5.96 m und auf Seite Pfäfers von 5.00 m auf 7.10 m. Die Kämpferpfeiler werden weitestgehend mit einem Hohlquerschnitt mit den Wandstärken 0.40 m bzw. 0.50 m ausgeführt. Nur die untersten beiden Segmente sind mit einem Vollquerschnitt konzipiert.

In den Achsen S2, S5 und S6 ist der Überbau mit schlanken Scheiben aus selbstverdichtendem Beton der Festigkeitsklasse C45/55 aufgeständert. An den Enden der Stahlbetonscheiben sind Betongelenke angeordnet, die die Zwangsbeanspruchungen im Bogen und Überbau infolge der Einwirkungen in der Tragwerksebene verringern. Die Bauhöhe der Kämpferpfeiler nimmt in der Ansicht von unten nach oben zu und macht die Funk­tion dieses Bauteils als Rahmenstiele lesbar. Sie unter­scheiden sich damit von den pendelartig ausgeführten Ständern auf dem Bogen und wirken so auch gestal­terisch reizvoll.

Platz für Spannglieder im Überbau

Der Überbau ist als Hohlkastenquerschnitt mit einer Bodenplattenbreite von 5.00 m und einer Regelbauhöhe von 2.75 m projektiert. An den Brückenenden steht der Überbau auf längsbeweglichen Kalottenlagern, wobei jeweils eines der beiden Lager querfest ausgebildet ist. Durch die Anvoutung des Trägers zu den Kämpferpfeilern hin auf maximal 5.05 m wird seine Funktion als Rahmenriegel gut erkennbar. Die Dicke der Bodenplatte beträgt im Feldbereich 0.30 m und bis zu 1.00 m – gemäss der statischen Erfordernissen – in den Achsen S1 und S7. 

Dank der konstanten Stegbreite von 0.55 m werden zwei Stegspannglieder problemlos nebeneinander untergebracht. Im Bereich der Spanngliedverankerung werden die Stege an den Enden der Bauabschnitte bis auf 1.21 m verbreitert. Am Anschnitt zu den Stegen ist die Fahrbahnplatte 0.50 m dick, zwischen den Stegen reduziert sich ihre Dicke auf 0.30 m oder, falls Spannglieder in der Fahrbahnplatte angeordnet werden, auf 0.35 m. Analog zu den Stegen wird die Plattendicke an den Enden der Bauabschnitte erhöht, um die Verankerungen der Spannglieder anordnen zu können.

Vom Gesamtsystem zum Betongelenk

Den statischen Berechnungen des Gesamtsystems lag ein räumliches Stabsystem zugrunde. Für die Berechnung mussten die Hilfspylone und die Halte- und Rückhaltekabel der Bauzustände des Bogens (vgl. «Präziser Bogenschluss») im räumlichen System berücksichtigt werden: Die Beanspruchung des Tragwerks aus seinem Eigengewicht resultiert aus der Summe der Bauzustände des ausgeführten Bauablaufs. Dementsprechend sind sämtliche untersuchten Bauzustände Bestandteil des Rechenablaufs des Gesamtsystems. 

In der Regel legte das SIA-Normenwerk die Lastfälle fest. Bezüglich der Windlasten wurden örtliche Messungen zusätzlich beigezogen. Diese bestätigten, trotz der exponierten Stellung des Bauwerks im Tamina­tal, dass der Referenzwert für den Staudruck (Winddruck von 1.3 kN/m2) in Bad Ragaz berücksichtigt ­werden konnte. Baudynamische Untersuchungen am Rechenmodell belegten zudem, dass die Windbean­spruchungen nicht erhöht werden mussten.

Zur Übersichtlichkeit lagen eigenständige Berechnungsmodelle den ausgewählten Sonderthemen zugrunde: Ein 40 m langer Überbauabschnitt wurde mittels finiter Elemente modelliert, um das Verhalten des Überbaus in Querrichtung und auf Torsion zu ermitteln.

Des Weiteren mussten aussergewöhnliche Einwirkungen wie Erdbeben im Bau- und Endzustand oder der Ausfall eines Kabels der temporären Bogenabspannung im Bauzustand nachgewiesen werden. Bei einer semiintegralen Bauweise sind im Prinzip keine Möglichkeiten gegeben, Abweichungen bei der Überhöhung zu korrigieren. Jedoch erlaubten hier das Bauverfahren und das statische System in gewissem Umfang noch spätere Korrekturen. Die Qualität des selbstverdichtenden Betons im Bereich der Betongelenke wurde anhand von Probekörpern im Massstab 1 : 1 überprüft, die nach dem Erhärten aufgeschnitten wurden.

Über 50 untersuchte Bauzustände

Bereits in der Entwurfsphase lag neben den Nachweisen des Gesamtsystems ein besonderes Augenmerk auf einzelnen lokalen Bereichen, wie etwa den Bogenkämpfern, den Rahmenecken und dem Verschneidungsbereich zwischen Überbau und Bogen. Während des Bau- und Detailprojekts konnten die Abmessungen aus dem Wettbewerbsentwurf im Wesentlichen bestätigt und die konstruktiven Details weiter optimiert werden. Zu nennen sind hier die Betongelenke und die Endlagerung des Überbaus. 

Für die Herstellung des Bogens im Freivorbau mit einer temporären Abspannung, den Rückbau der Abspannung und die abschnittsweise Herstellung des Überbaus mit einem Traggerüst mussten weit über 50 verschiedene Bauzustände untersucht werden.

 

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