«In­ter­dis­zi­plinär statt ei­gen­sin­nig»

Landmanagement

Raum für neue Siedlungsflächen oder Biotope gibt nur das Kulturland her. Der Agronom Fritz Zollinger fordert deshalb, die gegensätzlichen Nutzungsinteressen gleichberechtigt untereinander abzuwägen.

Date de publication
07-10-2015
Revision
15-11-2015

TEC21: Herr Zollinger, alle vier Tage wird in der Schweiz die Fläche eines Bauernhofs überbaut. Wie dramatisch ist dieser Kulturlandverlust?
Fritz Zollinger: Dramatisch trifft es nicht ganz, denn die Landwirtschaft beweist, wie sie trotz abnehmender Flächen steigende Erträge erzeugen kann. Dennoch darf der Boden nicht beliebig für mehr Siedlung und Infrastruktur geopfert werden. Kulturland ist eine endliche Ressource für die landwirtschaftliche Produktion. Allerdings gibt es Kreise, die ihr nur geringe Bedeutung beimessen und den Raumansprüchen für die Besiedlung Vorrang geben. 

TEC21: Also braucht es eine Klärung der Prioritäten, welche Nutzungsansprüche zulässig sind?
Zollinger: Ganz genau, auch wenn dadurch der Koordinationsaufwand in der Raumplanung grösser wird. Aber eine übergeordnete Interessensabwägung soll verhindern, dass der aktuelle Trend unwidersprochene Tatsachen schafft und sich die Landwirtschaft mit Restflächen begnügen muss. Die wertvollen Fruchtfolgeflächen und das umliegende Kulturland dürfen nicht noch stärker unter Druck geraten. 

TEC21: Etwa 40 % des Kulturlands sind Fruchtfolgeflächen und im Bundessachplan geschützt. Reicht das nicht?
Zollinger: Die gesetzlichen Grundlagen verlangen seit 35 Jahren, dass die Kantone ein festgesetztes Kontingent an Fruchtfolgeflächen schützen. Allerdings wird der Schutz nur mangelhaft umgesetzt; der Erhalt der Fruchtfolgeflächen ist nicht garantiert. Selbst im Kanton Zürich, wo frühzeitige Planungs- und Kartengrundlagen erstellt worden sind, bleibt der Schutzstatus oft unbeachtet. Grundsätzlich erhält der Schutz aller fruchtbaren Böden in der raumplanerischen Abwägung zu wenig Gewicht. 

TEC21: Wie kann dieser Missstand verbessert werden?
Zollinger: Zum einen müssen übergeordnete politische Entscheide zugunsten der Ernährungssicherheit befolgt werden. Eine produktive Landwirtschaft braucht Fruchtfolgeflächen. Zum anderen könnten die Fruchtfolgeflächen vergleichbar dem Wald oder den Naturschutzgebieten noch strenger geschützt sein. Ich plädiere deshalb für eine offene Diskussion über die Nutzung und den Verbrauch von Kulturland, wozu eine fachübergreifende Interessensabwägung gehört. 

TEC21: Aber hat die Landwirtschaft im Kampf um das Kulturland nicht derzeit die schlechtesten Karten?
Zollinger: Raum für neue Siedlungszonen, revitalisierte Bachläufe oder Aufforstungen gibt ausnahmslos nur das Landwirtschaftsland her. Dieses Bewusstsein sollte sich grundsätzlich in der Raumplanung durchsetzen. Zielführend ist jedoch weder, egoistisch um weitere Flächen zu kämpfen, noch die eigenen Interessen zu verteidigen, sondern nur ein uneigensinniges, tolerantes Abwägen in der Raumplanung. Die Fachleute sollen dazu aber den interdisziplinären Austausch untereinander verbessern. 

TEC21: Ist eine gewisse Grundskepsis gegenüber der Landwirtschaft nicht verständlich, angesichts der sichtbaren Intensivierung und der Umnutzungen auf unüberbautem Kulturland?
Zollinger: Ein beliebter Vorwurf ist, das Kulturland sei eine Agrarwüste. Das Gegenteil ist wahr: Die in der Bevölkerung geschätzten Erholungslandschaften sind der landwirtschaftlichen Bewirtschaftung zu verdanken, was auch dem multifunktionalen Auftrag entspricht. Gewächshäuser oder Mastställe sind zugegeben keine schönen Bauten. Aber die einheimische Landwirtschaft braucht sie für eine intensive Produktion. Im Kanton Zürich wird darüber nachgedacht, neue Gebäude mit Rückbau-Revers zu bewilligen. Dadurch werden spätere Umnutzungsvorhaben unterbunden. Solche Anstrengungen genügen sicherlich nicht, um den Druck auf die Gebiete ausserhalb der Bauzonen zu mindern; aber die Richtung stimmt. 

TEC21: Den Bedarf für eine übergeordnete Strategie zum Schutz des Bodens hat auch der Bund erkannt.
Ist das ein guter Anfang?

Zollinger: Eine solche Strategie liefert wichtige Ansätze, aber wird nicht zwangsläufig die Interessenabwägung vereinfachen. Denn die Praxis bestimmen weiterhin Kantone und Gemeinden. Es braucht deshalb eine bessere Zusammenarbeit im Vollzug und in der raumplanerischen Basis. Wenn Fachleute nicht mehr sektoriell, sondern interdisziplinär planen, kann das Landschaftsmanagement zielführend und ausgewogen erfolgen. Auch Baufachleute und Architekten sollten sich vertieft dafür interessieren, welche Auswirkungen ein Bauprojekt auf den Boden hat. 

TEC21: Wie wirkt sich ein Bauprojekt denn auf den Boden aus, ausser dass er hauptsächlich versiegelt wird?
Zollinger: Defizite sind etwa bei der Rekultivierung von Böden im Siedlungsumfeld auszumachen. Wahllos aufgeschüttete Humusschichten wirken oft nicht besser als versiegelte Flächen und erhöhen die Gefahr von oberflächlichem Wasserabfluss und Überschwemmungen. Wir sprechen zwar nicht vom Bodenschutz im eigentlichen Sinn; aber eine bodenkundliche Rekonstruktion des Untergrunds mindert das Risiko von Naturgefahren deutlich. 

TEC21: Und was müssen Raumplaner besser machen?
Zollinger: Meliorationen waren früher das wichtigste Instrument für eine quantitative landwirtschaftliche Landumlegung. Zwar hat die Durchführung oft sehr lang gedauert. Doch sie beruhen auf einem Landmanagement, das in einer modernen Version auf alle Flächen ausserhalb von Bauzonen angewandt werden kann und nicht nur die Interessen der Landwirtschaft vertritt. Die Raumplanung muss vielmehr alle Qualitäten des Kulturlands wahrnehmen und berücksichtigen; nur so lassen sich die Ansprüche für die künftige Nutzung des Bodens besser steuern. 

TEC21: Welche Instrumente stehen dafür zur Verfügung?
Zollinger: Genau gleich wie sich Gemeinden um die Entwicklungsplanung im Siedlungsgebiet kümmern, braucht es ein umfassendes Steuerungs- und Koordinationsinstrument für den Raum ausserhalb. Auch das «übrige Gemeindegebiet» ist planerisch mit einem Landmanagement abzudecken. Daneben bräuchte es einen flexibleren Umgang mit der Waldfläche. Grundsätzlich müssen die Einzelinteressen überwunden und gemeinsame Nutzungsschwerpunkte für alle Flächen ausserhalb der Bauzone festgelegt werden. Dadurch wird Raumplanung anspruchsvoller, aber auch wirkungsvoller.

TEC21: Und wie kann der interdisziplinäre Austausch im Kulturlandmanagement angeregt werden?
Zollinger: Dieser Input muss von Fachleuten ausgehen, die sich mit übergeordneten Zusammenhängen beschäftigen. Früher war der Kulturingenieur ein Allrounder mit Einblick in verschiedene Fachgebiete. Dazu berufen fühlt sich angesichts der Ausbildungen heute niemand mehr. Interdisziplinäres Arbeiten ist zwar in aller Munde, doch es verursacht Zusatzaufwand und ist kompliziert. Bei den Behörden auf allen Vollzugsstufen ist zudem erkennbar, dass sich einzelne Ämter nur um ihre Ressorts kümmern, sei dies Bodenqualität oder Landwirtschaftsland. Ich meine aber, dass nur eine echte interdisziplinäre Koordination die Interessen abwägen und die Nutzung auf den Gebieten ausserhalb der Bauzonen definieren kann.


Bauen ausserhalb von Bauzonen

Von Paul Knüsel, Redaktor Umwelt/Energie Solaranlagen, Trafostationen, Handyantennen, Gewächshäuser, Pouletmastställe, Wohn- und Ferienhäuser oder Pferdestallungen: Das Spektrum der Neubauten ausserhalb von Bauzonen reicht von klein bis gross und von überschaubar bis spektakulär. Neben neuen Infrastrukturanlagen lösen vor allem landwirtschaftliche Umnutzungs- und Erweiterungsvorhaben Diskussionen über raumplanerische Standortgebundenheit und Kulturlandschutz aus. Die Bewilligungspraxis bei Bauten ausserhalb von Bauzonen beruht auf flexiblen Regeln, und sie erscheint daher oft willkürlich und wenig restriktiv. Auf nationaler Ebene liegen flächendeckende Analysen von 2007 vor: Damals stand jedes vierte Gebäude ausserhalb der Bauzonen; 3 % der Neubautätigkeiten fanden im Nicht-Siedlungsgebiet statt.  Der Kanton Baselland legt eine neuere Analyse vor (vgl. Grafik), wie sich der Raum ausserhalb der Bauzonen zwischen 2001 und 2013 verändert hat: Durchschnittlich wurden über 60 Neubauten pro Jahr rea­lisiert; knapp 8 % der Baube­wil­li­gungen betreffen Massnahmen aus­ser­halb von Bauzonen. «Der Trend ist zuletzt angestiegen. Kompensationen etwa durch Abbruch nicht mehr zonenkonform genutzter Bauten und Anlagen finden dagegen kaum statt», lautet der Kommentar. Und: «Der Ausblick auf eine ­zunehmende disperse Bebauung der Landschaft wirkt alarmierend.» Das Bundesamt für Raumentwicklung be­absichtigt, die Raumbeobachtung in diesem Bereich systematischer zu organisieren. Raumbeobachtung Bauen ausserhalb Bauzonen (BAB); Amt für Raumplanung, Kanton Basel-Landschaft 2014.

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