«Ein Meis­ter darf Nor­men bre­chen»

Für den deutschen Architekten und Ingenieur Werner Sobek sind Häuser nicht bloss autonome Systeme. Er macht sich ebenso Gedanken über die wahrnehmbaren Qualitäten und über den zu hohen Materialaufwand.

Publikationsdatum
21-12-2017
Revision
21-12-2017

Der Gründer der Werner Sobek Group, eines Verbunds von Planungsbüros für Architektur, Tragwerksplanung, Fassadenplanung, Nachhaltigkeitsberatung und Design, trat am Gebäudetechnik-Kongress in Luzern auf. Sein Referat war ein Plädoyer dafür, die Fehler der Vergangenheit nicht zu wiederholen. Bis heute werden weltweit derart hohe Materialmengen verbaut, dass einige endliche Ressourcenreservoirs zu versiegen drohen. Dennoch sind die Weichen weiterhin auf Wachstum gestellt: Die Weltbevölkerung wächst, und Entwicklungsländer pochen auf einen Lebensstandard, gleichberechtigt demjenigen einer industrialisierten Region. Im folgenden Gespräch erläutert Werner Sobek, wie die am Bau beteiligten Fachpersonen Gegensteuer geben können.

 

TEC21: Herr Sobek, was gehört zu den Grundvoraussetzungen für das Bauen von morgen?
Werner Sobek: Wenn wir weiter bauen wie bisher, verschärfen wir das globale Ressourcenproblem enorm. Der Nettozuwachs der Weltbevölkerung liegt bei 2.6 Menschen pro Sekunde. Wollten wir jedem dieser neuen Erdenbürger eine gebaute Umwelt nach deutschem Standard bieten, müssten wir pro Sekunde weltweit 1300 t Baumaterial extrahieren, verarbeiten und verbauen. In Deutschland ist das verbaute Materiallager, das sich aus Gebäude und öffentlicher Infrastruktur zusammensetzt, auf eine Menge von 490 t pro Kopf angewachsen. Früher oder später wird das zu Abfall. Dabei haben wir heute schon damit ein Problem. Setzen wir nicht mehr Recyclingmaterial ein, gehen die Baustoffe aus. Laut offiziellen Prognosen werden Kupfer, Zink oder Zinn bereits im nächsten Jahrzehnt knapp. Das hat uns beim Bauen heute viel mehr zu denken zu geben. Darum müssen wir mit weniger Material für mehr Menschen bauen.

TEC21: Ihre Analyse trifft nicht nur für Deutschland zu. Die Stoffflussbilanz beim Bauen widerspricht ­weltweit und regional dem Kreislaufprinzip (vgl. TEC21 25/2015). Aber wie geht der Architekt damit um? Sie selbst beschäftigen sich vor allem mit Leichtbau. Wie vereinbar ist dieses Bauprinzip mit dem angesprochenen Ressourcenproblem?
Werner Sobek: Das Vorteilhafte am Leichtbau ist die deut­liche Reduktion des Materialaufwands. Häufig wird Leichtbau allerdings mit Verbundwerkstoffen wie kohlefaserverstärkten Epoxidharzen und ähnlichem assoziiert. Dies entspricht nicht unserem Anliegen, denn je stärker unterschiedliche Materialien miteinander verbunden sind, desto schwerer können sie wieder in den Stoffkreislauf zurückgeführt werden.

TEC21: Wie kann man solche Probleme umgehen?
Werner Sobek: Der Leichtbau ist eine zukunftsgerichtete Technologie, die dringend weitere Verbreitung erfahren muss. Wichtig ist hierbei allerdings, dass wir den Leichtbau immer zusammen mit dem Gedanken des recyclinggerechten Bauens denken. Verbundwerkstoffe sollten also nur dann eingesetzt werden, wenn es eine nachgewiesene Möglichkeit gibt, sie am Ende des Lebenszyklus ressourcengerecht in den Stoffkreislauf zurückzuführen. Am Gebäude selbst geht es um eine deutliche Reduktion der Masse, die perfekte Beherrschung von einfachen Geometrien und eine Homo­genisierung der strukturellen Beanspruchung.

TEC21: Sie sind an einem Projekt am Empa NEST beteiligt, das sich mit Baustoffrecycling und Urban Mining beschäftigt (vgl. Kasten unten «Recycling als Forschungsmodul»). Worum geht es da?
Werner Sobek: Zusammen mit Dirk Hebel, vormals an der ETH-Architekturabteilung und nun am Karlsruher Institut für Technologie tätig, bauen wir ein Wohnmodul, das mit minimalem Material- und Energie­einsatz auskommt. Im Mittelpunkt stand bei der Planung immer die Frage, wie die einzelnen Materialien so miteinander verbunden werden können, dass sie allen bauphysikalischen Anforderungen entsprechen, aber dennoch sehr leicht sortenrein zurückgebaut werden können. Die eingesetzten Materialien stammen zu einem grossen Teil aus Recyclingprozessen; und sämtliche Bauteile können zu 100 % in technische oder biologische Kreisläufe zurückgeführt werden.

TEC21: Welche Wertstoffe verwenden Sie?
Werner Sobek: Wir benutzen beispielsweise Kupferbleche, die bereits einen Kirchturm geschützt haben oder als Fassade einer Shoppingmall eingesetzt worden sind. Wir nehmen diese Teile, schneiden sie neu zu und bauen daraus die Frontseite. Dabei achten wir darauf, dass die Verschnittanteile möglichst gering bleiben.

TEC21: Am Kongress forderten Sie das Publikum, mehrheitlich Gebäudetechniker und wenige Architekten, auf, nachhaltige Gebäude zu entwerfen. Allerdings gebe es dazu keine bewährten Rezepte. Vielmehr hätten die Fachleute weitgehend unbekanntes Land zu erforschen. Wo liegt die Terra incognita im Bauwesen?
Werner Sobek: Dass wir für mehr Menschen mit weniger Material bauen sollten, habe ich schon erwähnt. Wie genau dies geschieht, hängt stark vom lokalen und regionalen Kontext ab. Wir müssen dazu das Problem genauer analysieren. Das Bauen selbst muss sich verändern, um inter- und transdisziplinäres Denken in die Planungsarbeit und die Kommunikation aufzunehmen. Im Bauwesen sind viele Disziplinen beteiligt. Häufig genug bringen sie aber kein gegenseitiges Verständnis füreinander auf, haben keine gemeinsame Sprache, keine gemeinsamen Wertvorstellungen. Anstatt sich gemeinsame Ziele zu geben, werden die Friktionen aus ökonomischen oder rechtlichen Gründen teilweise sogar verstärkt. Viele Hochschulen zementieren diese Probleme geradezu, indem sie ihre Ausbildung immer noch streng disziplinär einordnen. Interdisziplinarität wird kaum gefördert.  

TEC21: Wo beginnt die Zusammenarbeit unter den Disziplinen?
Werner Sobek: Man muss sich klarmachen: Ein Gebäude ist Teil einer Umgebung und selbst ein komplexes System aus Tragwerk, Fassade, Heizung, Lüftung, Sanitär und Kommunikation. Diese Teilsysteme sind von unterschiedlicher Lebensdauer und unterschiedlicher Materialität; sie bestehen aus unterschiedlichen Technologien und verfügen über unterschiedliche Toleranzen. Und sie werden von verschiedenen Leuten geplant. In Umbauphasen oder am sogenannten End-of-Life-Punkt, bevor ein Gebäude zu Abfall wird, spitzt sich dies konzeptionell zu: Die Komponenten müssen ersetz- und austauschbar oder so aus dem Gebäude entnehmbar sein, damit sie einem perfekten Recyclingprozess zugeführt werden können. Ziel muss ein ressourcenschonendes Haus sein, das hinsichtlich seiner technischen Komposition – und nur so verstehe ich das – einer Maschine vergleichbar einfach zusammen- und auseinandergebaut werden kann. So weit sind wir im Bauwesen noch lang nicht.

TEC21: Sie sind selber Ingenieur und Architekt und kennen sich daher in mindestens zwei Disziplinen aus. Fühlen Sie sich selbst dazu gezwungen, die Rolle je nach Anspruch gegeneinander auszuspielen?
Werner Sobek: Nein, diese beiden Fachdisziplinen kann man gut miteinander vereinen. Man darf aber nicht davon ausgehen, dass ein Einzelner alles kann. Es gibt Kollegen, die planen heute ein Krankenhaus und morgen eine Oper und übermorgen eine Wohnanlage. Doch die Ansprüche für jedes einzelne Objekt haben sich in der Vergangenheit immer mehr ausdifferenziert, sind äusserst komplex geworden; auch das Nutzerempfinden wird anspruchsvoller. Und was die technischen und umweltrelevanten Anforderungen betrifft, lässt sich vieles nicht einmal mehr im kleinen Team bewältigen. Das Denken wird sich auch hier verändern müssen: Der grosse Baumeister, der sich als Dirigent versteht und von allem ein bisschen, aber eigentlich nichts richtig weiss, ist nicht mehr gefragt.

TEC21: Ein weiteres Anliegen neben der Reduktion des Materialaufwands und der grauen Energie ist die klimafreundlichere Energiebilanz von Gebäuden. Sie haben vor drei Jahren ein Aktivhaus als Prototyp realisiert (vgl. Kasten unten «Vom Experimental- zum Aktivhaus»). Es handelt sich um ein Einfami­lienhaus, das selbst mehr Energie erzeugt, als es verbraucht. Und es steht an einem prominenten Ort, in der Weissenhofsiedlung in Stuttgart. Welche Absicht steckt dahinter, diese Umgebung mit einer solchen Art Energiemotor zu ergänzen?
Werner Sobek: Ich will Gebäude entwerfen, die mehr tun als nur rechtliche Vorgaben zum Energiesparen einhalten. Warum soll ein Haus überhaupt Energie einsparen? Die Sonne strahlt zehntausend Mal mehr Energie auf die Erde, als die Menschen für alle ihre Funktiona­litäten benötigen. Erneuerbare Energien lassen sich auch aus anderen völlig ungefährlichen Quellen be­ziehen. Damit meine ich: Die alleinige Fokussierung auf das Energiesparen ist eine schwere Irreführung der Bevölkerung. Anstatt ein Wärmedämm­verbundsystem an die Hauswand zu kleben, könnte man ja auch eine Photovoltaikanlage auf das Dach und eine Batterie in den Keller stellen. So vermeidet man die Produktion von Sondermüll und reduziert seine Emissionen noch besser, als dies mit einem Wärmedämmverbundsystem allein möglich ist.

TEC21: Alte Gebäude sind aber als Energieschleudern in Verruf geraten. Nun will man es besser machen und verwendet neue Bautechnologien. Was macht dies aus der Baukultur?
Werner Sobek: Ein solches Bewertungsraster akzeptiere ich nur bedingt; ich selbst spreche lieber nicht von guten oder schlechten Gebäuden, auch nicht im ausschliesslich technischen Sinn. Jedes Objekt hat seine Zeit. Anstatt die Gebäude zu klassifizieren und dann mit umständlichen, häufig genug sinnlosen Massnahmen zu überziehen, plädiere ich für eine Aufhebung der Systemgrenze: Wir dürfen nicht jedes Gebäude denselben Anforderungen an sein energetisches Verhalten unterwerfen, sondern wir müssen die eigentlich wichtigen Fragen stellen. Weder ist es die Energieeffizienz noch der Wärmedämmstandard, sondern einzig und allein die gesamtgesellschaftliche Forderung nach dem vollständigen Ausstieg aus der Nutzung fossil basierter Energie.  

TEC21: Wie geht man da vor?
Werner Sobek: Die verwendete Energie muss lediglich nichtfossil sein. Das ist meines Erachtens der einzig richtige Ansatz. Ob ein einzelnes Gebäude mehr oder weniger Energie benötigt, ist völlig egal. Am Ende wird dies dazu führen, dass, vereinfacht dargestellt, der eine Mitbürger sich im Winter wärmer anzieht, der andere sich eine PV-Anlage kauft und der nächste sein Gebäude mit dem Nachbargebäude verbindet, das mehr Energie erzeugt, als es benötigt. Die grosse Fehlorientierung unserer Zeit entsteht im Vergleich dazu durch die Energieeffizienz respektive durch Dämmstandards und Luftdichtigkeitsanforderungen. Auf Basis einer Planung prognostizieren die Planer dann eine mögliche Energieeinsparung. Mehr nicht. Ob die Prognose der Planer eintrifft, hängt vom späteren Nutzerverhalten ab. Oft genug trifft sie nicht ein. Wenn die Gesellschaft von jedem einzelnen ihrer Mitglieder fordert, auf fossil basierte Energie zu verzichten, dann geht man den richtigen Weg. Politisch gesehen erscheint dieser Weg einigen als zu schwierig: Im Grunde genommen müsste man das Individuum und sein Verhalten kontrollieren.

TEC21: Sie wollen Häuser bauen, die die Atmosphäre nicht weiter aufheizen und an denen Leute Freude finden. Wie lässt sich das kombinieren: Spass haben und ein schlechtes Gewissen vermeiden?
Werner Sobek: Durch das Prinzip der Schwesterlichkeit. Die alten und die neuen Häuser, die guten und die schlechten: Nicht alle Häuser müssen die gesamt­gesellschaftlichen Vorgaben gleichermassen erfüllen. Manche sind dafür besser geeignet, weil sie besser in der Sonne stehen und mehr Energie gewinnen. Andere haben dagegen einen grossen Keller anzubieten, in dem man gut Batterien platzieren könnte. Und nochmals andere werden Teil eines vernetzten Energiemanagements im Quartier oder in einer Stadt. Dazu braucht es ein kluges Verfahren aus Energie­gewinnung, -speicherung und -konsum, idealerweise kombiniert mit Elektromobilität.

TEC21: Und wo kommt der Spass ins Spiel?
Werner Sobek: Das Gebäude trägt einiges zum Glücksemp­finden des Menschen bei. Der Komfort ist zentral; die Wahrnehmung wird aber unterschiedlich interpretiert. Komfort meint zunächst einmal ein behagliches Gefühl, ein angenehmes Empfinden. Für die plane­rische Umsetzung werden deshalb Raumklimavorgaben wie Luftaustauschrate, Innentemperatur, Luftfeuchte oder Wärmeabstrahlung definiert. Dies allein reicht aber nicht. Mir ist wichtig, dass ein Haus sogar mit geschlossenen Augen erkennbar ist. Häuser müssen darum akustische, thermische, odorische und taktile Qualitäten ausstrahlen – das lässt sich nicht immer präzise mit Normen erfassen, aber die Menschen erkennen es instinktiv. Die taktile und handschmeichlerische Qualität von Oberflächen darf ruhig so intensiv sein, dass sich Menschen davon angesprochen fühlen und sie als schön empfinden.

TEC21: Beziehen sich solche positiven Reaktionen auch auf den Leichtbau, dem Sie sich ja besonders widmen?
Werner Sobek: Auf jeden Fall. Leichtbau muss nicht technoid wirken. Eine Wohnung muss nicht wie eine Auto­karrosserie aussehen. Konsequenter Leichtbau und handschmeichlerische Oberflächen schliessen ­ein­ander nicht aus. Dafür sind die dem Material ­innewohnenden Qualitäten herauszulocken. Den technischen Anspruch zu erhöhen muss aber nicht zwingend die Qualität der Oberflächen bestimmen. Wenn die taktile Qualität gefragt ist, muss man es mit den Händen spüren können, etwa am Handlauf: Daran hält man sich gern fest, hier muss die Hand «laufen» können. Ein normengerechter Handlauf an deutschen Brücken bietet diese Qualität allerdings nicht. Bereits nach wenigen Metern würde man die eigene Hand wegziehen, da die feuerverzinkte Metall­oberfläche viel zu rau ist.

TEC21: Wie gehen Sie selbst mit Normen um?
Werner Sobek: Über Normen wird immer viel geklagt, doch sie beinhalten den Grundkonsens zum technischen Stand und bilden die Grundlage für das gemeinsame Verständnis zwischen Architekt, Bauherr und ausführenden Firmen. Ingenieure tendieren dazu, das, was sie eben entwickelt haben, in Normen festzuschreiben. Daraus entsteht eine Normenvielfalt, die schwer durchschaubar ist und sich teilweise selbst widerspricht. Gegen eine Standardisierung habe ich vom Prinzip her keine Einwände. Doch ich halte mich an die Handwerkerregel: Der Lehrling muss die Norm lernen, der Geselle muss die Norm einhalten – aber der Meister darf sie brechen. Seine Qualitätsstandards dürfen Grenzen ausloten. Er muss erkennen, ob Bewährtes wirklich das Richtige für die Zukunft ist. Darum sind Mittel und Wege zu finden, etwas Besseres abzuliefern und die Normen weiterzuentwickeln.

TEC21: Die Digitalisierung ist für die Planungsbranche eine grosse Herausforderung; sie befürchtet daher eine Überforderung. Ist das so, weil bewährte Traditionen und Praktiken in der täglichen Arbeit aufzugeben sind?
Werner Sobek: Ich denke, das ist nur teilweise so. Wir können weiterhin auf Traditionen zurückgreifen. Denn die Aufgabe bleibt: Architekten müssen eine vernünftige Qualität für viele Menschen bauen. Dazu zähle ich die Energieversorgung und sanitäre Einrichtungen. Es ist eine akademische Marotte, den Menschen irgendwo in Zentralafrika erklären zu wollen, wie man aus leeren Cola- oder PET-Flaschen eine Hütte bauen kann. Solche Studentenarbeiten negieren die eigentlichen Probleme. An diesen Orten fehlt es nicht an Baumaterial, sondern an sanitärer Infrastruktur und funktionierender Wasseraufbereitung. Nach meinem Dafürhalten braucht es dazu industriellen Input, aber keine Architekten aus einem entwickelten Land. Damit will ich sagen: Wir haben beim Entwerfen und Bauen die relevanten Gelegenheiten zu finden, damit etwas für viele realisiert werden kann, das ohne unseren Input nicht funktioniert.

TEC21: Hierzulande nehmen die Anforderungen an Planungs- und Baufachleute zu. Die Besteller neuer Gebäude erwarten das Tollste und Beste …
Werner Sobek: Wir müssen davon abkommen, immer nur den letzten Trend bauen zu wollen. Dies geschieht etwa in der Signature Architecture, wobei die Dinge häufig genug nicht funktionieren, wie sie sollten. Für viel Geld und wenig Gegenleistung entsteht nichts anderes als Las-Vegas-Architektur. Das Haus wird zum Emblem, oft mit Label. Die Qualität in den Details und die Substanz, die darin stecken könnte, gehen aber verloren. Oft muss eine schriftliche Anleitung oder eine Homepage dem Menschen erklären, wie man in solchen Häusern leben soll.

TEC21: Welche Architektur braucht es dann?
Werner Sobek: Das langfristige menschliche Interesse weckt man nicht mit Rekorden, sondern indem man etwas Schönes baut und anbietet. Zur Baukunst wird ein Gebäude erst, wenn das Gebäude selbst eine Antwort darauf geben kann, warum es so ist, wie es ist. Was häufig zur Eigenschönheit führt, ist eine den Dingen inhärente Logik und Verständlichkeit. Solche Objekte und Gebäude laden zu einer anderen Art der Handhabung ein.


Recycling als Forschungsmodul

Der Gebäudeforschungshub Empa NEST (vgl. TEC21 22/2016) erhält Zuwachs. Bis Ende Jahr wird das «Urban Mining and Recycling»-Modul in das bestehende Betonskelett eingefügt, ein Gemeinschaftsprojekt von Werner Sobek mit Prof. Dirk Hebel und Felix Heisel vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Das Modul versteht sich als temporäres Materiallager und Materiallabor. Sämtliche Bauteile und Bautstoffe sind, so der Plan, rückbau- und wiederverwertbar respektive lassen sich sortenrein einschmelzen.

Tragwerk und Fassaden des vorfabrizierten Moduls bestehen weitgehend aus unbehandeltem Holz, mit einer Oberflächenabdeckung aus Aluminium und Kupfer. Auch der Innenbereich wird mit Materialien ausgestattet, die sich für den Stoffkreislauf eignen. Unter anderem kommen Bauteile aus biologischer Produktion (Myzelium) oder als Recyclingprodukte zum Zug. (Paul Knüsel)


Vom Experimental- zum Aktivhaus

2000 hat Werner Sobek am Rand der Stuttgarter Innenstadt sein eigenes Wohnhaus realisiert, das in der Versuchsanordnung vollständig wieder­verwertbar und emissionsfrei unterworfen ist. Das vierstöckige Gebäude ist ein Glashaus ohne interne Trennwände. Das Stahlskelett ist gesteckt und verschraubt. Einzig das Fundament ist aus Beton; die Zwischendecken sind aus Brettsperrholz. Der Eigenbedarf an Strom wird mit einer PV-Anlage auf dem Dach gedeckt. 2014 folgte das Aktivhaus, ein Forschungsprojekt namens B10, das doppelt so viel Energie selbst erzeugt, wie bei der Nutzung erforderlich ist.

Die Hausadresse Bruckmannweg 10 liegt mitten in der Stuttgarter Weissenhofsiedlung. Mit dem Energieüberschuss wird das benachbarte Weissenhof-Museum versorgt, das einst von Le Corbusier als Wohn­gebäude entworfen wurde. Auch hier wurde eine Kombination aus nachhal­tigen Bauprinzipien anhand von innovativen Materialien, Konstruktionen und Technologien umgesetzt. Eine weitere Besonderheit: Das Aktivhaus wurde im Auftrag einer Nachhaltigkeitsstiftung rea­lisiert und ist eine rückbaubare Zwischennutzungsform. (Paul Knüsel)

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