«Wir ha­ben scham­los in­sze­niert»

Das ungewöhnliche Ausstellungskonzept im Schloss Burgdorf beschränkt sich nicht nur auf das Museum, sondern durchwebt auch die Räume der Jugendherberge, des Restaurants und des Standesamts. Das Team der ARGE groenlandbasel fischteich schuf einen Kosmos, der die Architektur und das Gelände gleich mit in Szene setzt.

Publikationsdatum
16-04-2021

Nach dem Entscheid für das dreiteilige Nutzungskonzept für Schloss Burgdorf von Atelier G+S im Jahr 2010 folgte 2016 ein weiterer Wettbewerb; diesmal ging es um die Museumskonzeption und, wie sich im Arbeitsprozess herausstellte, auch um das Kuratieren der Exponate. Bisher waren im Schloss drei unabhängige Sammlungen zu besichtigen: die des Rittersaalvereins mit Objekten der Alltagskultur, die des Helvetischen Goldmuseums zur Geschichte der Goldsuche in der Schweiz und schliesslich die des Museums für Völkerkunde, die auf den exotischen Schätzen von Heinrich Schiffmann (1872–1904), eines weltreisenden Burgdorfers, aufgebaut ist. Indem sie die bestehenden Sammlungen mischen und sich dabei nicht nur auf die Museumsräume beschränken, haben die Urheber des Siegerprojekts einen spannenden Ort geschaffen.

TEC21: Was war die Grundidee Ihres Wettbewerbs­beitrags?

Peter Kuntner: Für uns war es ganz zentral, die Sammlungen der Museen zusammenzulegen, mit dem Hotel und der Gastronomie zu verbinden und für alle zusammen ein Foyer zu schaffen. Das Museum ist also schon im Foyer präsent.

Welche Möglichkeiten der Präsentation bietet die Burg als bauliche Figur?

Kuntner: Wie bei vielen Schlössern und Burgen gibt es zahlreiche kleine Räume. Das kam uns entgegen, da wir von Anfang an vorgeschlagen haben, aus Ressourcengründen lieber keinen grossen Raum für Wechselausstellungen zu bespielen. Flexibel gestaltbare Kabinettausstellungen brauchen über die Zeit viel weniger Aufwand als die Neukonzeption einer klassischen Dauerausstellung, die vielleicht auf 15 Jahre angelegt wäre.

Matthias Schnegg: Eine solche Form der Ausstellung ist nicht mehr zeitgemäss. Das Publikum braucht rasche Wechsel. Wir waren wohl die Einzigen im Wettbewerb, die den Raum für Sonder­ausstel­lungen aus dem Programm rausgestrichen haben. Neben den Wunderkammern lassen sich mit überschaubarem Aufwand jedes Jahr ein bis zwei Kabinette verändern. Damit ist eine ständige Neuerung des Hauses auch bei geringen Ressourcen gewährleistet. Dieser konzeptuelle Ansatz entspricht der baulichen Anlage des Hauses. Wir haben zwei Gruppen unterschieden: einerseits die Räume mit recht intakten, aus eigenem Zeit­schnitt erhaltenen Baufassungen wie die Kapelle oder der Rittersaal. Die haben wir als Exponate behandelt und dort höchstens etwas medial aus­gestellt. Andererseits die Räume mit Schichten aus ganz unterschiedlichen Zeiten: Da haben wir dann schamlos inszeniert.

Mit welchen Mitteln gelingt die Verschmelzung der drei Sammlungen?

Schnegg: Das Hauptmotiv sind die Wunderkammern, die auf die Anfänge des Museums zurückgehen. Damals hat man noch nicht so ausdifferenziert gesammelt. Wir haben einen Schritt rückwärts unternommen, um die Sammlungen zusammenzubringen. Es gibt viele Objekte, die als Konvolut und einfach über die Menge etwas erzählen können.

Kuntner: Als gestalterisches Mittel haben wir am Anfang des Rundgangs die Farben eingesetzt. Dann sind es Themen: In der Wunderkammer der Vergänglichkeit geht es zum Beispiel um Statuen zu Todesritualen in Afrika oder um – etwas um die Ecke gedachte – Exponate wie dem Mieder von einer Burgdorfer Bürgersfrau: Das ist vielfach repariert und damit auch ein Zeichen von Vergänglichkeit oder vielmehr von einem Versuch, die Vergänglichkeit aufzuheben. Manches Thema ist assoziativ bestückt.

Konnten Sie Einfluss auf die Zusammenstellung der Exponate nehmen?

Schnegg: Das ganze Projekt war als Wett­bewerb für die Gestaltung ausgeschrieben mitsamt einer museografischen Konzeptidee. Wir gingen davon aus, dass es eine Institution geben würde, die das inhaltlich füllt. Es war aber bald klar, dass wir auch die Kuratierung übernehmen müssen. Dafür haben wir professionelle Leute und Laien aus der Stadt zu Hilfe genommen. Das alles in einer Hand zu haben war ein Gewinn. Es zog aber die Schwierigkeit nach sich, mit einem Team von neun zusätzlichen Leuten eine gemeinsame Linie zu finden.

Kuntner: Es waren einige dabei, die schon lang vorher im Museum tätig waren. Das war wichtig, denn sie kannten die Geschichten zu den Exponaten und Räumen.

Haben Sie Wechselwirkungen zwischen einzelnen Objekten initiiert?

Schnegg: Es gibt eine Figur, die einen Mann aus Papua-Neuguinea darstellt. Er steht dem Paar mit der Emmentaler Trachten gegenüber. Das Arrangement verkörpert auf Objektebene die Erzählung des Zusammentreffens der zwei Kulturen.

Wie ist Ihre Haltung zu der Provenienzforschung zu den Objekten, die aus Sammlungen der Kolonialzeit stammen?

Kuntner: In den Wunderkammern zeigen wir alle Objekte gleichwertig. Auch innerhalb der ethnografischen Sammlung gibt es banale Alltagsgegenstände wie Schuhe und heilige Objekte wie einen Sarkophag. Hier wollen wir nicht werten, sondern stellen sie miteinander und mit den hiesigen Objekten zusammen aus. Zum Thema der Provenienz, das bei ethnologischen Objekten heikel sein kann, gibt es einen Film, in dem unter anderen Anna Schmid, die Direktorin des Museums der Kulturen Basel, zu Wort kommt. Das spiegelt den aktuellen Stand der Forschung in der Schweiz.

Zur Architektur: Wieso haben Sie sich für die jetzigen Räume innerhalb der Anlage entschieden? Der Weg ist manchmal schwer zu finden.

Kuntner: Zuerst mussten wir uns mit der Jugendherberge und dem Zivilstandsamt einigen, wer überhaupt welche Räume nutzen darf. Die Kriterien, nach denen wir das entschieden haben, waren neben den Nutzungskonzepten die konservatorischen und die funktionalen Vorbedingungen.

Schnegg: Es ging über Monate, bis alle ­Ansprüche sortiert waren und wir dieses Layout erarbeitet hatten.

Kuntner: Dann kam im Trauzimmer eine Wandmalerei hervor. Das Zimmer war eigentlich für die Jugendherberge vorgesehen – das kam natürlich nicht mehr infrage. Der Raum musste öffentlich werden.

Schnegg: Daraufhin haben Museum und Jugendherberge die Geschosse getauscht.

Abgesehen von den Exponaten – gab es für das Wohl der Besucher keine Vorgaben?

Schnegg: In dieser Schlossanlage wäre eine durchgängige Klimatisierung finanziell nicht möglich gewesen. Dann hätte man bestimmte sehenswerte Bereiche nicht öffnen können. Wir haben die Räume, die starken Temperaturschwankungen ausgesetzt sind, so bestückt, dass ein fünfminütiger Aufenthalt darin genügt. Uns gefällt, dass das Gebäude dann so physisch spürbar wird und sich in Erinnerung bringt.

Wie war die Zusammenarbeit mit der Denkmalpflege?

Schnegg: Sehr gut. Verhandeln mussten wir über den Raum, der die Geschichte von dem weltreisenden Herrn Schiffmann erzählt. Dessen Oberflächen wurden zuerst als minderwertig klassifiziert, sodass wir freie Hand bei den Einbauten hatten und ihn als hochinszenierten Ausstellungsraum deklarierten. Später erkannte man dann, dass hier zu Zeiten der Zähringer ein edler Wohnraum war. Das sieht man jetzt auch wieder. Mit der Szenografie konnten wir aber nicht mehr darauf eingehen, und das führte zu einem Konflikt.

Kuntner: An anderen Stellen war die Zusammenarbeit dafür sehr schön: Die Kapelle haben wir ganz ausgeräumt, um die Atmosphäre sprechen zu lassen. Ebenso den Rittersaal: Hier hat der Denkmalschutz die Kosten für die Verdunkelung übernommen, damit dort eine Videoshow laufen kann. Seine gewaltigen Dimensionen sind intensiv erlebbar. Es war uns ein Anliegen, auch von der Baugeschichte zu erzählen.

Wird das Museum in den Jugendherbergszimmern sichtbar?

Kuntner: In den Bereichen, die verschmelzen sollten, hatten die Architekten Berührungsängste mit der Szenografie. Sie wollten ihren eigene Gestaltungsraum wahrnehmen. Die Jugendherberge als zukünftiger Nutzer war aber begeistert. Deshalb finden in den Zimmern Inszenierungen statt, und zu jedem gehört eine Geschichte.

Schnegg: Zumeist konnten wir uns an Objekten bedienen, die einen touristischen Zugang zum Emmental bieten, vom Mittelalter bis heute. Bekannt war Burgdorf zum Beispiel für seine Kaserne mit Radfahrertruppen. Die geniessen im Ausland ja den Ruf einer Kuriosität. So gibt es ein Zimmer, in dem ein solches Rad aufgehängt ist. Der Raum heisst «Gümmeler», ein Wort des Volksmunds. Die Bedeutung wird in der Legende aufgelöst.

Schnegg: Wir haben Tapeten für die Zimmer entworfen. Das war eine Schnittstelle
mit den Architekten. Das auf den ersten Blick historisierende Muster beruht auf einer Collage aus Bauteilen des Schlosses und Objekten der Ausstellung. Es ist zu barock anmutenden Motiven zusammengesetzt.

Sind Sie mit dem Ergebnis zufrieden?

Kuntner: Schon sehr. Die Leute haben Freude und eignen sich den Ort an.

Schnegg: Wir haben die Grösse und Komplexität des Projekts lang unterschätzt. Die Umsetzung stellte die beteiligten Gewerke vor einige Herausforderungen. Zum Schluss zählt aber die neue Situation, die durch die Verbindung von Museum und Jugendherberge entstanden ist. Im Schloss zu übernachten und das Museum mit dem eigenen Schlüssel nachts zu besuchen ist etwas Besonderes. Dazu kommt die Vielfalt der Ausstellungen – seien es die Shows und Hörspiele oder die spezielle Art der Wunderkammern. Das neue Museum erreicht unterschiedlichste Besucher­ und Besucherinnen. Zumindest dies ist gelungen.

Die ausführliche Version dieses Artikels ist erschienen in TEC 21 11/2021 «Dreierlei Wunderkammern».

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