Vom Kon­zept zur Wirk­lich­keit

Die vermeintlich simplen, geometrischen Entwurfsvorgaben für den Spiralbau des Vortex erwiesen sich als komplexe, bautechnische Aufgabe. Mit einer geschickten Lösung wurde der architektonische Leitgedanke gewahrt und eine Treppe augenscheinlich zu einer Rampe.

Publikationsdatum
02-09-2020

Der Vortex, der aus einem Siegerprojekt des Zürcher Architekturbüros Dürig hervorging, vollzieht getreu seiner Bedeutung rund acht Windungen, bis er seine Gesamthöhe von knapp 30 m erreicht. Das Gebäude ist ringförmig und ähnelt im Grundriss einem Kreisrohrquerschnitt mit 137 m Aussen- und 105 m Innendurchmesser. Das Kernstück bildet eine spiralförmige Rampe mit einer gleichmässigen Steigung von 1 %. Entlang der Spiralachse sind Wohneinheiten angeordnet, die beidseitig von Laubengängen umgeben sind.

Geometrische Herausforderungen …

Die Beschreibung der von den Architekten gestalteten Räume und Flächen mag simpel erscheinen, doch die Verwirklichung war alles andere als das und bereitete den Ausführenden einiges an Kopfzerbrechen. Damit das Projekt bis zum Beginn der diesjährigen Olym­pischen Jugend-Winterspiele fertiggestellt und die ­veranschlagten Kosten eingehalten werden konnten, wurde es als Totalunternehmerauftrag ausgeschrieben.

Dem Bauherrn lag hingegen viel daran, am Leitgedanken des Siegerprojekts mit der Unterbringung von «Wohnboxen» entlang einer kontinuierlichen Spirale festzuhalten. Allerdings erwies sich dessen Umsetzung als anspruchsvolle Aufgabe für die beauftragte Totalunternehmung und ihre Auftragnehmer.

Die grösste Schwierigkeit beim Bau des Vortex ergab sich aus seiner originellen Eigenheit: 712 Wohnungen (mit 829 Zimmern für Studierende und 76 Unterkünften für Hochschulgäste) sollten linear in einem einzigartigen, spiralförmigen Gebäude untergebracht werden. Die Umsetzung einer scheinbar simplen geometrischen Vorgabe aus Radius und Steigung in einem Betonbauwerk gestaltete sich jedoch kompliziert.

Nicht zuletzt, weil alle Wohneinheiten exakt mit Nord-Süd- oder West-Ost-Ausrichtung in der Spirale angeordnet werden sollten. Die Kombination dieser verschiedenen, theoretisch sehr simplen Formen brachte geometrische Probleme mit sich, deren Lösung auf der Baustelle den Zeit- und Kostenrahmen des Projekts zu sprengen drohte.

Eine im Zuge der Totalunternehmerausschreibung vorgeschlagene Variante bestand aus einer Betonspirale aus einem Stück – vergleichbar mit dem Bau einer 3500 m langen Brücke auf einem regelmässigen Stützenraster. Zwischen den übereinanderliegenden Geschossdecken sollten nichttragende Module für die Wohnungen («Wohnboxen») eingeschoben werden. Als tragende Struktur der Spirale waren durchgehende Geschossdecken mit Auskragungen für die innen und aus-sen herumführenden Laubengänge vorgesehen.

Aufgrund der Bauweise benötigte diese Variante jedoch zwischen den Stützen Raum für die spätere Positionierung der Wohnmodule (Einschieben, Fixieren usw.). Dieser Entwurf erwies sich zudem als äusserst problematisch in Bezug auf die Gebrauchstauglichkeit: Berechnungen der Wärmeausdehnung ergaben, dass eine Temperaturschwankung von 30 °C eine Verformung der Spirale von rund 70 cm und somit die Gefahr einer erheblichen Rissbildung zur Folge gehabt hätte. Dies wäre nicht nur in ästhetischer Hinsicht inakzeptabel, sondern könnte auch die Bauwerksabdichtung beeinträchtigen.

… und deren Bewältigung

Die beauftragte Totalunternehmung arbeitete gemeinsam mit ihren Auftragnehmern verschiedene Lösungen für diese Probleme aus. Ein anfängliches Brainstorming resultierte in der grundlegenden Entscheidung, auf die einschiebbaren Module zu verzichten und die Wände der Wohneinheiten als tragende Elemente in die Struktur der Spirale einzubinden.

Von aussen nicht sichtbar, besteht die tragende Struktur der Rampe aus einer ­Treppe, deren Stufen von den Geschossdecken der Wohneinheiten gebildet werden. Damit konnte die Dicke der Geschossdecken von 35 auf 24 cm reduziert und eine beträchtliche Menge Beton eingespart werden. Ausserdem wurde so die Anzahl der Wohnungen erhöht und eine repetitive Struktur, die das Risiko einer Abweichung von Zeitplan und Budget erheblich verringerte, gefunden.

Als weitere Konsequenz dieses Lösungsansatzes wurden die Laubengänge zu eigenständigen Elementen: Sie wurden nach dem Bau der treppenförmig angeordneten Wohneinheiten betoniert. Getragen werden sie von im Abstand von jeweils 6.5 m in die Zwischenwände der Wohnungen eingespannten Stahlträgern.

Die Laubengänge verdecken so die winzigen Treppenstufen der Geschossdecken und wahren den Anschein einer kontinuierlich ansteigenden Rampe. Die bauliche Abtrennung von den Wohnungen erlaubt überdies, Wärmebrücken zu reduzieren.

Das Projekt wurde auch in Bezug auf die Erdbebensicherheit und den Widerstand gegenüber horizontalen Einwirkungen überarbeitet. So beschloss man, das Gebäude in vier symmetrisch angeordnete Bereiche zu unterteilen: zwei im Osten und Westen, die in beide Richtungen durch die Wände der Wohnungen sowie die Treppenhäuser und Aufzugschächte ausgesteift sind, und zwei im Norden und Süden, die nur in eine Richtung ausgesteift sind und sich in der anderen Richtung an die Ost- und Westbereiche stützen.

Den vollständigen Artikel finden Sie in TEC21 26/2020 «800 Fenster zum Hof».

BIM als virtuelle Baustelle

Weniger als zweieinhalb Jahre dauerte die Errichtung des gigantischen «Wirbels» aus Beton, der einen eigenen kleinen Stadtteil bildet. Eine Leistung, die ohne die BIM-Methode (Building Information Modeling) nicht möglich gewesen wäre. Im Fall des Vortexbaus vernetzten die Planer ein dreidimensionales Modell digital mit einer Datenbank, wodurch sich an den virtuellen Schnittstellen Konflikte zwischen den verschiedenen Gewerken frühzeitig erkennen und lösen liessen.

Für den Vortex hat die Entwicklung des BIM-Modells alleine fast ein Jahr in Anspruch genommen: Im Einzelnen ging es darum, die gleichzeitig von rund 60 Beteiligten gelieferten Daten zu sammeln und untereinander zu koordinieren. Zwar behalfen sich die Planer einiger automatischer Funktionen für die Ermittlung von Konflikten, doch zum grossen Teil erfolgte die Datenverarbeitung manuell.

Dazu zeigte der BIM-Koordinator zunächst systematisch die Position der einzelnen Gewerke an; im Fall eines Konflikts kreiste er den betreffenden Bereich ein und wies die Beteiligten darauf hin. Die Lösung des Problems überwachte das BIM-Modell dann automatisch. BIM erwies sich auch als nützliches Hilfsmittel für die Planung und die Anpassung der 916 vorgefertigten Nasszellen, die eingebaut wurden.

Das Modell war zudem Grundlage für eine Vir­tual- und eine Augmented-Reality-Umgebung. Letztere  brachte insbesondere Vorteile bezüglich der Baustellenlogistik. Schliesslich wurden auch einige vierdimensionale, das heisst die Terminplanung einschliessende BIM-Prüfungen durchgeführt.

Schein und Sein

Wie sein Nachbar, das Learning Center der EPFL, wirft der Vortex gewisse Fragen auf in Bezug auf das Verhältnis zwischen (äusserer) Form und (innerer) Beschaffenheit, denn beide Gebäude widersprechen dem Paradigma, dass Form und Beschaffenheit eines Bauwerks einander entsprechen müssen. So können die Betonschalen des ersteren ihre Wirkung nur entfalten, weil mehrere robuste Metallbögen unsichtbar bleiben, und hinter der gleichmässigen und scheinbar durchgehenden Rampe des Vortex verbirgt sich eine Treppe.

Natürlich entspringen diese Lösungen der Kreativität der  Planer und Baumeister, doch sie sind auch beispielhaft dafür, wie wichtig in unserer heutigen Welt der Schein, das Aussehen, die äussere Gestalt sind – und sie sind beispielhaft für den «intellektuellen Betrug», den Ingenieure und Architektinnen heute begehen, um eigentlich unmögliche Bauwerke zu realisieren.


Der Artikel «Le Vortex, du concept à la réalité» ist in der Originalfassung in TRACÉS 23–24/2019 erschienen. Übersetzung Französisch – Deutsch: Zieltext, Zollikon

Am Bau Beteiligte

Bauherrschaft
Caisse de pensions de l’État de Vaud, vertreten durch Retraites populaires, Lausanne

Architektur (Siegerprojekt Wettbewerb 2015)
Dürig, Zürich

Totalunternehmung
Losinger Marazzi, Crissier VD

Architektur (Ausführung)
IttenBrechbühl, Lausanne

Tragwerkplanung
Thomas Jundt ingénieurs civils, Carouge GE

HLK-Planung
Tecnoservice Engineering, Martigny VD

Elektroplanung
Perrin – Spaeth, Renens VD

Bauphysik
PPLUS Environmental engineering, Neuchâtel

Brandschutz
Ignis Salutem, Saint-Légier VD

Daten
Wettbewerb: 2015
Ausführung: 2017–2019

Ausblick

 

Ein ausführlicher Bericht zur Anwendung der BIM-Methode bei der Planung und Realisierung des Vortex erscheint Ende Oktober 2020 in unserem dreisprachigen Sonderheft BIM – reality check II.

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