Wohnen in Bonbon-Farben
Sanftes Rosa, zartes Vanillegelb, frisches Mintgrün, verlockendes Karamell: Farben, die einen sofort an Bonbons denken lassen. Das VitraHaus-Loft in Weil am Rhein kleidet sich derzeit in Pastellfarben. Dahinter steckt die niederländische Künstlerin und Designerin Sabine Marcelis. Den Anlass für die Gestaltung gab die vergangene Woche stattfindende Kunstmesse Art Basel.
Seit vor 14 Jahren das von Herzog & de Meuron entworfene Gebäude auf dem Vitra-Campus eröffnet wurde, zeigt das Unternehmen immer wieder fiktive Wohnwelten für imaginäre Bewohnerinnen und Bewohner. Unter anderem inszenierten renommierte Designschaffende wie Ilse Crawford, India Mahdavi oder das Büro Raw Edges diese Ausstellungen.
Nun fiel die Wahl auf Sabine Marcelis. Kein Zufall: Die Niederländerin sorgte bereits vor zwei Jahren mit ihrer Ausstellung «Colour Rush» im Vitra-Schaudepot für Aufsehen: Sie arrangierte dabei die rund 400 gezeigten Sammlungsobjekte nicht chronologisch wie gewohnt, sondern nach Farbe. Dies ermöglichte einerseits einen völlig neuen Blick auf die Sammlung mit Querverweisen auf Epochen und Stile und schuf andererseits ein monumentales Farberlebnis.
Für Sabine Marcelis spielt die Auseinandersetzung mit Farbe eine wichtige Rolle. Spiegelnde Oberflächen, pastellfarbene Verläufe sowie Lichtreflexionen sind in ihren Arbeiten zentrale gestalterische Elemente. Seit ihrem Abschluss an der Design Academy Eindhoven im Jahr 2011 nahm ihre Karriere rasch Fahrt auf: Mit ihren Entwürfen für Möbel und Leuchten, deren klare Formen die Besonderheiten der verwendeten Materialien auf subtile Art und Weise betonen, fand sie schnell internationale Anerkennung und wurde in Einzelausstellungen bereits im Mies-van-der-Rohe-Pavillon in Barcelona und dem Museum Boijmans van Beuningen in Rotterdam präsentiert.
Darüber hinaus hat Sabine Marcelis Kunstinstallationen für Luxus-Marken wie Fendi und Dior entwickelt und wurde für ihre Leistungen mit mehreren internationalen Designpreisen ausgezeichnet, darunter der «Designer of the Year»-Award von Elle Deco (2023) und Wallpaper (2020).
Mit Farben Räume begrenzen
Für ihre gemeinsam mit dem Vitra-Team umgesetzte Inszenierung des im obersten Stock des Flagshipstores liegenden Lofts wandte die 39-jährige Gestalterin ein stringentes Farbsystem an – inspiriert von ihrem eigenen Zuhause, einem Loft in Rotterdam: «Die Philosophie des Designkonzepts ähnelt derjenigen, die ich für unser eigenes Zuhause angewendet habe: Der grosse, offene Raum ist in funktionale Zonen unterteilt, die sich jeweils in unterschiedlichen Farben voneinander abgrenzen. Unser Ziel war es, Menschen zusammenzubringen und Vitra-Produkte in einem anderen Licht zu zeigen, mit individuellen Entwürfen von mir und vielen Freunden in einer gemütlichen, einladenden Atmosphäre», so Marcelis. Ein echtes Zuhause sollte es sein, kein durchgestylter Showroom.
Durchkomponiert ist der offene Raum durchaus – aber mit Nonchalance, einer üppigen Schichtung von Formen, Materialien und Farben sowie viel Gespür für das Detail. Wenn die Besuchenden aus dem Lift treten, werden sie von der kühlen, mintgrünen Farbpalette eines geräumigen Wohnzimmers begrüsst. Hier können sie es sich in einer Lounge-Grube, die Marcelis mit dem «Soft Modular Sofa» von Jasper Morrison geschaffen hat, bequem machen.
«Dieses Sofasystem wird in der Regel verwendet, um L-Formen zu schaffen. Wir haben es einfach zu dieser umfassenden Grube verschmolzen», erklärt sie und merkt an, dass sich die Gäste darin entspannen und die Filmprojektionen und Ausblicke auf die Umgebung geniessen können. «Ich finde es wichtig, eine gute Lounge zu haben. Ich habe zu Hause auch eine Lounge-Grube, und sie ist das Herzstück des Hauses. Es ist schön, dort einfach hineinzuspringen.» Auch sonst sieht es aus, als habe die Hausherrin gerade den Raum verlassen: In der von Marcelis entworfenen Spüle in Harissa-Rot, die in einen Esstisch übergeht, liegen gelbe Spülhandschuhe.
Ein schmaler Gang dient dem Übergang von Wohn- zu Arbeitsplatz und anschliessendem Bad. Auch hier beweist Sabine Marcelis ihren Sinn für Farben und feinste Abstufungen. Ein Spiegel begleitet mit einer Folienbeschichtung den Farbverlauf von Grün zu Gelb. Auch im Homeoffice mischt Sabine Marcelis eigene Entwürfe mit denen von anderen Designern und befreundeten Künstlerinnen sowie natürlich Möbeln aus der Vitra-Kollektion zu einem erstaunlich kohärenten Ganzen, das ein Gefühl von Zuhause vermittelt.
«Es ist eigentlich eine Collage, ein grosses Teamwork», sagt Marcelis. Und so arrangiert sie auf dem Vitra-Sideboard «Kado» eine Keramik-Vase von Jonas Lutz May, darüber hängt ein abstraktes Kunstwerk von Thomas Trum, der «Trapèze»-Tisch von Jean Prouvé steht auf einem runden Wollteppich mit Farbverlauf, den Sabine Marcelis für cc-Tapis entworfen hat – alles in fein nuancierten Gelbtönen. «Die im VitraHaus-Loft verwendeten Farben sind meine persönlichen Favoriten und tauchen immer wieder in meinen eigenen Arbeiten auf», sagt Marcelis. «Ich finde diese Farben zeitlos.»
Go with the Flow
Ein Eyecatcher ist ein freistehender, blockartiger Badetempel, ein vom niederländischen Unternehmen SolidNature produziertes Monument in blassrosa Onyx. Der Entwurf, der auf der einen Seite eine Badewanne ist, auf der anderen ein Waschbecken und eine Dusche, sorgte bei seinem ersten Auftritt an der Mailänder Möbelmesse 2023 für Furore. Das grosse, eigens angefertigte Gemälde von Maria Pratt fügt sich perfekt ins Farbschema. «Ich habe einfach gesagt, sie möge bitte Pink integrieren», sagt Sabine Marcelis. «Es war auch für mich eine Überraschung, wie das Resultat ausfallen würde. Ich lernte mit dem Flow zu gehen, loszulassen.» Diese Einstellung hat sich gelohnt. Alles fliesst ineinander, Farben, Licht und die Objekte verschmelzen zu einem organischen Gesamtkunstwerk.
Auf der Terrasse kann man auf zwei weissen Panton-Stühlen die Aussicht auf den nun üppig blühenden Garten des niederländischen Gestalters Piet Oudolf geniessen, die beiden niedrigen Couchtische sind brandneu – Marcelis’ Serie «Lokum» für Acerbis feierte kürzlich auf der Mailänder Möbelmesse Premiere. In den mundgeblasenen Entwürfen in Bernsteintönen zeigt sich einmal mehr ihre poetische und sorgfältige Verwendung von reflektierenden Oberflächen und Farbnuancen.
Die sieben Schlüsselfarben der Inszenierung – Bubblegum, Butter, Honeydew, Caramel, Harissa, Plum und Oyster – inspirierten auch die Einführung von limitierten Editionen von Verner Pantons ikonischem «Panton»-Stuhl und dem «Visiona»-Hocker. «Die Bezüge des Hockers reichen von einem von Raf Simons entworfenen Fell aus Angora-Ziegenwolle bis hin zu Leder, sie verleihen jedem Stück eine ganz eigene Persönlichkeit», erklärt Marcelis. «Ich bin sehr dankbar für diese Möglichkeit, zwei Klassiker von Verner Panton neu zu interpretieren.» Marcelis’ Mut zur Farbe kam an: Beide Editionen, auf jeweils 50 Exemplare limitiert, waren bereits am Samstag im Vitra-Onlineshop ausverkauft.
➔ Das VitraHaus, 2010 gebaut von Herzog & de Meuron, ist der Showroom und der Flagshipstore von Vitra.
Öffnungszeiten: Mo–So 10–18 Uhr
Vitra Campus
Charles-Eames-Str. 2
D-79576 Weil am Rhein