Der Traum vom Pa­ra­dies

Unter dem Titel «Garden Futures. Designing with Nature» präsentiert das Vitra Design Museum in Weil am Rhein erstmals eine grosse Ausstellung zur Geschichte und Zukunft des modernen Gartens. Die Schau zeigt: Gärten sind seit jeher auch Utopien von einem besseren Leben.

Publikationsdatum
30-03-2023

Alle wollen plötzlich gärtnern. Während der Pandemie entdeckten viele Menschen das Gärtnern (wieder) für sich. Das mehr oder weniger grosse Stück Grün hat eine ganz neue Bedeutung bekommen. Was jahrelang eher als Rent­ne­r:in­nen­tä­tig­keit oder Ökohobby wahrgenommen wurde, ist nun wieder voll im Trend. Das Werkeln im Garten wird auch durch die Klimakrise befeuert. Viele Menschen überdenken ihr Konsumverhalten, gesellschaftliche Bewegungen wie Extinction Rebellion oder Fridays for Future zeigen, dass gerade auch junge Menschen mehr Eigenverantwortung übernehmen und selbst etwas bewegen wollen. Und so mag es nicht erstaunen, dass auch das Vitra Design Museum dem Thema Garten nun eine Plattform bietet.

Die Schau zeigt: Vom mittelalterlichen Paradiesgärtlein, dem «hortus conclusus», über islamische Hofgärten bis hin zu «urban gardening»-Projekten: Gärten sind seit jeher Orte der Erholung, des Vergnügens und der Freizeitgestaltung, aber auch der Produktion. Sie sind aber auch Spiegel von Identitäten, Träumen und Visionen.

Wie wir im Garten darüber lernen können, unser Verhältnis zur Natur neu zu denken und zu gestalten, spürt die Schau in vier Kapiteln in vier Räumen nach. Im ersten Raum blättert eine Medieninstallation die Bandbreite historischer Gärten auf. Davor sind an den Wänden Designobjekte zum Thema aufgereiht – links alles, was der Arbeit im Garten dient, vom Rechen und der Schaufel über die Giesskanne bis zum Pflanzholz, rechts alles, was der Erholung im Garten hilft – vom historischen eisernen Gartenstuhl aus dem 19. Jahrhundert über den ikonischen Altorfer Liegestuhl von 1949 bis zu Patricia Urquiolas buntgeknüpftem Armlehnstuhl Tropicalia von 2008. So weit, so absehbar für eine Ausstellung in einem Designmuseum.

Die Politik des Gartens

Der zweite Raum aber widmet sich der politischen Dimension des Gartens. So manch paradiesisches Blumenbeet hat seine Wurzeln in der Kolonialgeschichte. Jasmin, Fuchsien und Chrysanthemen stammen aus fernen Ländern und fanden ihren Weg nach Europa dank dem «Wardschen Kasten». Ein Exemplar dieses von dem Londoner Amateurforschers Nathaniel Bagshaw Ward Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelten Kastens aus Holz und Glas steht in der Ausstellung; eine Erfindung, die nicht nur an der kolonialen Ausbeutung beteiligt war, sondern auch mitschuldig an einer ganzen Reihe von komplexen ökologischen Veränderungen. 

In den Schaukästen nebenan wird einerseits die Idee der Gartenstadt, in der sich auch ärmere Bevölkerungsschichten selbst versorgen können, anhand von Beispielen wie Hellerau bei Dresden mit Plänen dokumentiert, andererseits die Ideen der Green-Guerilla-Bewegung thematisiert: Die amerikanische Künstlerin Liz Christy hatte 1973 die Bewegung ins Leben gerufen, um verwahrlosten und zusehends verfallenden New Yorker Vierteln mit grünenden Gemeinschaftsprojekten zu begegnen. Der städtische Garten als Raum für soziale Gerechtigkeit und Partizipation – ein Gedanke, der bis heute wirksam ist. Wer die «Saat der Mitbestimmung» in seiner Nachbarschaft pflanzen möchte, findet in der Vitrine eine Anleitung zum Nachbau der Samenbombe von 1976.

«Wenn man in die Gartengeschichte schaut, sieht man, dass jede Epoche und jede Zeit ihre eigenen Gartenideale hervorbringen», sagt Kuratorin Viviane Stappmanns. Einige davon kann man im dritten Teil der Ausstellung sehen, der neun wegweisenden Gartengestalter:innen gewidmet ist. Darunter sind Klassiker wie die Werke des Landschaftsarchitekten Roberto Burle Marx (1909–1994), der nicht nur das brasilianische Gartendesign modernisierte, sondern mit seiner Erforschung der einheimischen Pflanzenwelt entscheidend zum Schutz des Regenwalds beigetragen hat. Burle Marx komponierte seine Gärten als Maler, stets auch in der Harmonie mit den Bauten zeitgenössischer Architektur wie dem Dachgarten des Ministeriums für Bildung und Gesundheit in Rio de Janeiro, einem Bau von Oscar Niemeyer in Zusammenarbeit mit Le Corbusier, Lúcio Costa und Eduardo Reidy. Der Künstler und Filmemacher Derek Jarman (1942–1994) wiederum erschuf mit seinem Garten bei Dungeness, Kent (GB), im Angesicht seines herannahenden Todes ein blühendes Gartenkunstwerk, wo kaum jemand es für möglich gehalten hätte – im unwirtlichen Kies der südenglischen Küste, in Sichtnähe eines Atomkraftwerks.

Neueren Datums ist der Garten von Jamaica Kincaid, in der sich die Autorin und Gärtnerin mit der Kolonialgeschichte auseinandersetzt. Fehlen durften auch nicht die elaborierten Pflanzenkompositionen von Piet Oudolf. Der Niederländer, einer der renommiertesten Gartengestalter der Gegenwart, plant seine Gärten über alle Jahreszeiten hinweg. Ein Beispiel kann direkt weniger Meter von der Schau entfernt begutachtet werden: Für Vitra hat er 2020 den Oudolf-Garten geschaffen, der nun gerade zu knospen beginnt. Sein Campus-Garten gab den Anstoss, eine grosse Museumsausstellung der Renaissance des Gartens zu widmen, wie Mateo Kries, Direktor des Vitra Design Museums, sagt.

Ein Garten der Ideen

Im letzten Teil der Schau steht – neben einer wunderschönen haptischen Textilwiese der argentinischen Künstlerin Alexandra Kehayoglou – das grösste Ausstellungsstück im Mittelpunkt: Eine sechs Meter lange Illustration des Architekten Thomas Rustemeyer veranschaulicht neben traditionellen und indigenen Projekten aktuelle Gartenprojekte. Hier werden auch zukunftsweisende Entwicklungen angerissen wie der Einsatz der Basler Künstlerin Céline Baumann für die Rechte von Pflanzen, der Konzepte städtischer Mikroklimata des belgischen Landschaftsarchitekten Bas Smets oder die Verbindung von digitaler Kultur und Gärtnern im Liao-Garten des Künstlers Zheng Guogu.

Man hätte sich etwas mehr von diesem Blick in die Zukunft gewünscht, so, wie es der Titel der Schau verspricht. Und auch die Sinnlichkeit, die ein solches Thema innehat, blieb etwas auf der Strecke. Ein Teppichboden in grünen Nuancen, wie es die Szenografie des italienischen Designteams Formafantasma vorschlägt, ist leider etwas vorhersehbar und wenig experimentierfreudig. Dennoch: «Garden Futures» ist eine anregende, sehenswerte Schau, die den Garten nicht nur als romantisches Idyll, sondern als Experimentierfeld für soziale Gerechtigkeit, Klimawandel und Biodiversität zeigt.

Die Ausstellung «Garden Futures. Designing with Nature» im Vitra Design Museum in Weil am Rhein läuft noch bis zum 3. Oktober 2023.

 

Weitere Informationen: design-museum.de

 

 

Verwandte Beiträge