Vie­les liegt in den ei­ge­nen Hän­den

Monitoring zu Verkehr und Raum

Der Bund untersucht gemeinsam mit den betroffenen Kantonen, wie sich die neue Gotthard-Bahnachse auf Verkehr und Raumentwicklung auswirken wird. Die Hypothesen lassen positive Impulse für Uri erwarten.

Publikationsdatum
08-09-2016
Revision
08-09-2016

Anfang der 2000er-Jahre lancierte das Bundesamt für Raumentwicklung (ARE) eine Studienreihe zu den «Räumlichen Auswirkungen der Verkehrs­infrastrukturen» (EIT). Die Absicht war, aus der Vergangenheit zu lernen und ein Modell zu erhalten, das die räumlichen Effekte von Infrastrukturprojekten in verschiedenen Phasen bewerten kann (vgl. Kasten unten: «… und zweitens als man denkt»).

In diese Reihe gehört auch das «Monitoring Gotthard-­Achse» (MGA), ein Gemeinschaftsprojekt der Bundes­ämter für Raumentwicklung, für Verkehr (BAV), für Strassen (Astra) und für Umwelt (Bafu) sowie der Kantone Tessin und Uri. Damit wird verfolgt, wie sich der Personen- und Güterverkehr entlang der neuen Achsen entwickelt und wie sich dies auf die Umwelt und den Raum auswirkt. Das Gotthard-Monitoring zieht dreimal Bilanz: 2016 mit der Eröffnung des Basistunnels, 2020 mit der Eröffnung des Monte-Ceneri-Zubringers und 2025 für den Abschlussbefund. 

Frühzeitiges Potenzial erkannt

Mit der Neuen Eisenbahn-Alpentransversale (NEAT) will der Bund den Güterverkehr von der Strasse auf die ­Schiene verlagern. Die vom Bauwerk unmittelbar betroffenen Kantone Uri und Tessin erkannten frühzeitig das zusätzliche Potenzial für die eigene räumliche, regionalwirtschaftliche Entwicklung. So hat Uri im Richtplan vorausgedacht: Hinsichtlich des Verkehrsangebots, der Durchquerung des Kantons und der Raumentwicklung in der Reussebene werden behördenverbindliche Ziele formuliert, die direkt und indirekt mit der NEAT zusammenhängen.

Anschluss an neues Leistungsangebot

Verkehrsplanerisch verfolgt Uri mehrfache Absichten. Zentral sind die Ausbauvorhaben für den Kantonalbahnhof Altdorf zum wichtigsten Hauptknoten im unteren Reusstal und für die nördlichen Bahnangebote nach Luzern, Zug und Zürich, etwa mit halbstündlichen, möglichst direkten Verbindungen. Nach Süden soll dagegen das Leistungsangebot aufrechterhalten bleiben, wobei ein Anschluss an das neue Leistungsangebot mit dem Gotthard-Basistunnel verlangt wird. Die Gott­hard-Bergstrecke soll weiterhin durch interregionale Zugverbindungen bedient werden. 

Der Bahnhof Flüelen soll seine Bedeutung als Um­steigemöglichkeit zwischen Bahn und Schiff behalten. Erstfeld und Göschenen erhalten weitergehende Knotenfunktionen: Der Bahnhof Erstfeld wird Start- und Endpunkt im S-Bahnverkehr, Verlängerungen nicht ausgeschlossen. Zusätzlich wird hier der Busverkehr zwischen unterem und oberem Reusstal angebunden. Göschenen bildet seinerseits den Übergang zwischen dem Streckennetz von SBB, Matterhorn-Gotthard-­Bahn und Postauto: Einerseits wird die Transportkette ­kundenorientiert mit Blick auf die Entwicklung in ­Andermatt ausgebaut; andererseits wird die Umsteigebeziehung qualitativ verbessert. 

Konzentration der eigenen Entwicklung

Basierend auf diesen verkehrsplanerischen Annahmen strebt der Kanton Uri weitergehende Ziele für die Raum­entwicklung an. Flüelen soll als Wohnstandort gestärkt werden. Zusätzliche Voraussetzung dafür ist, die aktuelle Nordzufahrt bis zum Basistunnel in den Berg zu verlagern. Das untere Reusstal wird so zum Kernraum für die räumliche und wirtschaftliche Entwicklung mit Ausstrahlungskraft für den ganzen Kanton. Die Bereiche Wohnen, Arbeiten, Mobilität, Versorgung und Erholung sollen nachhaltig entwickelt werden, wobei ein koordinierendes Agglomerationsprogramm für den Talboden erarbeitet worden ist.

Die Siedlungsentwicklung hat sich deshalb prioritär an der vorhandenen und geplanten Infrastruktur des öffentlichen Verkehrs und für den Langsamverkehr zu orientieren. Die Förderung des Tourismus konzentriert sich demgegenüber auf das Urserental, den Gotthardraum sowie die Lagen am ­Vierwaldstättersee. Den planerischen Absichten, die neue Transit­achse wie oben formuliert räumlich nutzen zu können, stehen weitere zu erwartende Auswirkungen gegenüber.  

Das Trendszenario aus dem Monitoring der Gotthard­achse lässt insbesondere Folgendes für Umwelt und Wirtschaft erwarten: Entlang der Bergstrecke zwischen Erstfeld und Biasca werden die Lärmemissionen durch die Eisenbahn reduziert, auf der Nordzufahrt bis Erstfeld dagegen erhöht. Letzteres kann durchaus zu einem Konflikt mit der erhofften Siedlungsentwicklung im Talboden führen. Die grössten Entwicklungserwartungen hängen indes von der voraussichtlichen Inbetriebnahme des Kantonalbahnhofs ab: Dadurch würde das untere Reusstal sowohl aus dem Norden als auch aus dem Süden besser erreichbar.

Angebot und Nachfrage im Eisenbahnverkehr könnten zudem zunehmen, weil die Reisezeit in den Süden verkürzt wird. Die Prognosen für Uri rechnen in diesem Fall mit einem moderaten Bevölkerungs- und Beschäftigungswachstum in der Region selbst, unter anderem in den Sektoren Tourismus und Detailhandel. Das Gebiet Altdorf und die nähere Umgebung würden ausserdem direkt, auch als Folge des Kantonalbahnhofs, von den qualitativ besseren öV-Anschlüssen profitieren.

Flankierende Massnahmen entscheiden

Wie aus bisherigen Infrastrukturanalysen erkennbar ist, entscheiden flankierende Massnahmen und die ­Koordinationsstrategien der betroffenen Akteure über die weitere wirtschaftliche und räumliche Entwicklung mit. Konkrete Hinweise sind bereits in der Evaluation zum Lötschberg-Basistunnel formuliert, die fünf Jahre nach Eröffnung präsentiert worden ist1: Die Wachstums­prognosen sind hier grösstenteils eingetreten; allerdings wurden die Effekte eher überschätzt. Da der Kanton Uri, mit Ausnahme von Andermatt, touristisch weniger attraktiv ist, seien geringere Entwicklungs­effekte aus dem Gotthard-Basistunnel absehbar. 

Von regionalspezifischer Relevanz dürfte die asymmetrische Entwicklung entlang neuer Verkehrs­verbindungen sein: Der Lötschbergtunnel hat dem ­Siedlungs- und Tourismusbereich im Oberwallis mehr Wachstum gebracht als im Berner Oberland. Die ­Befürchtungen, am Nordportal vom Bahnfernverkehr abgehängt zu werden, sind trotzdem nicht eingetreten. Die lokalen (Tourismus-)Akteure selbst haben Ge­gen­steuer gegeben und innovative Gästeangebote or­ganisiert.

Daher ist eine wichtige Erkenntnis aus ­systematischen Raumwirkungsanalysen: Regionale Entwicklungsprozesse werden in erster Linie durch die betroffenen Kantone, Regionen, Städte und Gemeinden selbst beeinflusst. Insofern warnen die ARE-Studien jeweils vor übertriebenen Hoffnungen: Keine der untersuchten Verkehrsinfrastrukturen habe tiefgreifende räumliche Prozesse ausgelöst, sondern vorhandene Trends verstärkt oder abgeschwächt.

Der Kanton Uri hat die raumplanerischen ­Hausaufgaben breit und angemessen angepackt. Relevant ist nun vor allem, wie die lokalen Akteure mit den Potenzialen in den Bereichen Wohnen, Tourismus und Gewerbe umgehen und allenfalls aufwerten können. In den kommenden zehn Jahren werden die unterschiedlichen Aktivitäten von Bund und Kantonen durch das Monitoring Gotthard-Achse erfasst und ­evaluiert. Bis dahin wird das Bild laufend schärfer ­werden, wie sich die neue Gotthard-Alpentransversale auf Raum und Verkehr in Uri und den anderen betroffenen Regionen auswirken wird.
 

Anmerkungen

1 Verkehrliche und räumliche Auswirkungen des Lötschberg-Basistunnels; Bundesamt für Raumentwicklung (ARE) 2012.
2 Räumliche Auswirkungen der Verkehrsinfrastrukturen: Lernen aus der Vergangenheit … … für die Zukunft; Bundesamt für Raumentwicklung (ARE) 2007.


… und zweitens als man denkt

Neue Bahntunnels und Autobahnen verkürzen jeweils Distanzen und Erreichbarkeiten im überregionalen Massstab. Aber profitieren davon auch die Standortregionen? Was kommt dem lokalen Fremdenverkehr zugute? Und wie wird das räumliche und ökonomische Wachstum vor Ort generell angeschoben?

Der Bau von übergeordneter Verkehrsinfrastruktur ist jeweils mit grossen Hoffnungen für die Regionalentwicklung verbunden; der Beweis, das ein effektives Wachstum angestossen wird, bleibt meistens jedoch aus. Die Anfangshypothesen durch aussagekräftige Folge­abschätzungen abzulösen ist eine komplexe, umfassende Evaluationsaufgabe.

Seit rund zehn Jahren forciert das Bundesamt für Raumentwicklung (ARE) deshalb eine Analysemethode, die die Wechselwirkungen zwischen Verkehr und Raum anhand von drei variablen Faktoren untersucht: Verkehrswirkung, lokale und regionale Potenziale sowie die Strategien der beteiligten Akteure.

Diese «Tripod»-Wirkungsanalyse2 wird in aktualisierter Version für das Monitoring Gotthard-Achse angewandt. Unter anderem werden Reisedistanzen, Bodenpreise und viele andere räumlich-­ökonomische Grundlagedaten quanti­tativ erhoben; ebenso werden wichtige Akteure befragt.

Zwei Rahmenbedingungen sind für die Wirkungsanalyse besonders zu berücksichtigen: Erstens sind po­tenzielle Auswirkungen vom effektiven Nutzen für die Regionen und Orte zu unterscheiden. Daher müssen die Ziele, die von den institutionellen Akteuren bei Bund, Kanton und Gemeinden anvisiert werden, in das Evaluationsmodell aufgenommen werden.

Zweitens sind externe Einflüsse zu berücksichtigen: Der globale Handel und die wirtschaftliche Konjunkturlage beeinflussen die regionale Verkehrs- und Raumentwicklung ebenso, unabhängig von der untersuchten Infrastruktur.

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